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Medizin damals und heute

Darstellung eines Aderlasses
Aldobrandino von Siena: Li livres dou Santé. Frankreich, spätes 13. Jahrhundert / Public Domain (Ausschnitt)

Die „Götter in Weiß“: Ärztinnen und Ärzte, und neuerdings auch Virologinnen und Virologen, werden häufig überhöht oder gar verehrt. Gilt das auch für vergangene Jahrhunderte? Und wie hat sich unser Medizinverständnis gewandelt? Ein Streifzug.

Dass Ärztinnen und Ärzten besondere Bewunderung entgegengebracht wird, wundert wenig, denn auf sie sind wir Menschen im Krankheitsfall – also in besonders schwachen Momenten – auf Gedeih und Verderb angewiesen. Auch in historischer Perspektive genoss der Berufsstand des Arztes größtes Ansehen. Manche wurden gar als Heilige verehrt, wie die Zwillingsbrüder Kosmas und Damian, die in frühchristlicher Zeit im heutigen Syrien als wohltätige Ärzte für die Armen und Bedürftigen gewirkt haben. Reliquien der im Byzantinischen Reich ab dem 5. Jahrhundert verehrten Zwillinge haben es bis nach Bayern geschafft: nämlich in Form des Kosmas- und Damian-Schreins in der Jesuitenkirche St. Michael in München, der bis heute ein Anziehungspunkt für kranke Menschen aus aller Welt ist.
Anlässlich des Jahrestages dieser beiden östlichen Arztheiligen lädt Sie die Bayerische Akademie der Wissenschaften zu einem digitalen Streifzug durch die Medizingeschichte ein.

„Burnout“-Therapie im Byzantinischen Reich

Wir beginnen im Byzanz des 14. Jahrhunderts, das im Mittelpunkt des BAdW-Forschungsprojekts „Johannes Zacharias Aktuarios“ steht – ein Vorhaben, das die verschiedenen handschriftlichen Überlieferungen einer Art modernen „Burnout“-Therapie aus byzantinischer Zeit erforscht. Gerade heutzutage leiden zahlreiche Menschen an Burnout, depressiven Störungen oder emotionaler Erschöpfung. Aber ist der Zustand des körperlich und seelischen Ausgebranntseins ausschließlich ein Gegenwartsphänomen? Der byzantinische „Chefarzt“ Johannes Zacharias, der seinen Beruf an der Wende vom 13. zum 14. Jhd. in Konstantinopel ausübte, beschrieb und analysierte in einer zweiteiligen Abhandlung körperliche und seelische Beeinträchtigungen, die der heutigen Burnoutsymptomatik durchaus vergleichbar sind: Seine Abhandlung trägt den Titel „Über das Seelenpneuma“, worunter eine seelisch-emotionelle Körperströmung zu verstehen ist, die ihren Ursprung – laut Johannes Zacharias – im Gehirn hat. Eben dieses körperinterne Fluidum fördert, wenn es den Körper ungehindert durchströmen kann, Gesundheit und Wohlbefinden. Im gegensätzlichen Falle aber, bei Blockaden, die seinen Fluss hemmen, entstehen depressive Zustände, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, physische und psychische Erschöpfung sowie Leistungsabfall – also die klassischen Burnoutsymptome.  

Die Lehre von den vier Körpersäften

Mentale, emotional verursachte und psychische Erkrankungen im weitesten Sinne wurden sowohl in der antiken wie auch in der byzantinischen Heilkunde ausschließlich mit physischen Ursachen erklärt, genauer: mit Störungen des körperinternen Säftegleichgewichts, wodurch das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen und geschädigt wird. Die Lehre von den vier körperinternen Säften (Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle) sowie den aus deren Missverhältnis resultierenden Krankheiten wird als Humoralpathologie bezeichnet. Diese lieferte bis in die frühe Neuzeit hinein das verbindliche Erklärungsmodell für sämtliche Krankheitsbilder. Die entsprechenden Therapiekonzepte bemühten sich demzufolge in erster Linie um einen Säfteausgleich; spezifische Ernährungspläne (Regimina) und Arzneimittel sollten die Harmonie der Körpersäfte wiederherstellen.
Mehr Informationen zu den Therapiemethoden des Johannes Zacharias Aktuarios und dem Forschungsprojekt insgesamt können Sie im Podcast mit PD Dr. Isabel Grimm-Stadelmann nachhören. Eine Kurzeinführung in das Projekt finden Sie außerdem in einem Beitrag der Byzantinistin und Medizinhistorikerin in der Akademie Aktuell. Zur weiteren Geschichte der Medizin im Byzantinischen Reich, die noch nicht vollständig wissenschaftlich erschlossen ist, hat Grimm-Stadelmann 2020 eine neue Schriftenreihe namens „Byzantinisches Archiv - Series Medica“ ins Leben gerufen.

Vom Säftehaushalt zur Entgiftung

Wie sich die Medizin in der frühen Neuzeit weiterentwickelte, dokumentiert das BAdW-Projekt „Frühneuzeitliche Ärztebriefe des deutschsprachigen Raums“, das eine umfassende Ärztebrief-Datenbank erarbeitet. Ärztliche Briefwechsel eröffnen ein differenziertes Bild frühneuzeitlichen ärztlichen Lebens, Denkens und Handelns. Im Briefverkehr äußerten sich Ärzte zu den aktuellen Themen und Streitfragen ihrer Disziplin und stellten eigene Auffassungen oder Funde zur Debatte. Sie urteilten über andere Autoren und deren Werke, Ideen oder Entdeckungen.
Als Bild ergibt sich aus diesen Briefen, dass der Alltag eines Mediziners im 16. Jahrhundert grundsätzlich gar nicht so anders war als heute: Der Arzt hatte seine Praxis, untersuchte die Patienten, stattete Hausbesuche ab. Der größte Unterschied zu heute lag also vielmehr in der völlig anderen Vorstellung vom Körper und seinen Krankheiten. Im ausgehenden Mittelalter trat die Lehre der vier Säfte in den Hintergrund und wurde in der Neuzeit von der Auffassung ersetzt, dass alle Krankheiten auf schädliche Stoffe – also auf faulige, unreine Krankheitsstoffe – zurückgeführt werden können, die beispielsweise durch die Nahrung in den Körper gelangen. Die Behandlung bestand dementsprechend in dem Versuch, diesen schädlichen Krankheitsstoff zu entleeren, so beispielsweise durch das Aufstechen der Pestbeulen.

Medizinverständnis heute

Diese Auffassung änderte sich erst seit dem 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen eines wissenschaftlichen Medizinverständnisses, das bis heute auf biologischen, pharmazeutisch-chemischen, gentechnischen sowie neuerdings auch auf computerbasierten Forschungen fußt - mit beeindruckenden Resultaten, wie jüngst die rasante Entwicklung der diversen Corona-Impfstoffe vor Augen geführt hat.