Schmelzen in Rekordzeit: Bayern verliert seinen ersten Gletscher
Nun ist es tatsächlich so weit: Der erste von fünf bayerischen Gletschern existiert nicht mehr. Die Eismächtigkeit des Südlichen Schneeferners erreicht nach diesem Sommer an den meisten Stellen nicht einmal mehr zwei Meter. Selbst an der tiefsten Stelle beträgt die Eisdicke inzwischen weniger als sechs Meter, im Vergleich zu etwa zehn Metern in 2018. Daraus lässt sich schließen, dass das verbleibende Eis innerhalb der kommenden ein bis zwei Jahre vollständig abschmelzen wird. Gleichzeitig hat sich die Gletscherfläche auf weniger als einen Hektar reduziert und damit seit 2018 etwa halbiert. Aufgrund der geringen Eisdicke kann auch keine Eisbewegung mehr erwartet werden, so dass der Südliche Schneeferner nicht länger als eigenständiger Gletscher betrachtet wird. Die langjährigen Vermessungen, die erstmals 1892 stattfanden und regelmäßig seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wiederholt werden, um die Massenveränderung der bayerischen Gletscher zu erfassen, werden daher am Südlichen Schneeferner eingestellt. Die verbleibenden vier Gletscher an der Zugspitze (Nördlicher Schneeferner, Höllentalferner) und in den Berchtesgadener Alpen (Blaueis, Watzmanngletscher) verbleiben bis auf weiteres im glaziologischen Beobachtungsnetz.
Trockener Sommer plus Saharasand
Die Hitzerekorde sowie die Trockenheit im Sommer 2022 haben den Gletschern in den Alpen extrem zugesetzt. Neben der Hitze verstärkte auch der Saharastaub das Abschmelzen. Im März vielerorts am roten Himmel erkennbar, lagerte sich dieser als Schicht auf Skipisten und Gletschern ab. Da dunklere Flächen mehr Energie des Sonnenlichts absorbieren, beschleunigte das noch die Schmelze.
Schon im Juli meldeten die BAdW-Forscher deshalb (zur Pressemitteilung: „Erderwärmung: Auch der Vernagtferner verliert dramatisch an Eis“), dass das Jahr 2022 eines der Jahre mit dem höchsten Eisverlust seit Beginn der Beobachtungen im Jahr 1964 werden würde. Am Vernagtferner in den Ötztaler Alpen betreibt die BAdW ein umfangreiches Messprogramm zur detaillierten Untersuchung der Massen- und Energiebilanz. Schon seit 32 Jahren lassen sich durchgehend jährliche Massenverluste erkennen, die 2003 in einem mittleren Verlust von etwa 2,4 Metern Eisdicke, gemessen über den ganzen Gletscher, gipfelten. Im bisher zweitnegativsten Jahr 2018 betrug dieser Verlust immerhin etwa 1,6 Meter. Ein Vergleich des Gletschers am 26. Juli 2018 und 26. Juli 2022 zeigt, dass in diesem Sommer die Schneefelder auf dem Gletscher schon deutlich weiter abgeschmolzen waren als vor vier Jahren.
Klimawandel in den Alpen
Der Zweite Bayerische Gletscherbericht im April letzten Jahres kündigte bereits ein immer schnelleres Ausbluten der Alpengletscher auf Grund weltweiter Klimaveränderungen an (zur Pressemitteilung: „Gletscherbericht mahnt vor schnellerem Gletschersterben“). In den Alpen ist der Temperaturanstieg mit rund 2 Grad Celsius dabei nahezu doppelt so hoch wie der globale Durchschnittswert. Das Klima auf 3.500 Metern Höhe hat sich an die zuvor 500 Meter tiefer vorherrschenden Verhältnisse angenähert. „In rund zehn Jahren haben die bayerischen Gletscher zwei Drittel ihres Volumens verloren“, so der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber bei der Vorstellung des Berichts. „Ihre Fläche ist um rund 36 Fußballfelder und damit über ein Drittel zurückgegangen. Die Tage der Gletscher in Bayern sind gezählt. Und das noch früher, als bisher vermutet. Der letzte bayerische Alpengletscher könnte schon in zehn Jahren verschwunden sein. Unser Ziel muss deshalb lauten: So schnell wie möglich in eine klimaneutrale Zukunft – mit einem ehrgeizigen Klimaschutzgesetz, konkreten Maßnahmen und neuen Ideen."
Gefahren der Gletscherschmelze
Gletscher sind ein wichtiger Faktor zur Erhaltung des Ökosystems – beispielsweise als Wasserspender in sommerlichen Trockenzeiten oder als Stabilisator, der wie ein Kleber die Felsmassen der Berge zusammenhält. Das tragische Unglück am Marmolata-Gletscher (zum Beitrag: „Gletscher als Zeugen der Klimakatastrophe“), wo bei einem Gletscherabbruch sieben Menschen ums Leben kamen, zeigt, wie unmittelbar die Gletscherschmelze das Leben der Menschen betrifft. „Vermutlich ist Schmelzwasser über die Gletscherspalten eingedrungen“ so BAdW-Glaziologe Christoph Mayer, „ist bis zum Grund des Gletschers vorgestoßen und hat dadurch den angefrorenen Teil losgelöst. Dadurch ist dann ein relativ großer Block abgestürzt.“
Maßnahmen gegen die Gletscherschmelze
Nur noch vier Alpengletscher gibt es nun in Deutschland und auch die werden, so Mayer, wohl in den 2030er Jahren verschwunden sein (zum Artikel: „ALPENGLETSCHER: Das große Schmelzen“ ). Der Höllentalferner im Westen des Wettersteingebirges werde wohl am längsten bestehen. „Für die bayerischen Gletscher kommen alle Aktionen zu spät“, so Mayer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung („Zum Zeitungsartikel“), andere Gletscher könnten jedoch überleben: „Sie werden zwar in den nächsten Jahrzehnten deutlich an Masse verlieren […] Aber wenn die Weltgemeinschaft jetzt wirklich durchgreifende Maßnahmen zur CO2-Reduktion angeht, dann können auch 2100 noch Gletscher in den Alpen übrig bleiben.“
Im Freistaat fließen aktuell rund 70 Millionen Euro pro Jahr in die Klimaforschung. Diese Summe soll noch weiter erhöht werden. Auch auf EU-Ebene sind weitreichende Maßnahmen zum Klimaschutz geplant. 2019 hat die Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen das Maßnahmenpaket "European Green Deal" vorgestellt. Nach einigen Zwischenzielen soll die EU 2050 damit komplett klimaneutral wirtschaften. Wie das funktionieren soll und wo die Fallstricke liegen, erläuterte Renke Deckarm, Pressesprecher und stellvertretender Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Bayern und Baden-Württemberg mit Sitz in München in unserem Podcast (zum Podcast: „Der 'European Green Deal' - Europäische Maßnahmen für den Klimaschutz“).
„Wir haben es in der Hand“, sagt auch Klimaforscherin Julia Pongratz. Im Podcast (zum Podcast: "Wir haben es in der Hand") spannt sie einen Bogen von den klimatischen Veränderungen in Bayern über globale Prognosen und Modellierungen zur Klimazukunft bis hin zu innovativen Wegen, den klimatischen Wandel einzudämmen. Grundsätzliche Fragestellungen wie „Wie entstehen Extremwetterlagen?“ oder „Warum ist es in Wäldern kühler?“ kommen ebenso zur Sprache wie neue Forschungsansätze, die zur Abmilderung des Klimawandels beitragen könnten.
Das BAdW-Vorhaben „Erdmessung und Glaziologie“
Im Mittelpunkt des Vorhabens „Erdmessung und Glaziologie“ stehen alpine Gletscher und ihre Rolle im kontinentalen Wasserkreislauf, als Klimaindikatoren und ihre Wechselwirkung mit der festen Erde. Neben langjährigen, intensiven Forschungsarbeiten am Vernagtferner, dem "Hausgletscher" in den Ötztaler Alpen, werden Untersuchungen in verschiedenen Gletscherregionen, z.B. in Island, Norwegen, im Pamir und im Karakorum durchgeführt. Auf der Basis der so gewonnenen Daten werden die Interaktionen der Gletscher mit ihrer Umwelt in Abhängigkeit der klimatischen Veränderungen modelliert. Parallel werden geodätische Arbeiten zur Geodynamik und zu Referenzsystemen als Basis für vielfältige weitere Untersuchungen in den Geowissenschaften durchgeführt.
Zum Projektfilm „BAdW-Vorhaben "Erdmessung und Glaziologie"“
Weitere BAdW-Beiträge zum Themenbereich Klimawandel:
- Veranstaltungsvideo „Zukunft Wasser - Zwischen Dürre und Flut“
- Podcast: „Wasserstoff als Energieträger der Zukunft“:
- Podcast: „Können gezielte Informationen Menschen zu klimafreundlicheren Konsumentscheidungen bewegen?“:
- Podcast: „Forschung: Ein paar Gramm Boden sind ein riesiger Lebensraum“:
- Podcast: „Herausforderung Klimawandel“ sowie insgesamt die Reihe „Die Alpen – Der gefährdete Traum“