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08/05

Wie krank ist der Wald wirklich?

Kommission für Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften kritisiert das Verfahren zum Waldzustandsbericht des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

 

 

08/05
25. Januar 2005

Kommission für Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften kritisiert das Verfahren zum Waldzustandsbericht des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

Die Kommission für Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hat in ihrer Sitzung am 14. Januar 2005 eine Stellungnahme zu den alljährlich erhobenen Waldzustandsberichten verabschiedet. Sie enthält folgende Kernaussagen:

1. Das Verfahren der Waldzustandserhebung ist ungeeignet, um daraus Aussagen über die Vitalität der Bäume abzuleiten.
Die im Waldzustandsbericht angegebenen Merkmale der Baumkronen (Verlichtung, Vergilbung, Verzweigungstyp) beziehen sich auf fiktive „Normalzustände“ für die einzelnen Baumarten. Die kann es aber angesichts der großen Vielfalt der Waldgebiete, der einzelnen Waldstandorte und der oft beträchtlichen Unterschiede selbst zwischen verschieden alten Bäumen der gleichen Art gar nicht geben.
Davon abgesehen ist es wissenschaftlich nicht vertretbar, den Waldzustand allein nach der Kronenverlichtung (Transparenz) zu beurteilen, vor allem wenn diese weniger als 40-50% beträgt, sondern es bedarf dazu anderer Kenngrößen wie z.B. Zuwachs, Fruchtansatz, Bodendurchwurzelung und Schädlingsbefall. Dass der Zustand der Wälder viel besser ist als aus der Kronenverlichtung abgeleitet wird, gibt der Bericht 2004 sogar zu und widerspricht damit seiner Eingangsaussage. Er betont nämlich, dass die Holzvorräte und z.T. auch der Holzzuwachs in den deutschen Wäldern in den letzten Jahrzehnten deutlich ansteigen, und empfiehlt sogar, mehr Holz einzuschlagen und zu verwenden.

2. Die Deutung der Inventurergebnisse ist zweifelhaft.
Die Ursachen für zeitliche und örtliche Schwankungen des Kronenzustandes können überhaupt nicht direkt aus den Erhebungsergebnissen abgeleitet werden, sondern erfordern begleitende Untersuchungen über die potentiellen Ursachen und eine entsprechende Auswertung der Inventur, an denen es bisher fehlt. Viele Bewertungen der Kronenverlichtung sind daher nicht beweisbar und bleiben Spekulation, z.B. dass sie auf einer allgemeinen Versauerung der Waldböden beruht. Dies ist u.a. durch regionale Studien in den Nordalpen und auch dadurch widerlegt, dass die inzwischen auf etwa einem Drittel der Waldfläche der Bundesrepublik zur Neutralisierung der sauren Niederschläge durchgeführten Kalkungen den Kronenzustand nicht verbessert haben.
Die Kurven für die zeitlichen Veränderungen der Kronenverlichtung von Fichte und Kiefer im Bundesgebiet und in Bayern zwischen 1983/84 und 2004 zeigen eindeutig, dass es keinen zeitlichen Trend gibt, sondern ihr Ausmaß um ein gleich bleibendes, mittleres Niveau schwankt. Für Buche und Eiche steigt dagegen dieser Kennwert im gesamten Bundesgebiet – nicht aber in Bayern – an. Wie das aber mit den ? im Waldzustandbericht nachzulesenden ? stetig zurückgehenden Emissionen von Schwefeldioxid und Stickstoffoxiden sowie dem ebenso sinkenden Säureeintrag in die Wälder in Einklang zu bringen ist, bleibt ungeklärt.

3. Alle im Jahr 2004 registrierten „Schäden“ sind durch natürliche Faktoren erklärbar.
Die jetzt berichtete Zunahme der Kronenverlichtung bei verschiedenen Baumarten in Süddeutschland kann durch natürliche Faktoren völlig ausreichend erklärt werden:
a) Plötzliches Aufreißen bis dahin geschlossener Nadelbaumbestände durch Stürme
b) Auswirkungen des extrem heißen und trockenen Sommers 2003, verbunden mit vorzeitigem Blattfall und Vertrocknen von Feinwurzeln
c) Anstieg des Borkenkäferbefalls bei Fichte und Tanne und des Befalls durch Blätter fressende Insekten v.a. bei Laubbaumarten im Trockenjahr 2003
d) geringere Blattmassenbildung in 2004 als Folge zu geringer Vorräte an Reservestoffen aus dem Vorjahr und/oder starker Frucht- und Samenbildung
Ein Mitwirken von Luftschadstoffen bei der Zunahme der Kronenverlichtung ist bisher nicht bewiesen und wird daher zur Erklärung auch nicht herangezogen.
Daraus darf jedoch kein Verzicht auf die allgemeine Verminderung der Luftschadstoff-Emissionen abgeleitet werden.

4. Folgerungen
Die Kommission für Ökologie der BAdW empfiehlt daher:
1) die wenig aussagekräftige bundesweite Kronentransparenz-Inventur aufzugeben oder sie auf eine geringere Zahl sorgfältig ausgewählter Probepunkte bzw. -bestände zu beschränken, aus deren Vergleich auf die Ursachen von Unterschieden oder zeitlichen Veränderungen dieses Merkmals geschlossen werden kann. Gleichzeitig müssen zusätzliche Kenndaten (z.B. Nährstoffversorgung, Schädlingsbefall) erfasst werden,
2) eine Konzentration auf die fortlaufende, umfassende Kontrolle einer ausreichenden Zahl repräsentativer Waldbestände hinsichtlich Kronenzustand, Zuwachs, Frucht- und Samenbildung, Witterung, Schadstoffeintrag, Schädlingsbefall, Veränderung der Bodeneigenschaften und der Bodenvegetation (wie sie z.B. an den bayerischen Waldklimastationen bzw. an den so genannten Level-II-Stationen durchgeführt werden).

Für Rückfragen steht zur Verfügung:
Dr. Claudia Deigele, Kommission für Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Marstallplatz 8, 80539 München
Tel.: 089 23031 1209 (vormittags), E-Mail: oekologie@lrz.badw-muenchen.de