Ausgezeichnete Teamarbeit
Im Stil eines Preisausschreibens des 18. Jahrhunderts veranstaltete Mensch|Maschine|Zukunft für die Klausur „Digitale Chancen der Demokratie“ einen Essaywettbewerb. Zu dem annoncierten „Habeck-Paradox“ sollte in 1500-3000 Wörtern eine Idee zu folgender Frage entwickelt werden: Wie kann politische Kommunikation in der digitalen Transformation kohärent begriffen werden?
In ihrem Essay gehen die beiden der Frage nach, wie politische Akteure unter Bedingungen von Dauerkommunikation in digitalen Räumen sowie angesichts der Zumutung von Kontingenz, Komplexität und der Relativierbarkeit der eigenen Position mit Leidenschaft für ihre Sache eintreten können. Wie lässt sich politisch kämpfen, ohne ein Ideal der Diskursivität zu verraten oder eine Anfechtbarekit politischer Entscheidungen zu verleugnen?
Mit Blick auf den Grünen-Politiker Robert Habeck diskutieren sie einen Modus der Selbstkritik. Habeck, so Müller und Séville, liefere das Modell eines Dauergesprächs mit sich selbst: Es ist die kritische Introspektion des Philosophen, der als ein konkretes politisches Subjekt spricht, dabei seine Zweifel offenlegt und so auf seine aus dem Zweifel geborenen Überzeugungen verweisen kann. Politische Kommunikation im dauerkommunizierenden digitalen Zeitalter soll als ein selbstkritisches Kämpfen gelingen. Die Reflexion der Reflexivität wird damit zur politischen Tugend.
Daher bringt das im Preisausschreiben genannte Habeck-Paradox die Chancen ebenso wie die Risiken und Nebenwirkungen politischer Kommunikation in der digitalen Transformation auf den Punkt. Es berührt die Frage, wie aufgeklärte und progressive Politik heute gelingen kann, die für Deliberation und Barrierefreiheit eintritt und doch permanent mit den sich daraus ergebenden, praktischen Nebenfolgen konfrontiert wird; die um die eigene Standortgebundenheit und die Kontextabhängigkeit alles Gesagten weiß und dabei immer stärker mit einem akademisch trainierten Gegenüber rechnen muss, das die Thematisierung dieses Wissens auch entsprechend einfordert; die allen Anschein des Elitären vermeiden muss und sich doch ihrer eigenen privilegiert-elitären Position bewusst ist.
Politische Kommunikation von Werten
Astrid Séville, Mitglied im Jungen Kolleg der BAdW, und Julian Müller arbeiten an einem gemeinsamen Projekt im Rahmen der Ad hoc-AG „Zukunftswerte“ (Untergruppe Gemeinschaftsinteresse versus Eigeninteresse): Das Projekt „Parteiprogramme bzw. politische Kommunikation von Werten“ fragt nach der Rolle von Werten innerhalb der politischen Kommunikation. Auf welche Werte greifen politische Parteien zurück? Gegenstand der Untersuchung sollen dabei die Grundsatzprogramme der deutschen Parteien nach dem Zweiten Weltkrieg sein. Werte spielen – so die Ausgangsüberlegung – eine entscheidende Rolle, da sie sich nicht nur durch Abstraktheit und semantische Vagheit, sondern auch durch ihre Nicht-Negierbarkeit auszeichnen. Neben der inhaltlichen Untersuchung der Grundsatzprogramme der Parteien nimmt das geplante Projekt daher die Funktionsweise von Werten in der politischen Kommunikation in den Blick. Hierbei wird zunächst der Frage nachgegangen, welche gesellschaftlichen Werte von den Parteien wiederholt betont werden, um dann den kommunikativen und diskursstrategischen Effekt von Wertekommunikation zu beschreiben.
Astrid Séville ist Akademische Rätin auf Zeit am Lehrstuhl für Politische Theorie des Geschwister-Scholl-Instituts für Politikwissenschaft an der LMU, seit 2018 ist sie Mitglied im Jungen Kolleg der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und dort auch in der Ad hoc-AG „Zukunftswerte“ aktiv. In ihrem derzeitigen Forschungsprojekt widmet sie sich den gegenwärtigen „varieties of populism“ als Herausforderung der liberalen Demokratie und erarbeitet eine Phänomenologie eines Antipopulismus. Populismus nötigt zu einer Profilierung liberaldemokratischer Prinzipien und demokratietheoretisch fundamentaler Konzepte. Das Projekt diskutiert daher das Verhältnis von Demokratie und Populismus, vergleicht einschlägige Debatten in Europa und untersucht, wie sich eine bürgerliche Öffentlichkeit als liberaldemokratisch artikuliert.
Julian Müller ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik der Otto-Friedrich-Universität Bamberg . Im Rahmen seines Habilitationsprojekts setzt er sich mit Formen biographischen Erzählens unter gegenwärtigen sozialen wie medialen Bedingungen auseinander. Im Mittelpunkt des Projekts stehen Konversionserzählungen, denn an ganz unterschiedlichen Stellen, auf dem Sachbuchmarkt, in Youtube-Videos, Social Media-Profilen oder Podcasts, stößt man derzeit auf Berichte einer persönlichen Ab- bzw. Umkehr. Wenn dabei von 'Konversion' die Rede ist, dann soll es jedoch nicht in erster Linie um religiöse, sondern vielmehr um alltagsweltliche Konversionen gehen – behandelte Fallbeispiele wären etwa Berichte des Vegan-Werdens oder eines Wechsels des politischen Lagers. Das Habilitationsprojekt will an unterschiedlichen Fallbeispielen vergleichend untersuchen, auf welche Bezugsprobleme derartige Konversionserzählungen reagieren.
Zukunftswerte: Arbeitsgruppe zu gesellschaftlichen Werten
Die im Jahre 2019 eingerichtete Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Zukunftswerte“ widmet sich zentralen gesellschaftlichen Werten, die vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt sind. Durch Digitalisierung und soziale Medien, durch Nationalismus und Populismus, durch globale soziale Gefälle und Migration sowie durch die Infragestellung oder den Bedeutungsverlust wertstiftender Institutionen gerät der für freiheitliche Demokratien tragende Wertkonsens unter Druck. Zugleich werden alte und neue Wertkonflikte innerhalb von sowie zwischen Gruppen und Gesellschaften sichtbar. Nicht zuletzt in Ausnahmesituationen wie zu Zeiten der weltweiten Corona-Pandemie müssen Werte in verschiedenen gesellschaftlichen Formationen – von der Familie bis zur Weltgemeinschaft – verteidigt und immer wieder neu diskutiert werden.