Supercomputer simuliert die Entstehung von Sternen
Trinken Sie den nächsten Kaffee oder Tee mal im Glas: Schütten Sie Milch hinein, färbt sich das Getränk nicht sofort gleichmäßig beige, sondern helle Schwaden und kleine Wirbel verteilen sich zunächst darin. In ähnlichen Prozessen, der Turbulenz, entstehen im All Sterne, allerdings interagieren statt Milch und Kaffee dort interstellare Gase, Moleküle und Staub in unterschiedlichen Geschwindigkeiten miteinander. Was genau in diesen Wirbeln passiert, hat jetzt ein Forschungsteam mithilfe der Supercomputer am Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) der BAdW in Garching nachvollzogen: Unter der Leitung von Prof. Dr. Ralf Klessen vom Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg sowie Prof. Dr. Christoph Federrath von der Australian National University Canberra entstand auf dem SuperMUC die größte Simulation der interstellaren Turbulenz. An ihr lässt sich demonstrieren, wann und wie sich Sterne bilden. Eine wichtige Rolle dabei, so eine Erkenntnis, die in der Fachzeitschrift „Nature Astronomy“ veröffentlich wurde, spielen die Geschwindigkeit der Bewegungen sowie die Schallskala oder Sonic Scala, die erstmals lokalisiert und kartiert werden.
Tempo formt in Wolken Klumpen
Pro Jahr entsteht in der Milchstraße ungefähr ein Stern oder eine Sonne. Denn das interstellare Gas, das etwa 10 bis 15 Prozent der dort sichtbaren Materie ausmacht, verteilt sich nicht gleichmäßig zwischen Sternen, sondern mäandriert wie die Milch im Kaffee in Schwaden, steigt auf, verwirbelt, zieht sich auseinander, sammelt sich. „Dieses turbulente Verhalten scheint ein Schlüssel dafür zu sein, wie interstellare Gaswolken unter ihrer eigenen Schwereanziehung fragmentieren und sich zusammenballen, um Sterne und Sternenhaufen zu bilden“, sagt Klessen.
Im All gibt’s keinen Löffel zum Antreiben, allein die Geschwindigkeit, mit der sich die Gaswolken bewegen, beeinflusst das Verhalten der darin enthaltenen Moleküle. In großräumigen Schwaden wandern sie schnell, in Richtung kleinerer Wirbel nehmen mit der Energie auch die Bewegung und das Tempo ab, Materie kommt zusammen. Turbulenz entwickelt sich als Abfall von Geschwindigkeiten, von großen zu kurzen Längen oder von Überschall bis Unterschall. Den Übergang markiert die Schallskala: „Es gab theoretische Vorhersagen, wo diese Übergangszone liegen sollte, aber ihre genaue Lage, Form und Breite war bislang unbekannt“, so Klessen. „Die physikalischen Vorgänge sind derart komplex, dass sie sich nur mit Hilfe von Computersimulationen erforschen lassen.“ Die Schallskala prägt aber die Eigenschaften dichter Wolkenkerne – rasante, turbulenz-dominierte Bewegungen im Überschallbereich treiben Materie auseinander, langsame, Schwerkraft-dominierte führen sie zueinander.
Komplexe Gleichungen plus unterschiedliche Skalen
Zur Modellierung der Turbulenz mussten verschiedene Gasdichten berechnet und dafür komplexe Gleichungen entwickelt, außerdem auch noch unterschiedlichste Maßstäbe beachtet werden: „Für die Simulation, in der wir die Überschall- wie auch die Unterschallkaskade der Turbulenz sowie die Schallskala dazwischen aufzeigen wollten, waren mindestens vier Größenordnungen an räumlicher Auflösung notwendig“, berichtet Federrath. Insgesamt wurden für das Modell mehr als eine Billion Auflösungselemente berechnet. Die Simulation besteht aus mehr als 100 Snapshots, von dem jeder rund 23 Terabytes an Festplattenplatz beansprucht. Insgesamt arbeiteten dafür am Garchinger Supercomputer mehr als 65.000 Rechenkerne, die Simulation benötigt rund 130 Terabytes an Arbeitsspeicher. Eine Herausforderung für Forschende und Anwendungsspezialisten: „Normalerweise sind wir die Schnittstelle zwischen komplexen HPC-Architekturen und Wissenschaftler:innen, die nicht immer die Ressourcen eines Supercomputers effizient aktivieren können“, sagt Dr. Luigi Iapichino, Leiter des AstroLabs am LRZ. „Christoph Federrath ist sehr erfahren in der Programmierung von Codes für einen Supercomputer, trotzdem sind Anwendungsspezialisten inzwischen gleichberechtigte Partner von Forschenden, weil HPC heute in der Forschung eine Schlüsselrolle spielt.“
Die Möglichkeiten des Supercomputings regen mehr Forschungsfragen an: Längst ist aus den Daten der interstellaren Turbulenz eine mehrfach ausgezeichnete Visualisierung entstanden. Doch das Team um Klessen und Federrath schaut nach vorn: „Als nächstes würden wir die Simulation gerne um Magnetfelder, Chemie und Abkühlung erweitern, um noch mehr über die Prozesse zur Sternenentstehung zu erfahren“, sagt Federrath. „Das wird eine Herausforderung und noch mehr Rechenleistung und Speicherplatz erfordern.“
Weiterlesen:
https://www.nature.com/articles/s41550-020-01282-z
https://www.anu.edu.au/news/all-news/study-helps-unlock-secrets-of-star-formation
Zum Bild:
Das Bild zeigt einen Schnitt durch das turbulente Gas in der weltweit höchstauflösenden Simulation von Turbulenzen, die in Nature Astronomy veröffentlicht wurde. Turbulenz erzeugt starke Dichtekontraste, sogenannte Schocks (siehe Vergrößerung). Es wird angenommen, dass die Wechselwirkung dieser Schocks eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Sternen spielt. Bildnachweis: Federrath et al. (2021). Nature Astronomy. DOI: 10.1038/s41550-020-01282-z