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13/02

Jahrfeier der Akademie: Rückblick, Festvortrag und, Preisverleihungen

Am 07.12.02 findet die Jahrfeier der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Herkulessaal der Münchner Residenz statt: Vier Wissenschaftler werden mit Preisen im Gesamtwert von 18.000 Euro ausgezeichnet. Mit der Medaille 'Bene merenti' wird eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens gewürdigt, die sich besondere Verdienste um die Akademie erworben hat.

 

 

13/02
27. November 2002

Am 07.12.02 findet die Jahrfeier der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Herkulessaal der Münchner Residenz statt: Vier Wissenschaftler werden mit Preisen im Gesamtwert von 18.000 Euro ausgezeichnet. Mit der Medaille 'Bene merenti' wird eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens gewürdigt, die sich besondere Verdienste um die Akademie erworben hat.

Nach dem Einzug der ordentlichen Akademiemitglieder im Talar begrüßt der Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Prof. Dr. Dr. mult. h.c. Heinrich Nöth, die geladenen Gäste. Im Jahresrückblick streift er die wichtigsten Stationen der wissenschaftlichen Tätigkeit an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und gibt einen Ausblick auf die inhaltlichen Schwerpunkte im Jahr 2003.

Im Anschluss an seinen Rechenschaftsbericht verleiht der Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften den Akademiepreis. Der mit 5000 Euro dotierte Preis wird auf Vorschlag der ordentlichen Akademiemitglieder an Persönlichkeiten verliehen, die nicht hauptamtlich in der Forschung tätig sind, dieser jedoch trotzdem wesentliche Fortschritte oder maßgebliche Erkenntnisse ermöglicht haben.

2002 erhält ihn Dr. Dorothea Hölscher-Lohmeyer. Die Mutter von drei Kindern widmete sich neben Haushalt und Familie auch weiterhin den Werken Johann Wolfgang von Goethes, über die sie an der Universität Frankfurt/Main bereits promoviert hatte. Die gebürtige Berlinerin veröffentlichte 1974 „Faust und die Welt. Der zweite Teil der Dichtung. Eine Anleitung zum Lesen des Textes“ beim Verlag C.H. Beck. 1997 erschien schließlich ihre mit einer Einleitung und einem umfangreichen Kommentar versehene Edition „Faust. Der Tragödie zweiter Teil.“ in der sogenannten „Münchner Ausgabe“ (Goethes Sämtliche Werke im Hanser-Verlag), einer Edition, der sie auch als Herausgeberin verbunden ist. Neben Faust II hat sie über das Alterswerk Goethes und die Zusammenhänge von naturwissenschaftlichem Denken und poetischer Aussage gearbeitet und eine Biographie des Dichters verfasst, die 1999 ebenfalls im Verlag C.H. Beck erschienen ist. Mit der 1913 geborenen Wahlmünchnerin würdigt die Bayerische Akademie der Wissenschaften eine der imponierendsten Goethe-Forscherinnen und ein ebenso gelehrtes wie bedeutendes Lebenswerk, das nicht im Schutz der Bildungsinstitutionen, sondern in freier Eigenverantwortung entstanden ist.

Max-Weber-Preis

Mit dem Max-Weber-Preis fördert die Philosophisch-historische Klasse der Bayerischen Akademie junge Nachwuchswissenschaftler. 2002 erhält Stefan Vogenauer, wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg, den mit 4000 Euro dotierten Preis.

Der 1968 in Eutin (Schleswig-Holstein) geborene Volljurist und Magister juris (Oxford) erhält die Aus­zeichnung für seine Monographie „Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent. Eine vergleichende Untersuchung der Rechtssprechung und ihrer historischen Grundlagen“, die 2001 im Verlag Mohr Siebeck, Tübingen, erschienen ist.

Das 1481 Seiten umfassende Werk widmet sich einem Zentralproblem der Europäisierung von Recht und Rechtswissenschaft: Die Möglichkeit, ein europaweit einheitliches Recht zu schaffen, wird regelmäßig mit dem Argument in Frage gestellt, in England würden Gesetze nach ganz anderen Methoden ausgelegt als in den kontinentalen Rechtsordnungen.

Vogenauer widerlegt dieses Argument durch eine Fülle von Fallanalysen aus der englischen, deutschen, französischen und gemeinschaftsrechtlichen Rechtssprechung. Ihm gelang der Nachweis, dass es schon heute eine gemeineuropäische Auslegungspraxis und einen gemeinsamen Methodenkanon gibt und somit einer gemeinschaftsrechtlichen Rechtssprechung nichts mehr im Wege steht. Auch die Geschichte der juristischen Methoden, die bislang nur bruchstückhaft erforscht war, stellt er unter Heranziehung zahlreicher historischer Quellen umfassend dar. Mit dem Max-Weber-Preis, der auf Vorschlag der Mitglieder der Philosophisch-historischen Klasse verliehen wird, würdigt die Bayerische Akademie der Wissenschaften eine wissenschaftliche Leistung, die unser Verständnis der Grundlagen europäischen Rechts und europäischer Rechtskultur maßgeblich fördert.

Arnold-Sommerfeld-Preis

Der Arnold-Sommerfeld-Preis 2002, mit dem die Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften junge Wissenschaftler fördern möchte, geht an Prof. Dr. Frank Würthner, Lehrstuhl für Organische Chemie II der Universität Würzburg. Der 1964 in Villingen-Schwenningen geborene Chemiker beschäftigt sich mit funktionellen Farbstoffen, der Grundlage für sogenannte „intelligente Materialien“. An der Universität Stuttgart, wo er auch promovierte, entwickelte er einen neuen Farbstofftyp mit ungewöhnlich großer Solvatchromie. Während seines Post-Doc-Aufent­haltes am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Cambridge, USA, gelang ihm die Synthese eines Systems mit photoschaltbaren Templateffekten, die sofort internationale Beachtung fand. Nach kurzer Industrietätigkeit bei der BASF konzipierte er in seiner Habilitationsarbeit an der Universität Ulm mit originellen Synthesen neuartige Merocyanine für Gläser, stark fluoriszierende Systeme mit ausgeprägter Selbstorganisation und spezifische Proteinmarker für die Fluoreszensanalyse. Der mit 4000 Euro dotierte Preis geht an Frank Würthner, der bereits im Alter von 38 Jahren einen Ruf auf eine C4-Professur in Würzburg angenommen hat. Mit seinem interdisziplinär angelegten Arbeitsgebiet knüpft er fruchtbare Kontakte zur Physik – ein in Deutschland bislang zu wenig praktizierter, zukunftsträchtiger Forschungsansatz.

Robert-Sauer-Preis

Den nur alle zwei Jahre verliehenen und mit 5000 Euro dotierten Robert-Sauer-Preis erhält Dr. Petra Huhn, wissenschaftliche Angestellte am Lehrstuhl für Diskrete Mathematik, Optimierung und Operations Research der Universität Augsburg. Die 1967 in Leverkusen geborene Mathematikerin promovierte über „Schranken für die durchschnittliche Laufzeit des Simplexverfahrens und von Innere-Punkte-Verfahren“ an der Universität Augsburg. Für ihr mit dem Bayerischen Habilitationsförderpreis gefördertes Habilitationsprojekt erhält sie den Preis, mit dem die Akademie wissenschaftliche Leistungen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich auszeichnet, die nicht nur durch ihre theoretische Analyse überzeugen, sondern auch für verschiedenste Anwendungen geeignet sind. In ihrer Forschungsarbeit beschäftigt sich Petra Huhn mit der durchschnittlichen Rechenzeit, die auf Computern für die Lösung linearer Optimierungsprobleme benötigt wird. Optimierungsaufgaben dieser Art sind Teil zahlreicher Fragestellungen in Naturwissenschaft und Technik oder den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Eine bekannte Lösungsmethode für diese Probleme ist das klassische Simplexverfahren. In jüngerer Zeit wurde es durch das moderne Innere-Punkte-Verfahren abgelöst. Die Vorteile des modernen Verfahrens gegenüber dem alten konnten bislang jedoch nur empirisch begründet werden. Dr. Petra Huhn gelang es, die beobachteten Vorzüge des Innere-Punkte-Verfahrens auch theoretisch sauber und praktisch befriedigend zu erklären.

Die Medaille "Bene merenti"

Diese Auszeichnung wird verliehen für besondere Verdienste um die Bayerische Akademie der Wissenschaften. 2002 erhält Dr. Mathilde Berghofer-Weichner, Staatsministerin für Justiz a.D., die Medaille „Bene merenti“ in Silber. 1974 trat sie als Staatssekretärin im Kultusministerium in das bayerische Kabinett ein. Von 1986 bis 1993 war sie als Justizministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin die erste Frau an der Spitze eines Ressorts in Bayern. Seit 1992 ist sie Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung zur Förderung der Wissenschaften, das vor allem wissenschaftliche Vorhaben an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unterstützt.

Festvortrag

Den Festvortrag hält Dr. jur. Hans Zacher, emeritierter Professor des öffentlichen Rechts, insbesondere des deutschen und bayerischen Staats- und Verwaltungsrechts, und ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Er wird zum Thema „Deutschland den Deutschen? Die wechselvolle Geschichte des sozialen Einschlusses im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts“ sprechen.

Unter „sozialem Einschluss“ fasst Zacher den Zugang des Menschen zu den Voraussetzungen seines physischen und geistigen Lebens zusammen. Damit ihr/ihm dieser Zugang offen steht, bedarf es eines differenzierten privaten und öffentlichen Umfeldes. Dieses Umfeld zu schaffen ist Aufgabe des Staates. Wie ist der deutsche Staat dieser Aufgabe in den letzten zwei Jahrhunderten gerecht geworden? Ist er ihr überhaupt gerecht geworden? Zacher geht davon aus, dass der Staat ein wesentlicher Träger des sozialen Einschlusses ist. Die Einheiten des Einschlusses bilden „Inlandsgesellschaften“, die aus den „Eigenen“ (Staatsangehörigen, Staatsbürgern) und „Fremden“ bestehen. Doch wer gehört zu den „Eigenen“ und wer zu den „Fremden“? Der Staat verfügt offensichtlich auch über ein Potenzial des Ausschlusses. Wer vom Staat als „Eigener“ angenommen oder als „Fremder“ in seiner „Inlandsgesellschaft“ gerne gesehen oder geduldet wird, folgt aus einer komplexen Vielfalt von Werten und Interessen, die der Staat für sich in Anspruch nimmt und politisch und rechtlich administriert.

Wie sich die Welt dieser Werte und Interessen von den Gliedstaaten des Deutschen Bundes an über das Kaiserreich bis hin zur Weimarer Republik stets weiter verdichtet hat, wird zunächst dargestellt.

Die rechtliche Ordnung zielte in dieser Zeit vor allem darauf, das Inland als Raum des sozialen Einschlus­ses zu integrieren. Das totalitäre, rassistische und imperialistische Reich dagegen zerriss die „Inlandsgesellschaften“ von Anfang an in Eingeschlossene und Ausgeschlossene. Von 1939 an verbreitete es den Terror des Ausschlusses über alle eroberten und sonstigen beherrschten Gebiete – verbunden mit der Verlockung des Einschlusses der Volksdeutschen. Vom Zusammenbruch an versuchte das zersplitterte „Kontrollrats-Deutschland“ allen Einschluss zu bieten, die darin lebten oder dahin einströmten. Von 1949 an verwirklichten die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik zwei elementar unterschiedliche Konzepte des Einschlusses: nicht nur staats- und gesellschaftspolitisch, sondern auch im Verhältnis zur deutschen Geschichte. Die Deutsche Demokratische Republik war durch ihren zeitlichen und territorialen Rahmen abschließend definiert. Die Bundesrepublik Deutschland nahm sich dagegen auch des „Erbes“ des Deutschen Reiches an. Im weiteren Verlauf schuf die freiheitliche Verfassung der Bundesrepublik Deutschland spezifische Voraussetzungen für die Entwicklung der „Inlandsgesellschaft“. Die europäische Integration ließ die Bundesrepublik Deutschland darüber hinaus in das sich vereinigende Europa hineinwachsen. Das vereinigte Deutschland steht zudem im Kontext der Werte und Interessen der „Einen Welt“. Das hat zu einer äußersten Steigerung der Komplexität und Verdichtung der Welt der Werte und Interessen geführt, über die bei der Abgrenzung der Staatsangehörigkeit und des Zugangs zur Inlandsgesellschaft entschieden wird.