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02. Januar 2003

Zur Rezeption Arthur Schopenhauers in Russland und in der russischen Literatur

Öffentlicher Vortrag von Peter Thiergen, Professor der slavischen Philologie, Otto-Friedrich-Universität Bamberg
ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
am 13. Januar 2002 um 19 Uhr
im Plenarsaal der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Arthur Schopenhauer (1788-1860) erzielt seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine fulminante europäische Wirkung. Mit geringer Verspätung ist diese auch in Russland beobachtbar. Seit etwa 1860 wird der deutsche Philosoph für einige der großen russischen Romanciers (Turgenev, Tolstoj, Leskov, Belyj), Lyriker (Fet) und Kritiker (Strachov) zum bewunderten Menschenkenner und Weltdiagnostiker. Hierbei überlagern sich Rezeption und Antizipation: ein wachsender, mit Abkehr von Leibniz und Hegel verbundener innerrussischer Skeptizismus findet in Schopenhauers Pessimismus reiche Nahrung. Zudem beeindruckten Schopenhauers stilistische Brillanz, seine eher de- als präskriptive Ethik und seine auch für durchschnittlich gebildete Leser verständlichen, das Existentielle treffenden Analysen ("Über Geschichte", "Über den Tod", "Metaphysik der Geschlechtsliebe", "Von der Nichtigkeit und dem Leiden des Lebens" etc.).

In Russland wird, wie in Westeuropa, das tua res agitur ("Deine Sache wird verhandelt."; "Es geht um Dich und Deine Angelegenheiten.") zum wichtigsten Bindeglied zwischen Schopenhauer und seinen Lesern. Ab 1880 reagiert dann auch die russische Kathederphilosophie. Im russischen Fin de siècle-Pessimismus und seiner Nietzsche-Begeisterung findet Schopenhauer zusätzliche Resonanz.

Nach 1917 wird Schopenhauer in Russland als Irrationalist und pathologischer Revolutionsfeind denunziert. Der Gegensatz von Marxismus und Schopenhauerismus ist grundsätzlicher Art. Nach der Zäsur der Gorbatschow-Ära versucht Russland zur Zeit, Schopenhauer und seine russische Wirkung neu zu entdecken.