16/21
Judentum in Bayern in Geschichte und Gegenwart: Neue Ad hoc-Arbeitsgruppe der BAdW gestartet
Das interdisziplinäre Forschungsprojekt unter Leitung von Michael Brenner (LMU München/American University/BAdW) untersucht jüdische Geschichte und Kultur in Bayern und vermittelt die Ergebnisse gezielt einer breiten Öffentlichkeit. „Der Anspruch der Ad hoc-AGs an der Akademie, gesellschaftspolitisch relevante Themen in den Fokus der Forschung zu nehmen, wird angesichts reger politischer Debatten um Erinnerungskultur, jüdisches Selbstverständnis und Antisemitismus mit der neuen AG ,Judentum in Bayern‘ erneut überzeugend erfüllt“, so Akademiepräsident Thomas O. Höllmann. „Darüber hinaus freue ich mich, dass die BAdW mit dem Projekt einen Bogen zu der bereits abgeschlossenen Ad hoc-AG ‚Islam in Bayern‘ spannt.“
Das Judentum und die jüdische Kultur sind integrale Bestandteile deutscher Geschichte und Gegenwart, wie Michael Brenner erklärt: „Die jüdische Geschichte Bayerns ist fast überall im Freistaat sichtbar, wenn man nur genau hinsieht: von den mittelalterlichen jüdischen Grabsteinen, die sich als Baumaterial in frühneuzeitlichen Häusern in Regensburg befinden, über die Judengassen in zahlreichen Orten bis hin zu restaurierten oder verfallenen Landsynagogen in Franken und Schwaben. Der Begründer des Freistaats Bayern war ebenso jüdisch wie der Präsident und Trainer des FC Bayern München bei seiner ersten deutschen Meisterschaft 1932.“ Die Ad hoc-AG wird deshalb ein breit angelegtes Bild jüdischen Lebens in Bayern bis in die Gegenwart erarbeiten und mit Podcasts, Videos sowie interaktiven Karten der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Ad hoc-AG gliedert sich in zwei Teilprojekte:
Spurensuche – Das Landjudentum im vorindustriellen Bayern
Während das jüdische Leben für Juden unter den Wittelsbachern mit der Vertreibung aus dem Herzogtum im 15. Jahrhundert für mehrere hundert Jahre erlosch, entwickelte sich in der Frühen Neuzeit in zahlreichen Dörfern und Kleinstädten kleinerer Herrschaften auf dem Gebiet des heutigen Bayerns das sogenannte Landjudentum. Vor allem in Franken und Schwaben lassen sich zahlreiche frühneuzeitliche Friedhöfe, Synagogen und Mikwen als Überreste jüdischer Gemeinden nachweisen. Diese Spuren jüdischen Lebens in der frühneuzeitlichen Vergangenheit Bayerns untersucht die Ad hoc-AG mit Methoden der Bauforschung und der Archäologie, um sie stärker in das öffentliche Bewusstsein zu bringen und als Erinnerungsorte kenntlich zu machen.
Neuanfang – Jüdisches Leben in Bayern von 1945 bis heute
Ausgerechnet Bayern, das mit der „Hauptstadt der Bewegung“ (München) und der „Stadt der Reichsparteitage“ (Nürnberg) das Zentrum des Aufstiegs der nationalsozialistischen Bewegung darstellte, wurde nach 1945 auch das Zentrum des Wiederaufbaus jüdischen Lebens in Deutschland. Hier entstanden zahlreiche Displaced Persons (DP)-Lager osteuropäischer jüdischer Holocaustüberlebender sowie ein reges jüdisches Leben in München. Während die meisten jüdischen Überlebenden nach Israel und in die USA weiterzogen, gründete die hier verbliebene Minderheit gemeinsam mit den wenigen deutschen Juden neue jüdische Gemeinden. In Bayern entstand ein Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden mit 13 Mitgliedsgemeinden. Die Entwicklung von den 1950er Jahren bis heute soll das Projekt erstmals systematisch erforschen und verschiedene Aspekte jüdischen Lebens in Bayern von 1950 bis heute vorstellen.
Laufzeit, Projektleitung, Finanzierung
Die Ad hoc-Arbeitsgruppen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften widmen sich in einem Zeitraum von drei Jahren aktuellen, gesellschaftspolitisch relevanten Themen. Akademiemitglied Michael Brenner, Lehrstuhlinhaber für jüdische Geschichte und Kultur an der LMU München und Chair für Israelstudien an der American University (Washington D.C.), leitet die neue Ad hoc-AG „Judentum in Bayern“, die als Vorhaben der BAdW vom Freistaat Bayern finanziert wird.
Weitere Informationen:
Ad hoc-AG „Judentum in Bayern in Geschichte und Gegenwart“
Jüdisches Leben in München: Ein Beitrag von Michael Brenner über die Bedeutung Münchens für die jüdische Geschichte (Akademie Aktuell 03/2021)