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06/16

Wärmefluss bringt Spins zum Rotieren

Ein internationales Forscherteam legt neue Erkenntnisse über Spinwellen in Materialien mit komplexer Spinstruktur vor: Die Spinwellen können in elektrisch nichtleitenden Materialen durch ein Temperaturgefälle erzeugt und dann in einer benachbarten metallischen Schickt in elektrische Ströme umgewandelt werden – so kann Wärme in elektrische Energie umgewandelt werden. Beteiligt an dem gemeinsamen Forschungsprojekt sind unter anderen Wissenschaftler des Walther-Meißner-Instituts (WMI) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

 

 

06/16
12. Februar 2016

Ein internationales Forscherteam legt neue Erkenntnisse über Spinwellen in Materialien mit komplexer Spinstruktur vor: Die Spinwellen können in elektrisch nichtleitenden Materialen durch ein Temperaturgefälle erzeugt und dann in einer benachbarten metallischen Schickt in elektrische Ströme umgewandelt werden – so kann Wärme in elektrische Energie umgewandelt werden. Beteiligt an dem gemeinsamen Forschungsprojekt sind unter anderen Wissenschaftler des Walther-Meißner-Instituts (WMI) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Ein Temperaturunterschied in einem Festkörper (ein sog. Temperaturgradient) führt einem endlichen Wärmetransport. In Isolatoren wird die Wärme hierbei durch elementare Anregungen des Kristallgitters (Phononen) transportiert. In elektrisch leitfähigen Materialien tragen zudem auch die beweglichen elektrischen Ladungen zum Wärmestrom bei. Wie Thomas Johann Seebeck bereits 1821 entdeckte, führt dies zu einem thermisch induzierten elektrischen Feld. Dieses Phänomen wird nach seinem Entdecker Seebeck-Effekt genannt und spielt heute z.B. in Thermoelementen zur Messung von Temperaturdifferenzen eine wichtige Rolle.

In magnetisch geordneten Materialien bilden elementare Anregungen des Spinsystems (Magnonen) einen weiteren Transportkanal für Wärme. Vor wenigen Jahren wurde entdeckt, dass solche thermisch getriebenen Spinströme zu einer „magnetischen Spannung“ führen. In Analogie zum ladungsbasierten Seebeck-Effekt wird dieses Phänomen Spin-Seebeck-Effekt genannt. Da Spinströme den Transport von Information und Energie erlauben, besitzen sie ein breites Anwendungspotential und werden intensiv untersucht.

Allerdings haben wir bis heute noch kein fundiertes Verständnis für den Spintransport durch Temperaturgradienten entwickelt. Dies gilt insbesondere für Materialien mit einer komplexen Spinstruktur – z.B. Magnete, die aus mehreren magnetischen Atomsorten aufgebaut sind und daher mehrere Spin-Untergitter aufweisen – und für den Spintransport über Grenzflächen. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt des Walther-Meißner-Instituts (WMI) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW), der Technischen Universität München (TUM), der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), des Institute for Material Research (IMR) der Tohoku University (Japan) und des Kavli Institute of NanoScience an der TU Delft (Niederlande) konnten zu dieser Fragestellung nun wesentliche Fortschritte erzielt werden. Die Forschungsarbeiten, die im Fachmagazin Nature Communications erschienen sind, wurden mit sogenannten kompensierten Ferrimagneten durchgeführt. Im Gegensatz zu einfachen magnetischen Materialien zeigen Ferrimagnete eine nicht triviale Temperaturabhängigkeit der Magnetisierung, welche aus dem komplizierten Wechselspiel der einzelnen magnetischen Untergitter resultiert. Es konnte gezeigt werden, dass auch in solchen Materialien mit komplizierterer Spinstruktur Temperaturgradienten zu einem Magnonenfluss führen, der interessanterweise das komplexe Magnonenspektrum dieser Materialien widerspiegelt. „Es ist faszinierend, wie die Spins durch den Wärmefluss ins Rotieren gebracht werden und wie viel interessante Informationen wir daraus gewinnen können“, sagt Dr. Stephan Geprägs, Mitarbeiter der von Dr. Sebastian T.B. Gönnenwein und Prof. Rudolf Gross geleiteten Arbeitsgruppe am WMI. Tatsächlich lassen sich aus der Temperaturabhängigkeit des Spin-Seebeck-Effekts das Wechselspiel der einzelnen magnetischen Untergitter und der Beitrag der zugrundeliegenden Magnonen rekonstruieren. Damit eröffnen Spin-Seebeck-Effekt-Messungen einen ganz neuen, sehr mächtigen Zugang zu wichtigen Informationen über die fundamentalen magnetischen Eigenschaften von komplexen Spinsystemen.

Eine interessante Anwendung des Spin-Seebeck-Effekts ist die Umwandlung von thermischer Energie in elektrische Energie. Der durch einen Temperaturgradienten in einem magnetischen Isolator erzeugte Magnonenfluss wird dabei durch einen auf die Oberfläche aufgebrachten dünnen Metallfilm in eine elektrische Spannung umgewandelt. Die genaue Kenntnis des Zusammenhangs zwischen Wärme- und Magnonenfluss ist für eine solche Spinthermoelektrische Rückgewinnung von Abwärme von fundamentaler Bedeutung.

Die Forschungsarbeiten am WMI werden durch das DFG-Schwerpunktprogramm 1538 (Spin Caloric Transport) und das Exzellenzcluster Nanosystems Initiative Munich (NIM) gefördert. Sie sind ein gutes Beispiel dafür, dass Spitzenforschung in der Festkörperphysik oft nur durch internationale Zusammenarbeit und solide Finanzierung in koordinierten Forschungsprojekten möglich ist. 

Referenz:

Origin of the spin Seebeck effect in compensated ferrimagnets
Stephan Geprägs, Andreas Kehlberger, Tomek Schulz, Christian Mix, Francesco Della Coletta, Sibylle Meyer, Akashdeep Kamra, Matthias Althammer, Gerhard Jakob, Hans Huebl, Rudolf Gross, Sebastian T.B. Goennenwein, Mathias Kläui
Nature Communications 7, 10452 (2016), doi:10.1038/NCOMMS10452

www.nature.com/ncomms/2016/160204/ncomms10452/full/ncomms10452.html

Kontakt:

Dr. Sebastian T.B. Goennenwein
Walther-Meißner-Institut, Bayerische Akademie der Wissenschaften
Physik-Department, TU München
und Nansystems Initiative Munich (NIM), München
Tel.: +49 (0)89 / 289 –14204
E-Mail: goennenwein@wmi.badw.de
Web: http://www.wmi.badw.de/

Prof. Dr. Rudolf Gross
Walther-Meißner-Institut, Bayerische Akademie der Wissenschaften
Physik-Department, TU München
und Nansystems Initiative Munich (NIM), München
Tel.: +49 (0)89 / 289 –14201
E-Mail: Rudolf.Gross@wmi.badw.de
Web: http://www.wmi.badw.de/