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Pseudospin in Antiferromagneten: Neue Perspektiven für Quantenanwendungen

Forscher des Walther-Meißner-Instituts für Tieftemperaturforschung (WMI) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, der Technischen Universität München (TUM) und der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU) in Trondheim entdeckten einen Effekt, der einzigartig für den Transport von antiferromagnetischen Anregungen ist. Er eröffnet neue Möglichkeiten zur Informationsverarbeitung mit Antiferromagneten. Die Arbeit wurde jetzt in „Physical review Letters“ und „Physical Review B“ publiziert.

Elementarteilchen tragen einen Eigendrehimpuls, bekannt als Spin. Für ein Elektron kann der Spin nur zwei bestimmte Richtungen relativ zur Quantisierungsachse annehmen – so lassen sich Spin-Up und Spin-Down-Elektronen unterscheiden. Diese sogenannte inhärente Doppelwertigkeit ist die Ursache vieler faszinierender Effekte in der Physik. In der heutigen Informationstechnik wird der Spin des Elektrons und das damit verbundene magnetische Moment benutzt, um Informationen auf magnetischen Speichern, etwa Festplatten und Magnetbändern, festzuhalten und auszulesen.

Antiferromagneten: Stars in der magnetischen Datenspeicherung
Sowohl für das Speichermedium als auch für die Leseköpfe werden ferromagnetisch geordnete Materialien verwendet, in denen sich alle magnetischen Momente parallel ausrichten. In Antiferromagneten – den Gegenspielern zu Ferromagneten –, richten sich benachbarte Momente antiparallel zueinander aus. Obwohl diese Systeme von außen betrachtet nicht magnetisch wirken, sind sie für die aktuelle Forschung sehr interessant, da sie das Potential für eine hohe Widerstandsfähigkeit gegen externe Magnetfelder und schnellere Informationsverarbeitung besitzen. Dies macht sie zu den aufstrebenden Stars für Anwendungen im Bereich der magnetischen Datenspeicherung und alternativer Datenverarbeitung.

Wie wird Information in Antiferromagneten übertragen?
Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist, ob und wie Information in Antiferromagneten übertragen und detektiert werden kann. Eine Gruppe von Forschern des Walther-Meißner-Instituts für Tieftemperaturforschung (WMI) der BAdW, der Technischen Universität München (TUM) und der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU) in Trondheim hat sich dieser Frage angenommen und führte Untersuchungen an dem antiferromagnetischen Isolator Hematit durch. In Hematit sind keine beweglichen Ladungsträger vorhanden. Es eignet sich daher hervorragend als Testsystem für die Untersuchung neuartiger Anwendungen, die das Ziel haben, durch einen endlichen elektrischen Widerstand verursachte Verluste zu vermeiden. Die Wissenschaftler entdeckten einen Effekt, der einzigartig für den Transport von antiferromagnetischen Anregungen ist und dadurch neue Möglichkeiten zur Informationsverarbeitung mit Antiferromagneten eröffnet.

Pseuodspin in Antiferromagneten
Matthias Althammer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am WMI, leistete den Hauptteil der Arbeiten. Den neu entdeckten Effekt beschreibt er folgenermaßen: „In der antiferromagnetischen Phase sind benachbarte Spins antiparallel zueinander angeordnet. In diesem Zustand existieren quantisierte Anregungen, die man als Magnonen bezeichnet. Diese können sich in dem Material bewegen und Information mittels ihres Spins übertragen. Durch die zwei antiparallel gekoppelten Spin-Zustände in den Antiferromagneten sind diese Anregungen sehr komplex in ihrer Natur. Jedoch ist es möglich, die Eigenschaften dieser Anregungen durch einen effektiven Spin zu beschreiben – den Pseudospin. In unseren Experimenten konnten wir nun zeigen, dass wir diesen Pseudospin und dessen Fortbewegung durch ein Magnetfeld kontrollieren können.“ Akashdeep Kamra von der NTNU in Trondheim ergänzt: „Die Abbildung der Anregungen eines Antiferromagneten auf einen Pseudospin eröffnet ein tieferes Verständnis für und ist ein bedeutendes Hilfsmittel zur Beschreibung des Spintransports. Dies war bereits eine wichtige Grundlage für die Untersuchung von Transporteffekten in elektronischen Systemen. In unserem Fall können wir damit die Dynamik des Systems wesentlich einfacher beschreiben und trotzdem ein vollständig quantitatives Modell für das System erhalten. Der springende Punkt ist, dass unsere experimentelle Arbeit zum ersten Mal die Richtigkeit des Pseuodspinkonzepts in Antiferromagneten nachweist, ein Konzept, das eng mit den Grundlagen der Quantenmechanik verbunden ist.“

Das volle Potential antiferromagnetischer Magnonen erschließen
Dieser erste experimentelle Nachweis von Pseudospindynamik in einem antiferro-magnetischen Isolator bestätigt nicht nur theoretische Vorhersagen über den Magnonentransport in Antiferromagneten, sondern erschließt auch eine experimentelle Basis, um weitere an die Elektronik angelehnte Effekte zu untersuchen. „Es könnte möglich sein, neue faszinierende Effekte zu realisieren, zum Beispiel das magnonische Analogon zu einem topologischen Isolator in antiferromagnetischen Materialien“, hebt Rudolf Gross, Direktor des WMI, Professor an der TU München und Sprecher des Forschungsclusters „Munich Center for Quantum Science and Technology“ hervor. „Unsere Arbeit eröffnet eine neue, spannende Perspektive für Quantenanwendungen basierend auf Magnonen in Antiferromagneten.“

Publikationen:

Observation of Antiferromagnetic Magnon Pseudospin Dynamics and the Hanle Effect, T. Wimmer, A. Kamra, J. Gückelhorn, M. Opel, S. Geprägs,  R. Gross, H. Huebl, M. Althammer,
Physical Review Letters, Advanced Online Publication

DOI:

Antiferromagnetic magnon pseudospin: Dynamics and diffusive transport,
A. Kamra, T. Wimmer, H. Huebl, M. Althammer,
Physical Review B 102, 174445 (2020) 

DOI: 10.1103/PhysRevB.102.174445

Kontakt:
Dr. Matthias Althammer, PD Dr. Hans Huebl, Prof. Dr. Rudolf Gross
Walther-Meißner-Institut der BAdW
matthias.althammer@wmi.badw-muenchen.de,
Tel.: +49(89) 289-14311