02/15
Der „harte Stoff der sozialen Wirklichkeit“: 150 Jahre Ernst Troeltsch. Neue Ausgabe von „Akademie Aktuell“ erschienen
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10. Februar 2015
Bis heute steht er im Schatten Max Webers: Ernst Troeltsch (1865–1923), protestantischer Theologe, Kulturphilosoph und einer der einflussreichsten Gelehrtenpolitiker des späten Kaiserreichs und der frühen Weimarer Republik. Sein Leben und Werk stellt Ausgabe 1/2015 der Zeitschrift „Akademie Aktuell“ vor.
In den Historischen Kulturwissenschaften avancierte Troeltsch – wie sein „Fachmenschenfreund“ Weber – rasch zu einem der „Klassiker“ der Deutung der modernen Welt. Er befasste sich insbesondere mit der Vermittlung zwischen Christentum und Moderne und ging dabei etwa der Frage nach, welche gesellschaftliche Prägekraft religiöse Ideen entwickeln können. Für Troeltsch haben nur der mittelalterliche Katholizismus und der asketische Protestantismus umfassende Sozialtheorien mit großer Prägekraft entwickelt. In der Moderne um 1900 aber, so Troeltsch, zerschellen diese religiösen Ideen an dem „harten Stoff der sozialen Wirklichkeit“. In den 1930er Jahren von den Nationalsozialisten als liberaler Denker marginalisiert, geriet Troeltsch in der öffentlichen Wahrnehmung rasch in Vergessenheit. Erst in den letzten Jahren erlebt das wissenschaftliche Interesse an ihm eine Renaissance.
Unter dem Vorsitz von Friedrich Wilhelm Graf gibt die Kommission für Theologiegeschichtsforschung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften die Kritische Gesamtausgabe der Schriften von Troeltsch heraus. Finanziert wird die 25 Bände umfassende Edition aus dem Akademienprogramm von Bund und Ländern. Die Akademie nimmt den 150. Geburtstag von Ernst Troeltsch am 17. Februar 2015 zum Anlass, sein Leben und Werk sowie die Arbeit an der Gesamtausgabe in der neuesten Ausgabe von „Akademie Aktuell“ vorzustellen. Friedrich Wilhelm Graf skizziert den Lebensweg des Gelehrten zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik und stellt das große Projekt der Kritischen Gesamtausgabe vor. Hans Joas umreißt die Bedeutung Troeltschs für die moderne Soziologie, gerade im Hinblick auf die verstärkte Aufmerksamkeit, die Religion gegenwärtig in den Sozialwissenschaften findet.
Christian Albrecht erklärt Troeltschs Konzept des Alt- und Neuprotestantismus, Stefan Pautler stellt sein Hauptwerk „Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ vor. Arie L. Molendijk erklärt Troeltschs drei Grundformen der christlichen Gemeinschaftsbildung, Martin Laube analysiert sein Ringen um die Vermittlung zwischen Christentum und Moderne, und Maren Bienert untersucht sein rund 1.300 Titel umfassendes Werk als Rezensent. Friedemann Voigt erläutert Troeltschs politisches Engagement im Ersten Weltkrieg, Gangolf Hübinger stellt ihn schließlich als Autor der scharfsinnigen „Spectator-Briefe“ der Jahre 1919 bis 1922 vor.
Die vierteljährliche Zeitschrift „Akademie Aktuell“ wird herausgegeben von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Die Zeitschrift kann kostenfrei über die Pressestelle der Akademie bezogen werden.
Die nächste Ausgabe wird dem Thema „Alte Welt“ gewidmet sein und erscheint am 4. Mai 2015.