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Wortweise: Früher war mehr ‚jûl‘

Maria, das Jesuskind sowie Ochs und Esel in einer Handschrift des 'Evangelienwerks' des Österreichischen Bibelübersetzers
Maria, das Jesuskind sowie Ochs und Esel in einer Handschrift des 'Evangelienwerks' des Österreichischen Bibelübersetzers. Foto: Stift Klosterneuburg, Bibliothek, CCl 4, fol. 33r (Detail)

Erst relativ spät hielt "Weihnachten" in die deutsche Sprache Einzug. Über Weihnachten im Wandel von Sprache und Zeit berichten Edith Kapeller und Nadine Popst.

 

Weihnachten – die Etymologie zu Beginn

Weihnachten – die Bedeutung des Wortes ist nicht schwer nachzuvollziehen: ‚Geweihte Nächte‘. Dass wir dabei heute von der Geburtsnacht Christi sprechen, ist auch noch ziemlich klar. Es lohnt sich trotzdem, die Geschichte dieses Wortes etwas genauer zu betrachten, da es relativ spät in die deutsche Sprache Einzug hielt. Erst im späten 12. Jahrhundert ist es mit der mittelhochdeutschen Form ze den wîhen nahten belegt.

Bis sich der Begriff wîhenahten durchsetzt, ist es das Wort jûl, das für das christliche Fest Verwendung findet, so wie heute noch im skandinavischen Sprachraum. Zunächst meint jûl aber nur den „Julmonat“. Die älteste Belegung dafür findet sich im Gotischen mit jiuleis und meint einen Zeitraum zwischen November und Januar (welcher der Monate gemeint ist, lässt sich nicht sicher sagen), und das altnordische jôl wird zum Begriff für Festmähler und Feiern ganz allgemein.

Betrachtet man die Wortherkunft von ‚weihen‘, ergibt sich folgender Befund: weihen geht zurück auf indogermanisch ueiq- ‚aussondern‘, das sich zu germanisch *weih-ija, im Got. zu weihan entwickelt. In die lat.-germ. Gruppe, die von idg. ueiq- ausgeht, gehören auch lat. victima ‚Opfertier, Opfer‘ und germ. *vikti-s ‚Weihung‘. Ab dem 8. Jahrhundert schließlich zeigen sich die ersten Belege im Angelsächsischen mit wêoh und im Altsächsischen mit wîhian, was mit ‚weihen‘ übersetzt wird. Mit dem As. hält diese Wortgruppe Einzug in das früheste Deutsch, indem es sich im Althochdeutschen als wîhen hält, wobei das Substantiv wîh für ‚Tempel‘ steht.

All diesen Wortfeldern ist die Semantik der Trennung des Besonderen vom Profanen gemein. Weihnachten meint damit zunächst nichts anderes als die Benennung dieser Nächte als ‚ausgesondert‘, besonders, eben – geweiht. Es dient der Abgrenzung von nicht-heiligen Zeiträumen, eine Praxis, die das Christentum nicht erfunden hat. Diese Umfassung eines Festzeitraums ist möglicherweise vom römischen Ritus und altorientalischer Verehrungspraxis beeinflusst. Es ist zwar nicht auszuschließen, aber eher unwahrscheinlich (Kluge, 978b), dass hier ein Zusammenhang mit einem germanischen Fest besteht (Grimm, 711).

Übrigens: Im Mittelniederdeutschen herrscht neben jûl auch lange der Begriff kersnacht vor, im Mittelniederländischen kersmisse. Und das wiederum ist das Englische christmas.

Weihnachten als Jahresanfang

Für uns ist Weihnachten ein Fest, das gegen Jahresende stattfindet. Mit dem 1. Januar erhöht sich unsere Jahreszahl. Das war aber nicht immer so. Die mittelalterlichen Kanzleien benutzten je nach Region und Zeit verschiedene Stile des Jahresanfangs. Insgesamt gibt es über das Mittelalter hinweg im europäischen Raum sechs dieser Stile. Das Jahr konnte neben dem 1. Januar auch am 1. März, am 25. März, zu Ostern, am 1. September und am 25. Dezember (Weihnachtsanfang) beginnen. Der Weihnachtsanfang ist mit wenigen Ausnahmen von der Karolingerzeit bis ins 16. Jahrhundert in der kaiserlichen Kanzlei vorherrschend. Weihnachten war – zumindest für manche Kanzleien – auch ein Startpunkt (Grotefend, 11-14). Das christliche Kirchenjahr beginnt ebenso mit der Weihnachtszeit, nämlich dem Advent.

Weihnachten in Evangelienharmonien und beim Österreichischen Bibelübersetzer

Als Fest steht Weihnachten für den Beginn des Lebens Jesu, von dessen Wirken uns in den Evangelien berichtet wird. Heute kennen wir vier kanonische, nämlich die Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Jedes erzählt selbstständig vom Leben und Tod Jesu, einige Erzählungen sind in mehreren Evangelien zu finden, so ist von der Geburt Jesu in Mt 1,18-25 und Lk 2,1-20 zu lesen. Die Schlusspunkte der Evangelien bilden jeweils die Geschehnisse rund um die Auferstehung. Sogenannte Evangelienharmonien versuchen, aus den verschiedenen Evangelien eine chronologisch verlaufende Geschichte zu formen, beispielsweise das althochdeutsche ‚Evangelienbuch‘ des Otfrid von Weißenburg. Im as. ‚Hêliand‘ wird, anders als bei Otfrid, der Zeitpunkt der Geburt des Heilands in der Nacht konkretisiert: nu is Krist geboran / an thesero selbun naht (nun ist Christus geboren / in eben dieser Nacht, vv. 399b-400a).

Auch der sogenannte Österreichische Bibelübersetzer harmonisiert die Evangelien. Hinter dem Notnamen verbirgt sich eine Person, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Österreich wirkte und von sich selbst schreibt, keine Weihen erfahren zu haben. Der Bibelübersetzer dürfte also kein Priester gewesen sein, gelehrt war er aber mit Sicherheit, denn er überträgt mehrere Teile der Bibel aus dem Lateinischen ins Deutsche und erklärt deren Inhalte unter Verwendung zahlreicher weiterer Quellen (Löser, Stöllinger-Löser, 251). Sein ‚Evangelienwerk‘ ist heute in 30 Textzeugen überliefert und wird momentan in dem von der Akademienunion geförderten Projekt "Der Österreichische Bibleübersetzer. Gottes Wort deutsch" von der BAdW sowie der BBAW erforscht und ediert.

Die Weihnachtsgeschichte darf im ‚Evangelienwerk‘ natürlich nicht fehlen. Im Zuge seiner Auslegungen verwendet der Österreichische Bibelübersetzer sogar den Begriff ‚Weihnachten‘: an dem heiligen abend zu weyhnachten (Edition *Gö, 80, Kap. 24, 7,4). Er bezeichnet damit aber nicht nur den Heiligen Abend als Vigil des Christtags, sondern mehrere Nächte. So wird auch der Tag der Unschuldigen Kinder am 28. Dezember mit der Angabe des Zeitraums: ze weynachten angeführt: die seligen kind, der tag man ze weynachten nach den hohen marterern begeet (Edition *Gö, 100, Kap. 35, 3,12). Die Weihnachtszeit setzt der Österreichische Bibelübersetzer auch in Verbindung zur Jahreszeit Winter: yn dem winter vor weinachten zeit (Edition *Gö, 513, Kap. 167, 3,6).

Weihnachten – ein persönlicher Anfang

Der Winter ist auch dieses Jahr schon hier und selbst wenn noch kein Schnee liegt, so pfeift uns doch der eisige Wind um die maskenbedeckten Nasen und kündigt uns die Feiertage und das baldige Jahresende an. Aus ganz persönlicher Sicht ist die diesjährige Weihnachtszeit für uns jedoch ein Beginn: Zum 1. November haben wir angefangen, beim interakademischen Langzeitprojekt „Der Österreichische Bibelübersetzer. Gottes Wort deutsch“ zu arbeiten, das sowohl von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften als auch von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften getragen wird. Angebunden an die Arbeitsstelle Augsburg ist es unsere Aufgabe, die Edition der Fassung *SK des Evangelienwerks zu erstellen. Der Zufall will es, dass wir in diesen Tagen die Arbeit am Kapitel der Weihnachtsgeschichte aufnehmen. Sehr weihnachtlich, wie wir finden.

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Ein Literaturverzeichnis mit den im Artikel zitierten Belegstellen finden Sie hier.

Edith Kapeller und Nadine Popst sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im interakademischen Forschungsprojekt "Der Österreichische Bibelübersetzer. Gottes Wort deutsch"