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Otloh von St. Emmeram: Eine umstrittene Persönlichkeit des Mittelalters. Edition seiner Werke nimmt die Arbeit auf
Otloh von St. Emmeram (um 1010–kurz nach 1070) war ein Mönch des Benediktinerklosters St. Emmeran in Regensburg, der die Aufmerksamkeit der Gelehrten wegen der autobiographischen Komponente vieler seiner Schriften, seiner Fähigkeiten als Kopist und der Streitigkeiten mit seinem monastischen Umfeld sowie kirchlichen Autoritäten auf sich zog. Dieser eigenwillige Autor und Schreiber fand im Laufe des 20. Jahrhunderts wachsendes und zunehmend internationales Interesse.
Die Editionen des Liber visionum (1989) und Liber de temptatione cuiusdam monachi (1999), die beiden meistbehandelten Texte dieses Autors, beschleunigten die Internationalisierung der Forschung zu Otloh. Dennoch hielt die kritische Edition seiner Schriften mit dem Interesse an seiner Persönlichkeit keineswegs Schritt. Studien zu Otloh müssen sich bei einem Großteil seiner Werke immer noch auf antiquierte Ausgaben stützen, die nicht dem Standard heutiger kritischer Editionen entsprechen. Die unbefriedigende Editionslage lenkt zudem die Aufmerksamkeit der Forschung immer wieder auf dieselben Texte, nämlich die bereits gut edierten, und lässt den Rest in den Hintergrund treten.
Ein wichtiger, häufig übersehener Aspekt ist dabei, dass der Mönch für viele seiner Schriften gleichzeitig Autor und Schreiber war. Es könnte sich also ein genaueres Porträt Otlohs ergeben, wenn man wüsste, was er in seinen Werken ursprünglich schrieb und was er später korrigierte und einfügte. Seine überlieferten Handschriften stellen einen Glücksfall dar, der durch seine autobiographischen Äußerungen über die Bedeutung, die das Schreiben für ihn hatte, noch gesteigert wird. Hier setzt das neue Projekt der BAdW an: Die allein in veralteten Drucken vorliegenden autographen Werke Otlohs werden in einer kritischen Edition präsentiert, die zwischen Urfassung, Korrekturen und späteren Zusätzen durch die Hand des Autors selbst unterscheidet. Auf diese Weise wird es möglich sein, Otlohs kritische und intellektuelle Arbeit an seinen Texten zu dokumentieren. Zudem werden die autobiographische Komponente und der mahnende Ton von mehreren der neu zu edierenden Schriften Anhaltspunkte für weitere historische und philosophische Debatten geben.
Vorhaben: Otloh von St. Emmeram: Autor und Kopist. Kritische Edition des Libellus de doctrina spirituali, Liber de cursu spirituali und weiterer kleinerer Werke
Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Kooperationspartner: Monumenta Germaniae Historica (MGH)
Digitalisierungspartner: Bayerische Staatsbibliothek München (BSB)
Ansprechpartner: Dr. Gaia Clementi gaia.clementi@otloh.badw.de
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