09/04
Das menschliche Antlitz
09/04
15. Juli 2004
Destruktion und Wiederherstellung durch Chirurgie in kybernetischen Räumen
Öffentlicher Vortrag
von Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Hans-Florian Zeilhofer
Abteilung für Kiefer- und Gesichtschirurgie
Universitätsklinik für Wiederherstellende Chirurgie
Kantonsspital Basel
am 16. Juli 2004 um 18 Uhr
im Plenarsaal der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Das menschliche Antlitz als Spiegel der Persönlichkeit wird in unserer Gesellschaft danach beurteilt, wie harmonisch seine Formen sind und wie perfekt es seine funktionellen Aufgaben erfüllt. Menschen, deren Gesicht durch Fehlbildungen, Unfall oder eine aggressive Tumorerkrankung entstellt ist, setzen meist ihre ganze Hoffnung auf die ärztliche Kunst der Korrektur dieses Gesichts, unter dem sie leiden. Der Chirurg, der das verformte, funktionsgestörte Gesicht korrigieren will, der dem Patienten optimale Sprech- und Kaufunktionen, eine ausdrucksvolle Mimik und eine neue Harmonie des Gesichtsprofils verschaffen soll, stößt sehr schnell an Grenzen, wenn er sich bei der Gesichtsrekonstruktion nur auf seine Erfahrung, Augenmaß und Intuition stützen kann. Doch die Entwicklungen modernster Technologien einer computergestützten Planung und Simulation in dreidimensionaler virtueller Realität erlauben heute sehr komplexe Korrekturen des Gesichts, bei denen die skelettalen Formen verschoben, verlagert und neu gebildet werden, wodurch sich auch die Gesichtszüge verändern. Mathematische Verfahren und eine daraus entwickelte Anwendungssoftware machen es bereits möglich, jede Veränderung des weichen Gewebes - der Muskeln, des Bindegewebes und der Haut - vorherzusagen und zu visualisieren. Der Patient kann dadurch von Anfang an die Planung der Operation mit verfolgen und sich das Ergebnis der gesichtschirurgischen Umformung plastisch darstellen lassen. Er wird aber auch die technisch gegebenen Grenzen der Korrektur von schwersten Entstellungen realistischer erkennen und akzeptieren können. An sein künftiges Antlitz, das er in lebensechter Dynamik bereits vor sich sieht, wird er sich leichter gewöhnen. Psychische Belastungen nach der Gesichtsveränderung werden ihm so erspart.
In langjähriger interdisziplinärer Forschungsarbeit von Medizinern, Mathematikern, Informatikern und Ingenieuren in München, Berlin, Bonn, Karlsruhe, St. Augustin und Basel sind Technologien entstanden, die es dem Operateur über weite Entfernungen mit Partnern an mehreren Orten erlauben, Diagnostik und Planungen mit Mitteln der mathematischen Modellierung in virtuellen Räumen in Echtzeit durchzuführen, sie danach auf den Patienten zu übertragen und präzise im Operationssaal umzusetzen. Unterstützt wird der Chirurg dabei von einem neuen mobilen Navigationssystem, das im Operationssaal während eines chirurgischen Eingriffs den präoperativ geplanten Operations- und Planungsweg dreidimensional auf den Patienten einblendet (augmentierte Realität) und dabei interaktiv gesteuert werden kann.
Die Hightech-Technologien einer Chirurgie im kybernetischen Raum sind noch längst nicht ausgeschöpft und werden der Medizin noch manche neuen Wege eröffnen. Sie haben aber nicht das Ziel, den operierenden Arzt etwa durch Roboter zu verdrängen, sie unterstützen ihn vielmehr mit ihrer “übermenschlichen“ Präzision und helfen ihm, die chirurgischen Grenzen zu erweitern.