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Neue Mitglieder: Die Bayerische Akademie der Wissenschaften hat gewählt
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27. März 2002
Einmal im Jahr wählt die Bayerische Akademie der Wissenschaften neue Mitglieder - gemäß ihrer Satzung allesamt Wissenschaftler 'deren Leistung sich nicht in der Übermittlung oder Anwendung bereits vorhandener Erkenntnisse erschöpft, sondern eine wesentliche Erweiterung des Wissensbestandes darstellt'.
Damit die ordentlichen Mitgliedern an den regelmäßig in München stattfindenden Sitzungen teilnehmen können, müssen sie auch in Bayern wohnen. Die korrespondierenden Mitglieder dagegen kommen aus aller Welt. Alle Mitglieder pflegen nicht nur einen fächerübergreifenden wissenschaftlichen Gedankenaustausch, sondern sie leiten auch die aktuell 39 an und bei der Akademie angesiedelten Kommissionen, in denen derzeit 83 Forschungsprojekte bearbeitet werden. Zusätzlich betreiben zwei dieser Kommissionen Institute: das in der Münchner Innenstadt gelegene Leibniz-Rechenzentrum und das in Garching angesiedelte Walther-Meißner-Institut für Tieftemperaturforschung. Die Anzahl aller Mitglieder ist begrenzt.
In diesem Jahr hat die Bayerische Akademie der Wissenschaften neun ordentliche Mitglieder gewählt. Ebenfalls neun neue Mitglieder sind zu den korrespondierenden Wissenschaftlern hinzugekommen.
Die Bayerische Akademie der Wissenschaften wurde 1759 in München gegründet. Mit über 300 hauptamtlichen Mitarbeitern und einem Jahresetat von rund 34 Mio. Euro ist sie heute die größte der insgesamt sieben wissenschaftlichen Akademien der Bundesrepublik. Ihr Schwerpunkt ist Grundlagenforschung und die Realisierung langfristiger Forschungsprojekte im geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Bereich. Als gelehrte Gesellschaft unterhält die Akademie darüber hinaus interdisziplinäre und internationale Kontakte und fördert die Zusammenarbeit von Vertretern unterschiedlicher Forschungsgebiete. Neben der Erstellung von wissenschaftlichen Wörterbüchern, Werkverzeichnissen und kritischen Gesamtausgaben, die eine unverzichtbare Grundlage der universitären Forschung und Lehre darstellen, veranstaltet die Bayerische Akademie der Wissenschaften Symposien zu innovativen Themen der Forschung, u.a. im Bereich der Ökologie und der Medizin.
Ihrer Verpflichtung, die jeweils Besten ihres Faches zuzuwählen, kam die Bayerische Akademie im Jahr 2002 mit der Wahl folgender Professoren nach:
Andreas Höfele (Englische Literaturwissenschaft) und Harald Siems (Deutsche Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht) sind neue ordentliche Mitglieder der Philosophisch-historischen Klasse; Christoph Bräuchle (Physikalische Chemie), Eva-Bettina Bröcker (Dermatologie und Venerologie), Franz Durst (Strömungsmechanik), Joachim Hagenauer (Nachrichtentechnik), Friedrich Pukelsheim (Stochastik und ihre Anwendungen), Walter Sebald (Physiologische Chemie) und Karl Otto Stettner (Mikrobiologie) sind neue ordentliche Mitglieder der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse.
Arno Borst (Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit), Ludwig Siep (Philosophie), Anthony Stephens (Germanistik und Komparatistik) und Xavier Tilliette (Philosophie) sind neue korrespondierende Mitglieder der Philosophisch-historischen Klasse; Rosalinda Contreras-Theurel (Chemie), Antonio R. Damasio (Neurologie), Walter Gander (Informatik), Peter M. Gruber (Mathematik) und Christoph Reigber (Geodäsie) sind neue korrespondierende Mitglieder der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse.
Zu den ordentlichen Mitgliedern:
Prof. Dr. Andreas Höfele, geboren 1950, ist ordentlicher Professor der englischen Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Interpretation der Dramen Shakespeares führt literarische und theatralische Aspekte eng zusammen und öffnet so den Raum für kulturgeschichtliche Fallstudien des elisabethanischen Zeitalters bis hin zur Dramatik der Gegenwart. Höfele hat die von der Münchener Theaterwissenschaft herausgegebene Reihe "Studien zur Geschichte und Theorie der dramatischen Künste" mitgeprägt und gehört dem Vorstand der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft an.
Prof. Dr. Harald Siems, geboren 1943, ist ordentlicher Professor für Deutsche Rechtsgeschichte an der Universität Erlangen. Sein Hauptarbeitsgebiet ist die Epoche des frühen Mittelalters. Den Einfluss der Volksrechte der germanischen Stämme (Leges) auf die Rechtspraxis hat Siems ebenso untersucht wie die Nachwirkung römischer Gesetzestexte auf die unterschiedlichsten Rechtsgebiete. Siems Publikationen zeichnen sich durch besondere Quellennähe aus und nicht nur seine Habilitationsschrift "Handel und Wucher im Spiegel frühmittelalterlicher Rechtsquellen" ist heute grundlegend für alle Historiker des frühen Mittelalters.
Prof. Dr. Christoph Bräuchle, geboren 1947, ist ordentlicher Professor für Physikalische Chemie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Einen Schwerpunkt seiner Forschungsaktivitäten bildet die optische Spektroskopie in Verbindung mit Mikroskopie (Nahfeldtechnik) und Manipulation von Einzelmolekülen (Rasterkraftmikroskopie). Seine Anwendung der Einzelmolekültechniken in den Biowissenschaften hat weltweit für Aufsehen gesorgt: Erstmals konnte so der Infektionsweg eines einzelnen Virus in einer lebenden Zelle in Echtzeit beobachtet werden (Single Virus Tracing). Bräuchle ist Vorstandsmitglied des Centers for NanoScience der Ludwig-Maximilians-Universität.
Prof. Dr. Eva-Bettina Bröcker, geboren 1946, ist ordentliche Professorin für Dermatologie und Venerologie an der Universität Würzburg und Direktorin der Klinik und Poliklinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten der Universität Würzburg. Sie erforscht den sehr häufig auftretenden schwarzen Hautkrebs (malignes Melanom) mit immunzytologischen Methoden und auf molekularbiologischer Ebene. Ihr gelang der Nachweis, dass bestimmte Moleküle an der Entwicklung eines Tumors beteiligt sind, was einerseits eine Erleichterung in der Diagnostik und in der klinischen Praxis bedeutet, andererseits den Grundstein für weitere Forschungen zur körpereigenen, immunologischen Tumorabwehr des Hautorgans legte. Bröcker wirkt als Gutachterin für die Deutsche Krebshilfe und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).
Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Durst, geboren 1940, ist ordentlicher Professor für Strömungsmechanik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen. Seine Beiträge zur optischen Messtechnik haben der experimentellen Strömungsmechanik aufgrund ihrer Rückwirkungsfreiheit und Genauigkeit neue Anwendungsgebiete erschlossen. Durst gehört zu den Pionieren der Porenbrennertechnik, bei der die Verbrennung in einem porösen Medium stattfindet. Schadstoffemissionen sind hier sehr gering bei gleichzeitig hohem Wirkungsgrad. Diese Technik findet auch praktische Anwendung, z.B. in Dampfmotoren und Gasturbinenbrennkammern. 1997 erhielt er mit der TESLA Medaille einen der angesehensten Preise auf dem Gebiet der Ingenieurwissenschaften.
Prof. Dr. Joachim Hagenauer, geboren 1941, ist ordentlicher Professor für Nachrichtentechnik an der Technischen Universität München. Er befasst sich besonders mit Problemen der Quellen- und Kanalkodierung – zwei Bereiche, die er beide zusammenführt, um auch die durch den Übertragungskanal hervorgerufenen linearen Verzerrungen zu berücksichtigen. Mit seinem Namen verbunden ist der Ausbau des Viterbi-Algorithmus zur Verarbeitung kontinuierlicher Ausgangswerte beim Entwurf von Entzerrern. Hagenauer hat einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der modernen digitalen Nachrichtenübertragung geleistet (CD, Mobilfunk und Internet). 1999 haben ihm die Studenten der Elektrotechnik an der TU München den Preis für die beste Lehre zugesprochen.
Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim, geboren 1948, ist ordentlicher Professor für Stochastik und ihre Anwendungen an der Universität Augsburg. Seine Arbeiten decken ein breites Spektrum der angewandten Mathematik ab, von Regressionsanalysis über stochastische Matrizen, Designproblemen bis zu statistischen Fragestellungen bei Wahlanalysen. Auf dem Gebiet der Versuchsplanung lieferte er Lösungsmöglichkeiten für das Problem der optimalen Stichprobenauswahl, was bei Qualitätskontrollen in der Fertigungsindustrie ebenso eine Rolle spielt wie bei landwirtschaftlichen Versuchsreihen. 1994 hat er – zusammen mit Prof. Dr. N.R. Draper – den Max-Planck-Forschungspreis erhalten.
Prof. Dr. Walter Sebald, geboren 1941, ist ordentlicher Professor für Physiologische Chemie an der Universität Würzburg. Die Kraftwerke der Zelle – die Mitochondrien - dienen der Atmung und dem Stoffwechsel der Zelle. Sebald gelang es, die Proteine, die in den Mitochondrien an der oxidativen Energie-ATP-Bildung beteiligt sind zu identifizieren. Das Molekül Adenintriphosphat (ATP) ist der zentrale chemische Energieträgers des menschlichen Körpers. In der Genetik und Biogenese mitochondrialer Proteine erwarb er sich schon einen internationalen Ruf, bevor er begann, Struktur und Funktion von Cytokinen und deren Rezeptoren zu erforschen. Cytokine sind Proteine von relativ geringem Molekulargewicht und werden von Zellen des Immunsystems abgesondert. Sebald ist Mitglied der New York Academy of Sciences.
Prof. Dr. Karl O. Stetter, geboren 1941, ist ordentlicher Professor für Mikrobiologie an der Universität Regensburg. Bakterien, die selbst unter extremen Bedingungen überleben können, wie z.B. in kochendem Wasser (sogar bis zu 113° C) oder in sehr sauerer Umgebung (pH-Wert 1) sind die Lebewesen, die er erforscht. Stetter gelang die Isolierung, Charakterisierung und Großanzucht hyperthermophiler Prokaryonten aus festländischen und submarinen Vulkangebieten. Er hat mehr als 50 Arten, von denen 90 % zu den Archaeen gehören, sowie 7 neue Ordnungen erstmals beschrieben. Das von ihm aufgebaute Archae-Zentrum an der Universität Regensburg ist einmalig auf der Welt. 1988 erhielt er den Gottfried-Wilhelm-Leibniz Preis, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft verliehen wird. Stetter ist externes Mitglied der Life Sciences-Fakultäten der University of California, Los Angeles und Mitbegründer der Biotech-Firma Diversa, San Diego, Kalifornien.
Zu den Korrespondierenden Mitgliedern:
Prof. Dr. Arno Borst, geboren 1925, ist emeritierter ordentlicher Professor der Geschichte des Mittelalters an der Universität Konstanz. Einem breiten Publikum ist Borst vor allem durch sein Buch "Lebensformen im Mittelalter" bekannt, in dem Quellen aus der Zeit vom 6.-16. Jahrhundert so aufbereitet sind, dass auch fachfremde Leser ein sehr differenziertes und anschauliches Bild dieser Zeit erhalten. In "Der Turmbau von Babel" verfolgte Borst in sechs Bänden Ursprung und Vielfalt der Völker und Sprachen von der Antike bis ins 18. Jahrhundert und sprengte damit die gängige Vorstellung von dem, was ein einziger Gelehrter allein und ohne Computer zu leisten imstande ist. Für seine mathematischen Darlegungen – u.a. zum numerischen Spieltrieb – erhielt er die Carl-Friedrich-Gauß-Medaille.
Prof. Dr. Ludwig Siep, geboren 1942, ist ordentlicher Professor der Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er habilitierte sich über die "Anerkennung als Prinzip der Praktischen Philosophie" und ist ein ausgewiesener Kenner der "klassischen" deutschen Philosophie von Fichte bis zu Hegels "Phänomenologie des Geistes". Sein zweiter Forschungsschwerpunkt neben der Praktischen Philosophie ist die Ethik: Siep arbeitet an einem systematischen Entwurf zur Ethik und hat zahlreiche Aufsätze zur Medizin- und Bioethik publiziert. Er ist Mitglied der Zentralen Ethik-Kommission bei der Bundesärztekammer.
Prof. Dr. Anthony Stephens, geboren 1941, ist ordentlicher Professor der Germanistik und Komparatistik an der University of Sydney, Australien. Nach seiner Promotion über "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" verfasste er noch zwei weitere Bücher zum Werk Rainer Maria Rilkes, die eine entscheidende Wende in der Beurteilung der Poetologie Rilkes herbeiführten. Auch in der Kleist-Forschung setzte er mit "Sprache und Gewalt" neue Akzente. Die Antikenrezeption Nietzsches ist ein weiterer Forschungsschwerpunkt von Stephens, der hier Literatur, bildende Kunst, Musik und Philosophie miteinander verknüpft. Er ist Mitglied der Australian Academy of the Humanities.
Prof. Dr. Xavier Tilliette, geboren 1921, ist emeritierter ordentlicher Professor der Philosophie an der Pontifica Università Gregoriana, Rom. Er gehört dem Jesuitenorden an und gilt als der bedeutendste Schellingforscher Frankreichs. In "Schelling. Une philosophie en devenir" stellte er dem französischen Leser zum ersten Mal das Werk Schellings vollständig vor. Zuletzt veröffentlichte er eine französische Schelling-Biographie und eine deutsche Edition des Briefwechsels von Schelling mit Eliza Tapp. 2001 ehrte ihn die Humboldt-Universität in Anerkennung der Verdienste um die Förderung der historisch-kritischen Schelling-Forschung mit der Humboldt-Medaille.
Prof. Dr. Rosalinda Contreras-Theurel, geboren 1946, ist ordentliche Professorin der Chemie am Centro de Investigación y de Estudios Avanzados del Instituto Politécnico Nacional (CINVESTAV), Méxiko. Nach ihrer Promotion über optisch aktive pentakoordinierte Phosphor-Verbindungen dehnte sie ihre Forschung auf die Chemie des Bors und Zinns aus. Zahlreiche neue Heterocyclen des Bors wie borhaltige Purinbasen oder Thiazoline, von denen man sich eine Anwendung bei der Tumorbekämpfung verspricht, konnten durch ihre Synthesen erschlossen werden. Contreras-Theurel beschäftigt sich außerdem mit Übergangsmetallverbindungen und der Koordinationschemie von biologisch bzw. medizinisch relevanten multifunktionellen Liganden. 1986 erhielt sie als erste Frau den Nationalpreis für die exakten Wissenschaften, Méxikos höchste naturwissenschaftliche Auszeichnung.
Prof. Dr. Antonio R. Damasio, geboren 1944, ist ordentlicher Professor der Neurologie an der University of Iowa, USA. Er befasst sich mit grundlegenden Problemen der Neurowissenschaften wie der neuralen Basis von Entscheidungsfindung, Emotion, Sprache und Gedächtnis. Neben der neuropsychologischen und neuroanatomischen Erforschung des menschlichen Selbst-Bewusstseins und Verhaltens hat er außerdem die Entstehung und Entwicklung von Parkinson und Alzheimer untersucht. Seine zwei Bücher "Descartes' Error: Emotion, Reason and the Human Brain" und "The Feeling what happens: Body, Emotion and the Making of Consciousness" sind Besteller.
Prof. Dr. Walter Gander, geboren 1944, ist ordentlicher Professor für Informatik an der ETH Zürich. Sein Schwerpunkt ist die Numerische Mathematik auf dem Grenzgebiet Mathematik/Informatik. Er hat über zahlreiche Probleme der numerischen linearen Algebra gearbeitet wie z.B. Varianten und Modifikationen der Gaußschen Methode der kleinsten Quadrate mit und ohne Nebenbedingungen. Gander hat eine Reihe sehr effizienter Algorithmen für serielle und parallele Rechner entworfen. Seine Werk "Solving Problems in Scientific Computing using Maple and Matlab" wurde u.a. ins Chinesische übersetzt.
Prof. Dr. Peter Gruber, geboren 1941, ist ordentlicher Professor für Analysis an der Technischen Universität Wien. Sein Schwerpunkt ist die Zahlentheorie und ihre Verbindungen zur Geometrie. Seit vielen Jahren arbeitet er auch auf dem Gebiet der Konvexität, einem Gebiet, das zwischen Geometrie, Analysis und diskreter Mathematik angesiedelt ist mit Ausläufern in die klassische und moderne Analysis. Hierzu gehören beispielsweise Aussagen vom Baireschen Typ, Approximationsprobleme und Stabilitätsfragen. Gruber ist Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kultur Erster Klasse.
Prof. Dr. Christoph Reigber, geboren 1939, ist ordentlicher Professor am Institut für Geowissenschaften der Universität Potsdam. Die Erfassung und Modellierung des Gravitationsfeldes der Erde ist das zentrale Thema seiner wissenschaftlichen Arbeiten. Ähnlich erfolgreich beschäftigte er sich mit der globalen Erfassung der Meeresspiegelvariationen mittels Satellitenradaraltimetrie und der Erfassung geotektonischer Bewegungsabläufe mittels GPS. Zusammen mit seiner Wissenschaftlergruppe entwarf er den Forschungssatelliten CHAMP (CHAllenging Mini Satellite Payload), der im Juli 2000 in seine erdnahe Umlaufbahn geschossen wurde. Er soll fünf Jahre das Erdschwerefeld und das Erdmagnetfeld hochgenau vermessen sowie Untersuchungen der Atmosphäre und der Ionosphäre vornehmen.