24/05
Prof. Hans Günter Hockerts präsentiert Band 22 der Neuen Deutschen Biographie: Rohmer Schinkel.
24/05
28. Mai 2005
Prof. Dr. Frank-Rutger Hausmann stellt Ergebnisse seiner biographischen Forschungen über
Dem Publikum, so der Münchner Zeithistoriker Hans Günter Hockerts am 3. Juni 2005 (11 Uhr) bei der Vorstellung des Bandes im Historischen Kolleg in München, wird Karl Friedrich Schinkel, der große preußische Baumeister, ein Begriff sein. Aber wer ist Ernst Rohmer?
Rohmer war das Glück im Unglück des Verlages C.H. Beck. Der Verlagsangestellte heiratete nach dem Tod des Verlegers Carl Beck 1852 die junge Witwe und führte den juristischen Zweig des Verlages zu jenem Rang, der ihn noch heute auszeichnet. Rohmer ist damit charakteristisch für die Erfassungsbreite der Neuen Deutschen Biographie, die ihre Leser auch über Persönlichkeiten aus der zweiten Reihe informiert, denen, so Hockerts, der die NDB für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgibt, „der Ruhm fehlt, aber nicht das Verdienst“.
Die Artikel der NDB – in Band 22 sind das 829 von 553 Fachleuten verfasste Originalbeiträge – die lexikographisches Wissen neu erarbeiten, bürgen für Qualität und Aktualität und helfen so auch bei der Entdeckung von Personen, die sich bisher in keinem anderen Lexikon finden, zum Beispiel der Touristikunternehmer Willy Scharnow (1897-1985), der den größten Touristikkonzern Europas schuf.
Chronologisch reicht der aktuelle Band von Frühmittelalter bis zur Gegenwart: Von Samo, der im 7. Jahrhundert von Böhmen aus ein Slavenreich aufbaute, bis zu dem streitbaren Soziologen Erwin K. Scheuch, der 2003 verstarb. Denn grundsätzlich gilt für die NDB: Lebende Personen erhalten keine Artikel. Geographisch erfasst die NDB den ganzen deutschen Sprach- und Kulturraum. Daher findet der Leser auch Österreicher wie den Salzburger Barockmaler Johann Michael Rottmayr oder die Schweizer Unternehmerfamilie Sandoz. Auch Ausländer, die im deutschsprachigen Raum gewirkt ha-ben, werden einbezogen wie Mozarts Zeitgenosse Antonio Salieri oder der Sozialreformer und Schöp-fer des Englischen Gartens in München Benjamin Thompson Graf von Rumford.
Die NDB sei auch keine „Ruhmesgalerie“, so Hockerts, sondern ein historisch-kritisches Werk. Daher sind auch politische Verbrecher enthalten wie Fritz Sauckel, der Millionen Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg rekrutierte. Die Laune des Alphabets rücke Täter und Opfer dicht nebeneinander, ja spiegele die ganze Spannbreite des Verhaltens im Nationalsozialismus wider. Nicht weit von Walter Schellenberg, dem Spitzenfunktionär im nationalsozialistischen Verfolgungsapparat, stößt man auf Oskar Schindler, der viele Verfolge rettete, und auf Claus Schenk von Stauffenberg, den Attentäter des 20. Juli. Auf Alfred Rosenberg, den Chefideologen der NSDAP, folgt der Historiker und Demokrat Hans Rosenberg, der als sog. „Halbjude“ in die Emigration gezwungen wurde. Überhaupt zeigt auch der neue Band, wie groß die vom Nationalsozialismus ausgelöste Emigrationswelle war, als Beispiel nennt der Münchner Ordinarius etwa die Dichterin Nelly Sachs, die nach Schweden emigrierte, und den Kunsthistoriker Friedrich Saxl, der in seinem Londoner Exil eine ganze Generation englischer Kunsthistoriker formte. Auch auf die NS-Vernichtungspolitik stößt der Leser immer wieder, etwa in dem Artikel über die Musikerfamilie Rosé auf Alma Rosé (1906-1944), die im KZ Auschwitz das Frauen-orchester dirigierte und dort starb.
Die NDB, in der ursprünglich die Geistesgeschichte etwas dominierte, räumt längst auch Naturwissenschaftlern, Technikern und Unternehmern ihren angemessenen Platz ein. Deshalb stehen neben Dichtern wie Schiller oder Schelling auch so hervorragende Erfinder wie Otto Schäffler, der Pionier der Nachrichten- und Lochkartentechnik, oder Hans Sauer, der die Vorläufer der Mikrochips entwickelte. Nachdem er bei Siemens mit seinen Ideen abgeblitzt war, wandte er sich erfolgreich an den japanischen Matsushita-Konzern (Panasonic). Wichtige Unternehmernamen im jüngsten Band sind Rosenthal oder Schickedanz aber auch Manager wie Detlev Rohwedder, der 1991 als Präsident der Treuhandgesellschaft ermordet wurde, oder der für die Globalisierung der Allianz AG verantwortliche Wolfgang Schieren. Ebenso wenig fehlten Entertainer und Sportler, die „mächtige Trends der modernen Gesellschaft“ repräsentierten, so Hockerts. Neben Heinz Rühmann oder dem Quizmaster Hans Rosenthal gilt dies etwa für den Rennfahrer Bernd Rosemeyer, der in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Idol war.
Gleichbleibende Qualität, Stringenz und Lesbarkeit der Beiträge, die sich an Wissenschaftler und Journalisten, Lehrer oder Schüler gleichermaßen wenden, sind das Verdienst der Redaktion. Zum Grundschema eines Artikels gehören stets genealogische Angaben, Werk-, Literatur- und Quellenver-zeichnisse in kritischer Auswahl sowie präzise Porträtnachweise. Dies gilt auch für die Beiträge, die bekannten Unbekannten gewidmet sind, die sich zum Beispiel hinter dem Rohrschach-Test, der der Persönlichkeitsstruktur nachspürt, oder der Sacher-Torte verbergen.
Als „fantastisches Hilfsmittel“ preist der Herausgeber der NDB zum Schluss das digitale Gesamtregister, das nicht nur alle 22 Bände der NDB, sondern auch ihrer Vorgängerin, der Allgemeinen Deutschen Biographie (1875-1912), und damit insgesamt 46.000 Artikel erschließt. Mit diesem Navigationsinstrument kann man nicht nur vielfältig, sondern auch einfach und bequem vom PC aus in den Bänden recherchieren, die mehrere Regalmeter füllen.
Der Freiburger Romanist Frank-Rutger Hausmann, in seinen biographischen Forschungen der NDB methodisch eng verbunden und einer ihrer wichtigen Autoren, untersucht in seinem anschließenden Vortrag das Verhältnis von literarischer Praxis und Kollaboration in Europa, konkret die Europäische Schriftsteller-Vereinigung, die auf Initiative des Ministeriums von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels 1941 aus der Taufe gehoben wurde. Ihr gehörten über 200 Schriftsteller aus 14 Ländern an. Insgesamt, so Hausmann, stehe eine detaillierte Bewertung der europäischen Kulturkollaboration mit dem Nationalsozialismus noch aus.
Neue Deutsche Biographie, hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akade-mie der Wissenschaften durch Hans Günter Hockerts, redigiert von Franz Menges, Bernhard Ebneth, Stefan Jordan, Claus Priesner, Maria Schimke und Regine Sonntag, 22. Band: Rohmer-Schinkel, mit ADB & NDB-Gesamtregister auf CD-ROM, zweite Ausgabe; Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2005, XVI und 816 S., Lw. € 138,-, Hldr. € 158,-, ISBN 3 428 11203-2 bzw. 3 428 11291-1
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Ansprechpartnerin für Rezensionsexemplare:
Verlagsdirektorin Ingrid Bührig buehrig@duncker-humblot.de,
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