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Nürnberger Nachfolgeprozesse 1946–1949: Digitalisierungsvorhaben gestartet
Unmittelbar nach den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs starteten die sogenannten Nürnberger Nachfolgeprozesse. Im Gegensatz zum Hauptkriegsverbrecherprozess vor einem Internationalen Gerichtshof wurden diese Verfahren, die zwischen 1946 und 1949 in Nürnberg stattfanden, ausschließlich vor amerikanischen Militärgerichten verhandelt. 185 hochrangige Juristen, Mediziner, Industrielle, SS- und Polizeiführer, Militärs, Beamte und Diplomaten wurden in insgesamt 12 Prozessen angeklagt. Die Prozesse zeigten, in welchem Ausmaß die deutsche Führungsschicht zum Machtsystem der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beigetragen hatte. Von den 185 Angeklagten erhielten 24 die Todesstrafe, 20 wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, 98 erhielten teils langjährige Freiheitsstrafen. 35 der Beschuldigten wurden freigesprochen. In den 1950er Jahren führten Begnadigungen dazu, dass im Ergebnis alle verurteilten NS-Verbrecher bis 1957 aus der Haft entlassen wurden. Von den 24 verhängten Todesurteilen wurden 13 tatsächlich vollstreckt.
Neue Maßstäbe in der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Nürnberger Nachfolgeprozesse
Im Laufe der Prozesse entstanden etwa 2,5 Millionen Blatt an Prozessakten, die im Original im Staatsarchiv Nürnberg verwahrt werden: Aussagen von Zeugen, Anklageschriften, Stenografische Protokolle, Verteidigungsdokumente, Vernehmungsprotokolle und weitere amtliche und private Dokumente. Mit dem Projekt „Digital Nuremberg Military Tribunals“ (DigiNMT) ermöglichen die BAdW, die FAU und die Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns die wissenschaftliche Aufarbeitung der Nürnberger Nachfolgeprozesse. Ziel ist es, die Prozessakten, die aufgrund der schlechten Papierqualität in ihrem Erhalt bedroht sind, vollständig zu digitalisieren, strukturiert zu erschließen und auf einer interaktiven Plattform weltweit zugänglich zu machen. Dies trägt wesentlich zur Schonung und zum Erhalt der Originaldokumente bei.
„DigiNMT ist ein innovatives Leuchtturmprojekt für die Digital Humanities“, betont Christoph Safferling, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht und einer der Projektleiter. „Ziel des Projekts ist es, dass Forschende und Interessierte gleichermaßen die Gesamtheit der Dokumente systematisch einsehen und interdisziplinär analysieren können.“ Durch die Verbindung von Künstlicher Intelligenz (KI) und Natural Language Processing (NLP) mit rechts- und geschichtswissenschaftlichen Ansätzen soll die bisher fragmentierte Forschung zu den Nachfolgeprozessen eine neue Grundlage erhalten. „Die Digital Humanities werden kontinuierlich als Forschungsschwerpunkt der BAdW gestärkt. Ich freue mich, dass wir mit diesem Projekt dazu beitragen können, die juristische und historische Forschung zu den Nürnberger Nachfolgeprozessen maßgeblich zu befördern“, so Akademiepräsident Markus Schwaiger.
Datenerschließung für die Forschung
Im Zentrum des Projekts steht die digitale Präsentation der historischen Akten, die in drei Erschließungsstufen aufbereitet werden: Von der Digitalisierung über die Verschlagwortung bis hin zur zweisprachigen Kommentierung. „Mit der digitalen Bereitstellung dieses gewaltigen Unterlagenkomplexes eröffnen sich der Forschung und der Öffentlichkeit neue und deutlich verbesserte Möglichkeiten des Zugriffs und der Auswertung“, unterstreicht Generaldirektor Bernhard Grau (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns). Mithilfe von KI-basierten Analysen sollen neue Erkenntnisse zu biografischen Netzwerken, juristischen Zurechnungsmodellen und den dynamischen Prozessen der Nachkriegsjustiz gewonnen werden. Besonders innovativ ist die Möglichkeit, interaktive Visualisierungen zu erstellen, die komplexe Zusammenhänge zwischen Akteurinnen/Akteuren, Beweismitteln und juristischen Konzepten sichtbar machen.
Bedeutung für die internationale Forschung
Die digitale Plattform will Forschenden weltweit einen offenen Zugang bieten und neue Forschungsfragen inspirieren. „Die Nürnberger Nachfolgeprozesse markieren nicht nur juristisch, sondern auch historisch einen Meilenstein“, erklärt Simone Derix, Inhaberin des FAU-Lehrstuhls für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte und ebenfalls. „Mit DigiNMT schaffen wir die Grundlage, um ihre Bedeutung für die Entwicklung des Völkerstrafrechts und die Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen in neuer Tiefe analysieren zu können.“
Das Projekt folgt den FAIR- und CARE-Prinzipien – es sorgt also für die Auffindbarkeit, Interoperabilität und Wiederverwendbarkeit der Daten, berücksichtigt aber auch ethische und kollektive Verantwortungsaspekte. Die Datenarchitektur gewährleistet zudem die Anschlussfähigkeit für künftige Forschungsprojekte und ermöglicht Kooperationen mit internationalen Institutionen.
Projekt „Digital Nuremberg Military Tribunals“ (DigiNMT)
Laufzeit: 2024 bis 2026
Finanzierung: Bayerische Akademie der Wissenschaften
Projektpartner: Bayerische Akademie der Wissenschaften, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien, Staatsarchiv Nürnberg
Kontakt:
Prof. Dr. Christoph Safferling
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg | Fachbereich Rechtswissenschaft
E-Mail: Str1@fau.de