Neugier als Wissenschaftshabitus (abgeschlossen)
In seinem „Triumph der Empfindsamkeit“ (Leipzig 1787) lässt Johann Wolfgang von Goethe die Figur der Sora sagen „Wer nicht neugierig ist, erfährt nichts“. Dies gilt im Besonderen für den Erkenntnisfortschritt in den Wissenschaften, der sich nicht in der Vermessung des bereits Bekannten erschöpft, sondern sich vor allem an neue Perspektiven, innovative Methoden und den Drang, ungelöste Fragen zu beantworten, knüpft. Eine besondere Bedeutung nimmt hierbei die individuelle Persönlichkeit der Forschenden ein, ihre biographische Prägung in der Wissenschaft, aber auch der Arbeitskontext, in dem sie sich täglich mit wissenschaftlichen Fragen konfrontiert sieht.
Ziel der Arbeitsgruppe „Neugier als Wissenschaftshabitus“ ist es, den Faktor Neugier als erkenntnisleitende Kategorie in wissenschaftlichen Forschungsprozessen zu diskutieren. Inwieweit gerät Neugier im Sinne eines praxeologischen Verständnisses nach Pierre Bourdieu zu einer strukturierenden Struktur, die als Habitus handlungsleitend und persönlichkeitsgebunden Forschung bedingt? Welcher Art ist die Neugier, die Türen zu neuen Feldern öffnet und hinter das Bekannte blickt? Inwieweit fördern oder hemmen bestehende forschungsinstitutionelle Kontexte wissenschaftliche Neugier, etwa durch bestimmte Arbeits- und Karrierebedingungen, Förderrichtlinien oder Peer-Review- und Evaluationsverfahren?
Bereits in Goethes einführendem Zitat eröffnen sich dabei zwei Zugänge, die als moralische Antipoden die Suche des Menschen nach neuen Erkenntnissen in der Geschichte bewerten. Am einen Ende steht die kulturell häufig als negativ bewertete Neugier im eigentlichen Sinne. Sie zielt vorrangig aus Geltungsdurst oder eigennützigen Motiven darauf, Triviales über Nachbarn und Mitmenschen in Erfahrung zu bringen. Dem gegenüber steht eine meist als positiv konnotierte Neugier, die sich als Wissendurst auf die Erkenntnis selbst richtet und stärker rational und forschungsorientiert besetzt ist. Letztere Bedeutung von Neugier steht im Vordergrund des Arbeitsprogrammes dieser AG.
Zur Strukturierung der Zugänge zum vielschichtigen Thema Neugier wurden drei Erkenntnisschwerpunkte gesetzt, die einerseits dem moralischen Gewicht des Begriffes in der Kulturgeschichte gerecht werden, andererseits auch eine Diskussion aktueller Forschungsbedingungen und -kontexte ermöglichen sollen:
AG Neugier als Wissenschaftshabitus
1. Neugier im Wissenschaftsbetrieb
- Neugier im Spannungsfeld freier Grundlagenforschung (curiosity-driven) und anwendungsorientierter Forschung (application-driven)
- Neugier im Spannungsfeld biographischer Prägung (Forscherpersönlichkeit) und institutionellen Anforderungen (Drittmittelforschung, Evaluationsdruck)
- Freiräume und zu schaffende Freiräume für Neugier innerhalb einer sich verändernden Wissenschaftslandschaft
- Neugier unter dem Druck epistemologischer Regime und „Turns“
- (Hochschul)Didaktik: wie wird Neugier für Forschung in unterschiedlichen Zielgruppen von Studierenden über den Journalismus bis hin zu einer breiten Öffentlichkeit geweckt? Welche Rolle spielen dabei ästhetische Instrumente und Emotionalisierungsstrategien?
- Risiken der Neugier: wissenschaftsethische Fragestellungen
2. Ethik der Neugier
- ideengeschichtlich und wissenschaftshistorisch: wie wurde Neugier als Wissenschaftshabitus in unterschiedlichen Epochen definiert
- philosophisch: welche moralischen Zuschreibungen knüpfen sich im wissenschaftlichen Kontext an Neugier?
- etymologisch: wie verläuft die Geschichte des Begriffes Neugier und wo liegen seine Grenzen?
- pathologisch: wo verlaufen die Grenzen zum krankhafter Neugier, aber auch Fortschrittsängsten (Neophilie und Neophobie)
3. Methodologie der Neugier
- Neugier unter den Bedingungen digitaler Wissensgenerierung und Wissensaneignung
- Neugier unter dem Druck neuer Medien und Wissensspeicher
- Die Neugier der Maschinen: was bedeutet Neugier im dynamischen Segment der AI und Roboter?
- Kognitionswissenschaftliche Perspektiven: wie wird durch neues Informationsangebot und Informationsaufbereitung Neugier generiert und erlebt?
Aktivitäten der AG Neugier als Wissenschaftshabitus
1. Kaminabend am 3. Mai 2018 (Bericht als PDF)
2. Kurztagung am 24. November 2018 (Bericht als PDF)
3. Studientag am 19. Februar 2019 (Bericht als PDF)
4. Podiumsdiskussion "Entstehung des Lebens - alles nur Zufall?" am 23. Oktober 2019 (Bericht als PDF)
5. Kaminabend am 11. März 2020 (Bericht als PDF)
Audiopodcast zur Podiumsdiskussion "Entstehung des Lebens" (Link zur Mediathek)