J a h r b u c h 2 0 2 1 Akademie digital 71 E Eine der größten Sorgen, die mit der Digitalisierung insbeson- dere in den Geisteswissenschaften verbunden ist, ist die Sorge, dass digital gespeicherte Daten und Werke sich auf lange Sicht als sehr viel weniger beständig erweisen könnten als gedruckte Daten. Als unbeständig können sich Daten in zweierlei Hinsicht erweisen: Einmal, indem die Daten selbst verloren gehen, etwa durch versehentliche Löschung oder durch Schäden am Daten- träger. Weiterhin, indem ältere Daten sich zu einem späteren Zeitpunkt als nicht mehr nutzbar herausstellen, z. B. weil das Format, in dem sie abgelegt sind, nicht mehr gebräuchlich ist und daher auch keine Software verfügbar ist, mit der sie „gele- sen“ und bearbeitet werden können. Ein typischer und schon mehrfach vorgekommener Fall ist der einer digitalen Edition, die in Form einer Webseite im Netz ver- fügbar gemacht wurde und eines Tages verschwindet, weil das Forschungsprojekt, aus dessen Mitteln die Erarbeitung der Editi- on finanziert wurde, abgeschlossen wurde und damit auch kein Geld mehr für den Server und die Update-Pflege der Software, die sie ins Netz spielt, vorhanden ist. Die nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) ist eine In- itiative des Bundes und der Länder, die dieses Problem ange- hen will. Die Bayerische Akademie der Wissenschaften und das Leibniz-Rechenzentrum beteiligen sich als „Participant“ gleich mehrerer Konsortien am Aufbau der NFDI. Wie geht nun die NFDI dabei vor? Zunächst einmal sollte man sich klar machen, dass das Problem der „digitalen Amnesie“, wie es manchmal genannt wird, keinesfalls unlösbar ist. Ins- besondere sind digitale Daten nicht schon deshalb „flüchtig“, weil digitale Datenträger typischerweise nur eine Lebensdau- er von einigen Jahren bis maximal wenigen Jahrzenten haben, denn man kann die Daten ja ohne Verlust immer wieder auf neue Datenträger umkopieren. Die Systeme, die dies automa- tisch und zeitstempelgesteuert tun, sind ausgesprochen robust. Das Leibniz-Rechenzentrum und andere Institutionen stellen diese sogenannten „Kaltspeicher“, die eine sehr kostengünstige Langzeitspeicherung von Daten ermöglichen, bereit. Weiterhin sollte man sich klar machen, dass es ein – wenn auch vergleichsweise etwas harmloseres – Problem der Amne- sie auch bei analogen Daten, etwa gedruckten Büchern, schon immer gab. Und es wurde auch eine Lösung gefunden, indem mit den Bibliotheken Institutionen ins Leben gerufen wurden, s e g a m I n o k I / s e g a m i s u i t i r u a m : . b b A deren ausdrücklicher Zweck es ist, Wissen aufzubewahren, das sonst verloren gehen könnte. Das hat über viele Jahrhunderte gut funktioniert. Und genau dasselbe strebt die NFDI für digi- tale Daten an. Sie soll unter anderem als eine Anlaufstelle fun- gieren, bei der man digitale Werke und Daten, die im Rahmen eines Forschungsprojekts erarbeitet worden sind, nach dessen Ende „abliefern“ kann, so wie man ein fertig geschriebenes Buch beim Verlag abliefert, der damit u. a. die Bibliotheken beliefert. Freilich sind bei digitalen Daten neue, andere und vermutlich auch mehr und schwierigere Probleme zu lösen als beim Erhalt gedruckten Wissens. Bereits erwähnt wurde das Problem sich wandelnder Datenformate. Auch dabei gilt: Das größte Problem waren bisher nicht so sehr sich wandelnde Datenformate als vielmehr proprietäre und schlecht dokumentierte Datenforma- te. Dabei scheint es sich aber glücklicherweise eher um eine Art Kinderkrankheit der Digitalisierung zu handeln, die nur einmal auftritt bzw. um einen Fehler, den man einmal begeht, aber der einem – durch Schaden klug geworden – nicht ein zweites Mal unterläuft. Und zumeist wurde der Fehler, Daten in den von der verwendeten Anwendersoftware vorgegebenen undo- kumentierten Binärformaten zu speichern, in der 1980er und 1990er Jahren begangen. Heute speichern selbst gängige Büro- software-Produkte (die Hauptschuldigen von damals) ihre Daten in dokumentierten Klartextformaten wie XML. Das heißt nicht, dass der Langzeiterhalt dieser sich immer noch wandelnden Formate nicht mit wiederkehrendem Konvertierungsaufwand verbunden sein kann. Aber zumindest ist dieser Aufwand sehr viel kalkulierbarer geworden. Daneben entstehen für die NFDI aber auch Herausforderungen ganz neuer Art, die mit der Natur digitaler Daten zusammen- hängen, und die die Verknüpfung untereinander und die Her- stellung von Interoperabilität betreffen. Von der Frage, wie gut sich diese und andere mit dem Langzeiterhalt digital nieder- gelegten Wissens verbundenen Herausforderungen meistern lassen, wird auch abhängen, wie digital die Wissensgesellschaft überhaupt werden kann. Zu Krisenpessimismus besteht dabei aber kein Anlass. Hat man den Langzeiterhalt digitaler Wer- ke einmal als Herausforderung begriffen, so finden sich auch Lösungen. Die Bayerische Akademie der Wissenschaften und das Leibniz-Rechenzentrum unterstützen durch ihre Mitarbeit in den NFDI-Konsortien aktiv den Aufbau einer langfristig ange- legten Forschungsdateninfrastruktur.