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Heinrich-Wieland-Preis für Akademiemitglied Matthias Tschöp

Akademiemitglied Matthias H. Tschöp, © Helmholtz Zentrum München
Akademiemitglied Matthias H. Tschöp, © Helmholtz Zentrum München

Für seine bahnbrechenden Forschungen zu Adipositas und Diabetes Typ 2 erhielt Prof. Dr. Matthias Tschöp, Akademiemitglied und wissenschaftlicher Geschäftsführer am Helmholtz Zentrum München, den renommierten Heinrich-Wieland-Preis.

 

Adipositas, also starkes Übergewicht, sowie damit verbunden ein erhöhtes Risiko für Diabetes Typ 2, gehören weltweit zu den am weitesten verbreiteten Volkskrankheiten und können schwerwiegende Folgen für die Betroffenen haben. Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2022 festgestellt, dass in Europa rund 60 % aller Erwachsenen und nahezu jedes dritte Kind übergewichtig oder sogar adipös sind. Der weltweite Trend zu zunehmendem Übergewicht scheint unaufhaltsam zu sein. „Schätzungen zufolge sind allein in Europa 1,2 Millionen Todesfälle auf Übergewicht und Adipositas zurückzuführen: Das ist jeder achte Todesfall“, sagt Franz-Ulrich Hartl, der Vorsitzende des Auswahlkomitees für den Heinrich-Wieland-Preis.

Bislang gab es  abgesehen von der hochinvasiven Magenbypass-Operation  keine medikamentösen Wege, Adipositas effektiv zu bekämpfen. Das wird sich nun dank der bahnbrechenden Forschungserfolge von Matthias Tschöp und seinem Team ändern. Der Wissenschaftler und Arzt hat in der Adipositas- und Diabetesforschung eine beeindruckende Erfolgsbilanz vorzuweisen. Neben seiner Entdeckung des Hungerhormons Ghrelin im Jahr 2000 arbeitete er eng mit seinem langjährigen Forschungspartner, dem Chemiker Richard DiMarchi, zusammen. Gemeinsam legten sie den Grundstein für eine völlig neue Wirkstoffklasse der Zwei- und Dreifach-Darmhormon-Medikamente, bekannt als „Polyagonisten“.

„Adipositas ist eine Erkrankung im Gehirn!“

Ein erster Schritt auf dem Weg zu dem neuartigen Medikament lag in der frühzeitigen Erkenntnis, wo die Schlüsselhormone zur Regulierung des Körpergewichts wirken: „Adipositas ist eine Erkrankung im Gehirn! Diese Erkenntnis war neu und hat uns in die richtige Richtung gelenkt“, erklärt Tschöp. Es folgte jahrelange Forschung, bis Tschöp und sein Team schließlich drei geeignete Hormone, die im Darm selbst gebildet werden, entdeckten: Glukagon, GLP-1 und GIP. Um diese im menschlichen Körper einzusetzen, mussten die drei Hormone chemisch miteinander zu einem einzigen Wirkstoffmolekül verbunden werden: Dazu wählten die Forschenden gezielt bestimmte Aminosäuren aus den metabolisch aktiven Darmhormonen aus und veränderten die entstandene Verbindung, bis sie haltbar, stabil und löslich genug war, um im Körper eingesetzt zu werden. Das Ergebnis war eine neue Klasse von Therapeutika mit einer beispiellosen Wirkung auf den gesamten Stoffwechsel adipöser Patientinnen und Patienten und einem beachtlichen Gewichtsverlust. Die neuen Multi-Rezeptor-Medikamente sorgen derzeit weltweit mit ihrer Erfolgsbilanz für Aufsehen. Im vergangenen Jahr erhielten die ersten Polyagonisten ihre Medikamentenzulassung in den USA und derzeit befinden sich mehr als zehn weitere in klinischen Studien. Dies deutet auf den Beginn einer neuen Ära in der Stoffwechselmedizin hin.

Die nächste Generation personalisierter Medikamente

Nur einen Haken gibt es noch: Bislang hält der Effekt des Medikaments nur so lange an, wie die Einnahme erfolgt. Wird der Wirkstoff abgesetzt, kann es bei den Betroffenen schnell zu einer erneuten Gewichtszunahme kommen. Tschöps Forschungen werden sich in Zukunft deshalb unter anderem auf die Frage konzentrieren, wie der positive Effekt der Medikamente verstetigt werden kann, ohne ein Leben lang an der medikamentösen Behandlung festhalten zu müssen. Außerdem schwebt ihm schon die nächste Generation von Stoffwechselmedikamenten vor: „Wir wollen eine noch präzisere Medizin für metabolische Erkrankungen. Mit den Polyagonisten haben wir begonnen, die nächste Generation personalisierter Medikamente zu entwickeln“, so Tschöp.

Der Heinrich-Wieland-Preis der Boehringer Ingelheim Stiftung

Der Heinrich-Wieland-Preis ehrt weltweit herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre bahnbrechende Forschung zur Chemie, Biochemie und Physiologie biologisch aktiver Moleküle und Systeme sowie deren klinische Bedeutung. Die festliche Preisübergabe an Matthias Tschöp erfolgte am Abend des 19. Oktober im Münchner Künstlerhaus im Anschluss an ein wissenschaftliches Symposium über Stoffwechsel und Adipositas. „Die Verleihung des Heinrich-Wieland-Preises 2023 ist eine große Ehre und zugleich eine schöne Anerkennung für die jahrelange harte Arbeit des gesamten Teams.“, sagt Tschöp. „Die Auszeichnung zeigt, dass bahnbrechende Entdeckungen, denen jahrzehntelange herausragende Grundlagenforschung vorausgeht, die Medizin und die Gesellschaft nachhaltig verbessern können. Sie verdeutlicht, wie wichtig es ist, konsequent weiter an medizinischen Innovationen zu forschen, dranzubleiben und die Zukunft der Gesundheitsversorgung aktiv zu gestalten. Denn nur so können wir die Lebensqualität der Menschen erhalten und die großen Herausforderungen der Zukunft bewältigen.“

Mehr zum Thema Adipositas und Diabetes erfahren Sie in unserem Podcast mit Matthias Tschöp: Typ-2-Diabetes: Forschung für maßgeschneiderte Medizin