Nachdenken über die Diaspora
Zum Inhalt
Wie stehen die Begriffe Diaspora und Exil zueinander und welche Erfahrungshorizonte sind damit bezeichnet? Welche Gruppen abseits der spezifisch jüdischen Erfahrung beanspruchen für sich, eine Diaspora zu stellen – und was verbindet sie miteinander? Diesen Fragen geht Michael Brenner im Gespräch mit Miriam Rürup nach, die sich seit Jahren mit diesen Zusammenhängen beschäftigt. Ihr Buch „Praktiken der Differenz. Diasporakulturen in der Zeitgeschichte“ ist 2009 erschienen; derzeit entwirft sie als Herausgeberin ein großangelegtes Projekt des Leo Baeck Instituts zur deutsch-jüdischen Diaspora im 20. Jahrhundert.
Wer spricht
Prof. Dr. Miriam Rürup ist Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien und Professorin an der Universität Potsdam. Sie ist u. a. Mitherausgeberin der Fachzeitschriften WerkstattGeschichte (seit 2002), Aschkenas (seit 2013) und des Leo Baeck Institute Year Book (seit 2014) sowie der Online-Quellenedition „Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte“. Zu ihren Forschungsinteressen zählen die deutsch-jüdische Geschichte, Zeitgeschichte (insbesondere die Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus) sowie Migrations- und Geschlechtergeschichte, Menschenrechts- und Rechtsgeschichte (insb. Geschichte der Staatenlosigkeit). In ihren aktuellen Forschungen beschäftigt sie sich mit deutsch-jüdischen Diasporakulturen und mit Fragen der deutsch-deutschen jüdischen Erinnerungskultur seit 1945.
Prof. Dr. Michael Brenner lehrt Jüdische Geschichte und Kultur an der LMU München und hat den Seymour and Lillian Chair für Israelstudien an der American University, Washington D.C. inne. Er ist Präsident des Leo Baeck Instituts International. Er ist Mitglied der BAdW und leitet deren Ad hoc-AG „Judentum in Bayern in Geschichte und Gegenwart“, außerdem ist er Mitglied in der Ad hoc-AG "Zukunftswerte" - Teilbereich Multikulturalität und Identität.
Die Ad hoc AG "Zukunftswerte": Themenfeld Multikulturalität und Identität – „Wir und die Anderen“
Die im Jahre 2019 eingerichtete Ad hoc-Arbeitsgruppe „Zukunftswerte“ widmet sich zentralen gesellschaftlichen Werten, die aktuell vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt sind, z.B. durch Digitalisierung und durch soziale Medien, durch Nationalismus und Populismus, durch Migration sowie durch die Infragestellung oder den Bedeutungsverlust wertstiftender Institutionen. Drei Paare von Werten stehen im Mittelpunkt und werden als Spannungsfelder analysiert, nämlich Freiheit und Sicherheit, Gemeinschaftsinteresse und Eigeninteresse sowie Multikulturalität und Identität. Die ad hoc-AG beschäftigt sich aus empirischer und normativer Perspektive u. a. mit folgenden Themen: Akzeptanz und Zurückweisung von Werten, Wertevermittlung und Zukunft der Wertevermittlung in gesellschaftlichen Institutionen; historische und kulturelle Verankerung von Werten und deren Transformationen; handlungsleitende und andere Funktionen von Werten. Die Arbeitsgruppe reflektiert und initiiert Forschung zu diesen Fragestellungen und möchte gleichzeitig die gesellschaftliche Debatte zu den o.g. Spannungsfeldern fördern. Sprecher der Arbeitsgruppe sind Andrea Abele-Brehm (spezifisch befasst mit dem Wertepaar Gemeinschaftsinteresse und Eigeninteresse), Nicole J. Saam (spezifisch befasst mit dem Wertepaar Freiheit und Sicherheit) und Michael F. Zimmermann (spezifisch befasst mit dem Wertepaar Multikulturalität und Identität).
Die Begriffe Multikulturalität und Identität sind Schlagworte, die der gesellschaftlichen Diskussion entnommen wurden, so dass heute jeder versteht, für welche Wertvorstellungen sie stehen. „Multikulti“ versus „Identität“ (bis hin zur „identitären Bewegung“) sind in Zeiten einer Krise, die durch soziale Medien, Beeinflussungsmöglichkeiten durch KI und Populismen aufgebracht wurde, in ein Spannungsverhältnis geraten. Die Arbeitsgruppe leuchtet das Spannungsfeld von Multikulturalität und Identität durch die historisch-kritische Klärung von Schlüsselbegriffen im Rahmen weiterer Begriffsfelder aus. Werte, für die Geltung beansprucht werden soll, werden im Verhältnis zu moralisch-politischer Orientierung, Menschenrechten, Begründungen und Legitimationen, aber auch zu bloßen, oft fragwürdigen Wertvorstellungen betrachtet. Multikulturalität wird im Rahmen von Konzepten wie Globalisierung bzw. weltweiter Vernetzung, soziale Ungleichheit (auch aufgrund von Modernisierungsfolgen) und globale Machtgefälle, Post- und Dekolonialismus bestimmt. Identität wird im Rahmen von Konzepten der Subjektivierung – zwischen Disziplinierung und der Erschließung von Freiheitsräumen – und der Beherrschung unterschiedlicher Verhaltenscodices und Rollenkompetenzen (Intersektionalität) betrachtet.