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Wortweise: Docke

Bild einer Puppe, bzw. "Docke"

Eine Puppe ist für Dr. Edith Burkhart-Funk vom Dialektologischen Informationssystem Bayerisch-Schwaben (DIBS) eine Docke, denn sie stammt aus einem kleinen mittelschwäbischen Dorf und der dortige Dialekt ist auch ihre sprachliche Heimat.

Ich habe sie geliebt, teilte sie mit mir doch traurige und glückliche Stunden, hörte geduldig meine Klagen, freute sich mit mir am Keara [Kern] vom Dreck [an Nichtigkeiten], trug auch manche kindliche Rücksichtslosigkeit nicht nach und war zur Hand, wenn Trost nötig war. Ich habe sie sehr geliebt, denn ich hatte nur diese eine (in den 50er Jahre herrschte noch die Kargheit der Nachkriegszeit, da wurde auch an der Ausstattung für die Kleinsten gespart). Sie war meine Doggl oder auch meine Dogganantl.

Fast alle Mädchen hatten eine. Damals, vor gut 60 Jahren, waren sie meist aus hartem Plastikmaterial, bei meiner konnte man sogar die Gliedmaßen drehen. Es gab auch billigere Varianten aus Stoff. Meine Mutter hatte die ihrige, sie stammte noch aus den Jahren vor dem Krieg, liebevoll aufbewahrt, bis sie in meine unbeholfenen Kinderhände gelangte, denen sie auf den Pflasterboden entglitt. Mit ihr brach auch das Herz meiner Mutter in tausend Stücke; sie war aus Porzellan.

Puppen - es muss sie seit Urzeiten geben. Das Wort Docke ist schon im 9. Jahrhundert belegt und zwar bereits in der Bedeutung 'Puppe (zum Spielen)'. Es ist aber anzunehmen, dass die erst später, im 14. Jahrhundert, belegte Bedeutung 'walzenförmiges Stück Holz' die ursprüngliche ist. 'Puppe' ist mit Sicherheit eine Übertragung davon. Man kann sich gut vorstellen, dass in dieser frühen Zeit manches Kind in ein Stück Holz eine menschliche Gestalt, insbesondere die eines Mädchens, hineinphantasierte. Es mag von den Erwachsenen auch entsprechend bearbeitet und geformt gewesen sein. In ähnlicher Weise dienten bis in unsere Zeit hinein z.B. Tannenzapfen als Spielzeug, die für die Kinder Tiere darstellten. Davon zeugen Bezeichnungen wie Tannenkuh, Mutschel, (Fichten-)Moggel und Butzelkuh für den Begriff 'Tannenzapfen'. Den meisten Sprechern ist gar nicht (mehr) bewusst, dass diese Wörter Bezeichnungen für 'Kuh' oder 'Kälbchen' enthalten oder ursprünglich Bezeichnungen dafür sind. Industriell gefertigtes Spielzeug ist eine verhältnismäßig junge Errungenschaft; früher mussten sich die Kinder mit einfachen Dingen aus der Natur wie Holzstöckchen oder -klötzchen oder eben Tannenzapfen begnügen.

Meist sind es Mädchen, die mit Puppen spielen. Puppen stellen menschliche Wesen, überwiegend wiederum Mädchen, dar. Sie werden als Freundin empfunden oder als Kindchen, das versorgt und umhegt werden muss. Deshalb ist ganz klar, dass sie einen Namen haben, häufig eben den in einer Region üblichen weiblichen Vornamen. In einigen Gegenden Bayerisch-Schwabens wurden diese Namen zu der Bezeichnung für die Puppe selbst, wie Baabel (aus Barbara) und Gretel (aus Margarete).

Zur Verdeutlichung werden sie gerne in Zusammensetzungen mit Docke kombiniert: In meiner mittelschwäbischen Heimat sagt man zur Puppe außer Dock oder Doggl auch Dogganantl. Nantel ist eine Kurzform für Anna oder Marianne. Andernorts sagt man Doggann. Im Südwesten Bayerisch-Schwabens ist Doggabaabl oder in der Verkleinerungsform Doggabääbale belegt, im Südosten Doggagreetl

Interessanterweise ist die Verkleinerungsform Doggl nicht wie normalerweise sächlich, sondern nach dem natürlichen Geschlecht weiblich: die Doggl. Außer Doggl gibt es noch eine ganze Reihe Ableitungen von Docke, z.B. das Verb doggla oder doggala, das in ganz Bayerisch-Schwaben vor allem 'spielen (von Kindern)' bedeutet, in der Ulmer Gegend aber auch 'sich balgen (z.B. von jungen Kätzchen)', weiter südlich, in der Mindelheimer und Memminger Gegend 'sich schön machen, herrichten, herausputzen'. Vor allem in Zusammensetzungen wird das Wort gerne tadelnd im Sinne von 'nicht ernsthaft, ohne Erfolg arbeiten, tändeln' verwendet: dua it all omanandrdoggala!, also die Zeit mit Sinnlosem vertun. Auch eine Adjektivableitung ist in der Datenbank von DIBS belegt: ein hübsches, herausgeputztes Mädchen ist doggelig.

Die wohl ursprünglichere, nicht übertragene Bedeutung des Wortes Docke hat sich bis in unsere Tage hinein in den Dialekten Bayerisch-Schwabens, wenn auch nur noch sehr vereinzelt, ebenfalls halten können. Docke kann einen Holzpflock am Ufer oder einen Verschlusspflock am Abfluss eines Teiches oder Brunnens bezeichnen, die senkrechte Stütze auf der Schlittenkufe oder gar den Amboss des Nagelschmids. Im Allgäu ist es ein ausgehöhltes Stück Holz, vor allem ein Auslaufrohr am Brunnen oder überhaupt eine Wasserrinne. In Nordschwaben bezeichnet man eine Gruppe zum Trocknen zusammengestellter Garben als Dogg, im Ries das Flachsbündel am Spinnrocken.

Dieses mir so liebe Wort und seine ganze Familie wird mit meiner Erinnerung und mit der meiner Generation verblassen. Das legt jedenfalls das Material in der Sammlung des Dialektologischen Informationssystems von Bayerisch-Schwaben nahe. Kaum ein Mädchen spielt heutzutage noch mit einer Dogg, Doggl oder Dogganantl, die Puppe hat sie fast vollständig verdrängt. Wie gut, dass es DIBS gibt, unser kulturelles Gedächtnis.

Dr. Edith Burkhart-Funk, Redaktorin beim Dialektologischen Informationssystem von Bayerisch-Schwaben (DIBS) und beim Bayerischen Wörterbuch der BAdW. Mehr Mundart gibt es außerdem auf unserer neuen Plattform BDO|Bayerns Dialekte Online