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Föderalismus und Parlamentarismus in Deutschland
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15. März 2006
Der Zeithistoriker Gerhard A. Ritter greift mit einer aktuelle Veröffentlichung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in die laufende Föderalismus-Debatte ein.
Gerhard A. Ritter: Föderalismus und Parlamentarismus in Deutschland in Geschichte und Gegenwart. (=Sitzungsbericht der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 2005, Heft 4). Verlag C.H. Beck, München 2005. ISBN 3 7696 1635 9, 6.50 Euro.
In der Abhandlung über das spannungsgeladene Verhältnis von Föderalismus und Parlamentarismus in der deutschen Geschichte seit der Gründung des Deutschen Bundes 1815 werden eingehend auch der Charakter des deutschen Föderalismus als Staaten- oder Exekutivföderalismus, die Entwicklung des Föderalismus seit 1949 und die Problemen einer Föderalismusreform erörtert. Kennzeichnend ist die immer stärkere Verflechtung von Bund und Ländern, die auf Kosten der Transparenz der Politik und der klaren Zuordnung von Verantwortung geht und die zunehmende Dominanz der Parteipolitik im Bundesrat, die immer wieder zur Blockierung wichtiger politischer Entscheidungen führt. Die Probleme einer Föderalismusreform werden diskutiert. Über die von der Großen Koalition vorgelegten Reformpläne hinausgehend erörtert der Verf. die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Finanzverfassung und wirft die Frage auf, ob nicht die vorgesehene Abweichungsgesetzgebung den Druck auf eine Neugliederung des Bundesgebietes erhöhen wird, da nur größere und finanzstarke Länder die neuen Möglichkeiten ausschöpfen können. Weiter wird eine Neuordnung des Abstimmungsmodus im Bundesrat bei Zustimmungspflichtigen Gesetzen vorgeschlagen. Als Konsequenz der sich abzeichnenden Veränderungen im Parteiensystem, die es immer unwahrscheinlicher machen, dass die im Bund regierenden Parteien über die Länderregierungen auch über eine Mehrheit im Bundesrat verfügen, wird gefordert, dass in Zukunft Zustimmungspflichtige Gesetze statt der absoluten Mehrheit der Stimmen nur noch die Mehrheit der tatsächlich abgegebenen Stimmen erhalten müssen. Damit wird ausgeschlossen, dass sog. „neutrale“ Länderregierungen, bei denen eine der koalierenden Parteien im Bund in der Opposition ist, die Annahme eines Gesetzes im Bundesrat durch Stimmenthaltung verhindern können. Anfang März 2006 entfallen auf solche „neutralen“ Regierungen, die von einer der Bonner Regierungsparteien mit einer oppositionellen kleineren Partei als Partner geführt wird, 33 der 69 Stimmen des Bundesrates.
Die Abhandlung zeigt die historischen Perspektiven der gegenwärtigen Diskussion auf und erweitert diese durch konkrete Vorschläge. Sie ist über den Buchhandel zu beziehen.
Angaben über Gerhard A. Ritter: Geb. 1929, Dr. phil. 1952, Habilitation 1961, Prof. für Politische Wissenschaften an der FU Berlin 1962–65, Prof. für Neuere und Neueste Geschichte in Münster 1965–1974 und München 1974–1994, seitdem Emeritus. Gastprofessor u.a. in Oxford, Berkeley und Tel Aviv. Prof. Dr. Dr. h.c. der Universität Bielefeld und der Humboldt-Universität Berlin. B. Lit. der Universität Oxford. Honorary Fellow des St. Antony’s College Oxford. Von 1980–2001 ord. Mitgl. der Bayer. Akademie der Wissenschaften, seitdem nach dem Umzug nach Berlin korrespondierendes Mitglied. Historiker und Politikwissenschaftler mit den Schwerpunkten Neuere Sozial- und Verfassungsgeschichte Deutschlands und Großbritanniens seit dem 17. Jahrhundert, vergleichende Geschichte des Sozialstaates, Geschichte und Gegenwartsprobleme des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Viele Veröffentlichungen zu diesen Gebieten.