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Datennutzung kann Leben retten – Konkrete Gestaltungsvorschläge für den Bundesgesetzgeber

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek hat die Bundesregierung aufgefordert, Gesundheitsdaten künftig für die Versorgung und Forschung besser nutzbar zu machen. Der Minister sagte am Mittwoch in München: „Die Digitalisierung birgt enormes Potenzial – gerade wenn es darum geht, in Zukunft eine hochwertige medizinische Versorgung sicherzustellen. Wir müssen Gesundheitsdaten umfassender verwenden können – für die Versorgung genauso wie für die Forschung. Wichtig ist: Wir dürfen den Datenschatz nicht gegen den Datenschutz ausspielen. Das neue Gesundheitsdatennutzungsgesetz des Bundes muss beides zusammenbringen.“

Der Minister betonte: „Ich bin überzeugt: Datennutzung kann Leben retten. Die Sammlung gesundheitsrelevanter Daten und ihre Auswertung eröffnen ungeheure Chancen. Diese müssen wir nutzen. Nun gilt es, die nächsten logischen Schritte zu gehen; dazu gehört insbesondere auch der Systemwechsel bei der elektronischen Patientenakte vom Opt In zum Opt Out.“

Holetschek ergänzte: „Bayern macht seit Jahren Tempo beim Thema Digitalisierung und Datennutzung. Im Rahmen des Masterplans BAYERN DIGITAL fördern wir seit 2015 mit rund sechs Milliarden Euro Digitalisierungsvorhaben – auch in den Bereichen Gesundheit und Pflege. Wir wollen in Bayern Vorreiter sein in der Vernetzung und Nutzung von Gesundheitsdaten.“

Wissenschaftsminister Markus Blume betonte: „Daten teilen, Menschen heilen: Datenschutz und eine schnelle, dezentrale Gesundheitsdateninfrastruktur sind kein Widerspruch. Unsere medizinischen Forschungsdaten sind ein Schatz, den wir schützen und gleichzeitig heben müssen. So retten wir Leben und sichern unser Standing als wissenschaftlicher Spitzenstandort. Dafür brauchen wir einen europäischen Rechtsrahmen und der Bund muss sich stärker engagieren. In Bayern ebnen wir den Weg und gehen bereits heute mit einem eigenen Digitalgesetz und der geplanten Gesundheitsdatencloud voran.“

Expertinnen und Experten haben am Montagnachmittag in einem Symposium der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW) und des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege konkrete Vorschläge an den Bundesgesetzgeber für die Gesundheitsdatennutzung erarbeitet. Alle Beteiligten waren sich einig, dass dabei der Mensch im Mittelpunkt stehen und bestmöglich von den Chancen der Digitalisierung profitieren soll.

Akademiepräsident Prof. Dr. Thomas O. Höllmann ergänzte: „Es freut mich sehr, dass das Gesundheitsministerium und die Akademie dieses Symposium gemeinsam organisiert haben. Die Akademie bündelt Expertise aus allen Disziplinen, um Wissenschaft für die Gesellschaft nutzbar zu machen. Aus der interdisziplinären Zusammenarbeit entstand Anfang des Jahres das BAdW-Positionspapier zur Nutzung von Patientendaten und nun auch die Initiative zum Expertenaustausch über ‚Daten teilen, Menschen heilen‘.“

Prof. Markus Schwaiger, Mitorganisator des Symposiums und designierter Präsident der BAdW, betonte: „Medizinischer Fortschritt erfordert Innovationen, die auf der effektiven und zeitnahen wissenschaftlichen Auswertung individueller Patientendaten basieren. Die Pandemie hat uns diesen Zusammenhang wiederholt gezeigt. Wir streben daher ein dynamisch lernendes Gesundheitssystem an, das auf diesen digitalen Daten aufbaut und sich dadurch kontinuierlich verbessert.“

Zahlreiche Vorschläge zur Fortentwicklung der Gesundheitsdatennutzung wurden erarbeitet. Zum einen stand die künftige Ausgestaltung der elektronischen Patientenakte (ePA) im Fokus:

- Die ePA muss vorrangig der bestmöglichen Versorgung der Patientinnen und Patienten dienen. Wir brauchen einen verpflichtenden strukturierten Minimaldatensatz, der stufenweise ausgebaut werden muss. Daten dürfen nicht automatisch innerhalb von starren Löschfristen gelöscht werden. Perspektivisch muss die Sekundärnutzung der Daten im Rahmen des Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) verfolgt werden.

- Alle an der Behandlung beteiligten Leistungserbringer sollten auf die ePA-Daten der Patientinnen und Patienten zugreifen können. Die Patientinnen und Patienten können allerdings den Zugriff einzelner Leistungserbringer (-gruppen) ausschließen. Zugriffe müssen protokolliert werden; Missbrauch muss klar sanktioniert werden.

- In der ePA sollten gebündelt alle Versicherungsleistungen der Bürgerinnen und Bürger abgebildet sein, unabhängig vom Versicherungsstatus.

- Bei der Bereitstellung von ePA-Daten für Forschungszwecke muss eine Datenverbindung zu anderen Datenquellen (z. B. Registerdaten) ermöglicht werden.

- Neben der ePA-App sollte man sich auch über einen Browser in die Akte einwählen können.

- Rund um die ePA gibt es noch viele Fragen, daher sollte eine Nationale Digitale Gesundheitsagentur Bürgerinnen und Bürger, Leistungserbringer und Leistungsträger dazu intensiv informieren.

Zweiter großer Punkt des Symposiums war die Gesundheitsdatennutzung:

- Befürwortet wird die Einrichtung einer Datenzugangsstelle, die sich an den Vorgaben des EHDS orientiert. Die Datenspeicherung kann zentral oder auch dezentral erfolgen. Für die Verknüpfung von Daten wird ein Unique Identifier benötigt, der unabhängig von einem Kontakt mit dem medizinischen Versorgungswesen vergeben wird, z. B. die steuerliche Identifikationsnummer.

- Für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, der die Effektivität und Effizienz für die Gesundheit der Bevölkerung und Versorgung verbessert, sollte es einen niedrigschwelligen, regionalen Zugang zu einer nationalen Gesundheitsdatenbank geben.

- Befürwortet wird die Verankerung des Federführungsprinzips im Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Hierunter verstehen wir die Festlegung einer federführenden Datenschutzbehörde bei länderübergreifenden Forschungsvorhaben mittels Algorithmus zur Vermeidung von Interessenskonflikten. Die daneben zu beteiligenden Landesdatenschutzbehörden können mit kurzer Frist Stellung nehmen. Nach Fristablauf tritt eine Genehmigungsfiktion ein.

- Empfohlen wird zudem die Regelung des sog. „broad consent“ im neuen Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Dieser trägt dem Autonomiegedanken und der Datensouveränität Rechnung – so kann jeder altruistisch über die Nutzung seiner Daten durch Wissenschaft und kommerzielle Forschung entscheiden.

- Das geplante Registerdatengesetz sollte verbindliche Vorgaben zur Qualität, Interoperabilität, Sicherheit, Zugänglichkeit sowie für den Prozess der Erhebung und Speicherung von Daten bestehender und künftiger Register beinhalten.

- Digitale Lösungen müssen anwenderfreundlich, „kinderleicht“ sein und sowohl für Leistungserbringende als auch Patientinnen und Patienten einen Mehrwert schaffen.

- Befürwortet wird die Einrichtung einer zentralen Informationsstelle für eine zielgruppenorientierte Information und Aufklärung aller Bevölkerungsgruppen zu Digitalisierung, Datennutzung sowie Datenschutz. Diese Aufgabe könnte von der neu zu schaffenden Digitalen Gesundheitsagentur übernommen werden.

Einen Eindruck vom Symposium erhalten Sie hier:  https://www.stmgp.bayern.de/ministerium/veranstaltungen/veranstaltungsrueckblick/#symposium_gesundheitsdaten

Das Thesenpapier des Symposiums zum Download hier und hier als Link: https://www.stmgp.bayern.de/wp-content/uploads/2022/12/thesenpapier_symposium_daten_teilen.pdf

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