als e-paper abonnieren

Inhalt 2.2024 Robert Schumanns poetische Welt Der Komponist Robert Schumann war zeitlebens auch Dichter und Literat. Seine Kompositionen weisen eine hohe literarische, seine Texte eine starke musikalische Qualität auf. Dieses Zusammenspiel von Poesie und Musik in seinen Werken macht nun ein inter- disziplinäres Projekt von drei deutschen Wissenschaftsakademien sichtbar. Tauchen Sie ab Seite 12 ein in Robert Schumanns Werkstatt. Die Natur galt nicht nur den Künstlerinnen und Künstlern der Romantik als Quelle der Inspiration. 4 4 : o t o F A k a d e m i e A k t u e l l l l e u t k A e i m e d a k A r ü f l e n n ä M e k i e M

Kurz notiert 2.2024 TAG DER OFFENEN TÜR I N ZAH LEN 5.500 große und kleine Gäste 3,75 kg verschenkte Gummibärchen im Thesaurus linguae Latinae 5 Vulkanaus- brüche im Apo- thekenhof e c n a i l l a e r u t c i i p / t d m h c S . h C ; n o i t c e l l o C s r e p a P r e g n a w t h c u e F n o i L . y r a r b i L l a t i g i D C S U ; ) 8 ( W d A B / t r e n u e N i a K : s o t o F 200 l 200 l 200 l 200 l flüssiger Stickstoff flüssiger Stickstoff flüssiger Stickstoff flüssiger Stickstoff für Experimente für Experimente für Experimente für Experimente bei tiefsten bei tiefsten bei tiefsten bei tiefsten Temperaturen Temperaturen Temperaturen Temperaturen 0 Sanitäter- einsätze 6 A k a d e m i e A k t u e l l

Im Gespräch 2.2024 „Viele Bürgerinnen und Bürger sehen das Wählen nicht mehr als Bürgerpflicht an“ D e r P o l i t i k w i s s e n s c h a f t l e r J é r ô m e S c h ä f e r i m G e s p r ä c h ü b e r d i e s i n k e n d e Wa h l b e t e i l i g u n g i n v i e l e n L ä n d e r n , d a s P h ä n o m e n d e r P r o t e s t w a h l u n d d i e F r a g e , w a s h e u t e z u e i n e m g u t e n Wa h l k a m p f g e h ö r t . F o t o M a g d a l e n a J o o s s Seit Jahren nimmt die Wahlbeteiligung in vielen Ländern der Welt ab, so auch in Deutschland. Bei der letzten Bundestags- wahl gab es 61,2 Millionen Wahlberech- tigte, davon machten 47 Millionen von ihrem Wahlrecht Gebrauch, also 76,6 %. Im internationalen Vergleich ist die Wahl- beteiligung in Deutschland damit weiter- hin relativ hoch, allerdings hat sich die Zahl der Nichtwählerinnen und Nicht- wähler seit den 1980er Jahren mehr als verdoppelt. Herr Schäfer, wie steht es generell um die Wahlbeteiligung? Jérôme Schäfer: Was wir bei der Wahlbe- teiligung in vielen Ländern beobachten, ist ein deutlicher Trend nach unten. In den 1990er Jahren lag die Wahlbeteiligung in Westeuropa, also in Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Italien, bei Parlamentswahlen typischerweise bei 80 % plus X. Heute liegt sie eher bei etwa 70 %. In den USA liegt die Wahlbeteili- gung bei Präsidentschaftswahlen schon länger bei 50 bis 60 % und stagniert wei- terhin. Es gibt zwar Ausreißer nach oben: So lag die Wahlbeteiligung bei der Wahl zum Deutschen Bundestag im Jahr 2021 bei über 76 %, und in den USA bei den Prä- sidentschaftswahlen 2020 bei über 66 %. Aber insgesamt geht der Trend deutlich nach unten. Was könnten die Gründe dafür sein? Wie kann man das erforschen? Wenn man die Gründe untersuchen will, warum die Wahlbeteiligung sinkt, muss man sich überlegen: Was sind die Fak- toren, die bestimmen, warum Bürgerin- nen und Bürger nicht zur Wahl gehen? Es kann einerseits am Aufwand für eine Beteiligung an der Wahl liegen. Der könn- te zu hoch sein. Andererseits könnte es auch sein, dass der subjektive Nutzen der Wahl zu niedrig ist im Verhältnis zum Aufwand einer Wahlbeteiligung. Beim Aufwand geht es vor allem um den Zeitaufwand, insbesondere in den USA. Dort ist der Wahltag aus histori- schen Gründen immer ein Dienstag, was speziell für Berufstätige nicht praktisch ist. Hinzu kommen bürokratische Hürden. 8 8 A k a d e m i e A k t u e l l

Im Gespräch 2.2024 So ist man zum Beispiel in den USA nicht automatisch für die Wahl registriert, son- dern muss das selbst beantragen. Viele Bürgerinnen und Bürger vergessen das vor der Wahl. Zahlreiche Bundesstaaten versuchen daher seit mehreren Jahrzehn- ten, die Wahlregistrierung und die Brief- wahl zu erleichtern. Dennoch ist es in den USA grundsätzlich deutlich schwieriger zu wählen als in europäischen Ländern wie beispielsweise Deutschland. Hier ist es sehr einfach, die Briefwahl zu beantra- gen, aber auch hier muss man sich vorab an Fristen halten. Und am Wahltag selbst kann es sein, dass man doch kurzfristig keine Zeit hat oder dass die Warteschlan- gen in den Wahllokalen sehr lang sind. Der Aufwand kann auch hier zu hoch sein. Worum geht es beim subjektiven Nutzen einer Wahl? Beim subjektiven Nutzen der Wahl hängt es einerseits davon ab, wie wichtig Men- schen die Wahl nehmen, und andererseits davon, wie eng der Wahlausgang vermut- lich sein wird. Bei der US-Präsidentschafts- wahl von 2020 zwischen Joe Biden und Donald Trump war die Wahlbeteiligung auch deshalb so hoch, weil beide Partei- en alles getan haben, um ihre Anhänger zu mobilisieren. Es war eine sehr wichti- ge Wahl. Ein Gegenbeispiel für eine Wahl, die von vielen Bürgerinnen und Bürgern als nicht so wichtig angesehen wurde, ist hingegen die Bundestagswahl von 2009 in Deutschland. Das war die Bundestags- wahl mit der niedrigsten Beteiligung in der Geschichte der Bundesrepublik, näm- lich 70,8 %. Hier ist insbesondere die soge- nannte asymmetrische Demobilisierung interessant: SPD-Anhänger waren von der großen Koalition eher enttäuscht und enthielten sich massenweise, während Unionsanhänger Angela Merkel weiter- hin unterstützten, was zum Wahlsieg der Union führte. Dass Menschen bestimmte Wahlen nicht so wichtig nehmen, zeigt sich auch bei Kommunal-, Landtags- und Europa- wahlen, bei denen die Wahlbeteiligung generell meistens niedriger ist als bei Bundestagswahlen. Ja, das ist richtig. Der subjektive Nutzen kann immer von Wahl zu Wahl variieren. Aber auch das allein kann den langfris- tigen Abwärtstrend nicht erklären. Das Phänomen der sinkenden Wahlbeteili- gung scheint damit zu tun zu haben, dass viele Bürgerinnen und Bürger das Wäh- len nicht mehr als Bürgerpflicht anse- hen. Warum aber nimmt der Bürgersinn in den letzten Jahren so erkennbar ab? Das wiederum könnte mit zwei Faktoren zusammenhängen: Einerseits scheinen viele Menschen seit der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/2009 politik- verdrossen geworden zu sein. Es gibt ein wachsendes Misstrauen gegenüber den Eliten. Andererseits könnte der Generatio- nenwechsel eine Rolle spielen. Die Nach- kriegsgenerationen hatten oft im Hinter- kopf, dass die Demokratie generell und das Wahlrecht nicht selbstverständlich sind. Das ist bei den jungen Generatio- nen vielleicht nicht so präsent. Insgesamt muss man aber sagen, dass wir über die Gründe für den sinkenden Bürgersinn noch zu wenig wissen. Hier gibt es einen deutlichen Bedarf für mehr Forschung. Eine Statista-Umfrage unter Nichtwäh- lerinnen und -wählern bei der Bundes- tagswahl 2021 ergab folgendes Bild: 65 % erklärten: „Es hat keinen Sinn zu wählen, weil die Parteien und Politiker „ Die demokratischen Parteien könnten die sozialen Medien besser nutzen, um die eigenen Anhänger zu mobilisieren.“ doch machen, was sie wollen“, 56 % sag- ten, es gebe keinen Politiker, dem sie ihre Stimme geben wollten. 47 % meinten: „Für die Dinge, die mir wichtig sind, setzt sich keine Partei ein“, und 33 % gaben an, sich gar nicht für Politik zu interessieren. Immerhin 25 % erklärten: „Ich gehe des- halb nicht zur Wahl, weil mir der Staat als Ganzes nicht gefällt“, und 17 % äußerten: „Ich wollte meiner Partei einen Denkzet- tel verpassen, weil ich unzufrieden mit ihr war“. Daran anschließend die Frage: Welche Bedeutung haben Protestwahlen und zunehmende populistische Tenden- zen? Werden so möglicherweise (junge) Wählerinnen und Wähler mobilisiert, die sonst nicht wählen würden? Das Phänomen der Protestwahl gibt es schon länger. In Deutschland ging es vor Jahrzehnten zum Beispiel um Stimmen für die NPD oder die Republikaner, in Frankreich für den Front National (heu- te: Rassemblement National). Was sich in den letzten Jahren aber verändert hat, ist, dass Protestwähler nicht nur punktuell populistische Parteien wäh- len, also nicht nur einmal und sich beim nächsten Mal eher der Stimme enthalten, sondern regelmäßig zur Wahl gehen und sich dann zu ihrer Protestwahl bekennen. Aber auch über das Verhältnis zwischen Enthaltung und Protestwahl wissen wir im Grunde noch wenig. Es scheint so, als hätten sich in Ländern wie Italien viele Menschen, die im Zuge der Wirtschafts- krise ihren Job verloren hatten, erst ihrer Stimme enthalten, um dann später eine populistische Partei zu wählen. Doch es ist unklar, ob und in welchem Maße Popu- listen auch junge Wählerinnen und Wäh- ler mobilisieren können, die ansonsten gar nicht wählen würden. Wie kann man verhindern, dass (junge) Wählerinnen und Wähler zwar wählen gehen, aber ihr Kreuz bei antidemokra- tischen Parteien machen? Grundsätzlich ist es eine gute Idee, bürokratische Hürden zu reduzieren und somit das Wählen einfacher zu machen. Das liegt auch daran, dass Anhänger von populistischen Parteien oft motivierter sind und sich von Hürden wie langen Schlangen vor den Wahllokalen weni- ger vom Wählen abhalten lassen als Anhänger von demokratischen Partei- en. Wie wichtig das ist, konnte man zum 10 10 A k a d e m i e A k t u e l l

2.2024 Robert Schumanns poetische Welt Die auf den Bild- seiten eingestreuten Zita- te stammen aus Schumanns „Haus- und Lebensregeln“, die er jungen Musikerinnen und Musi- kern als pädagogische Leitsätze zur Förderung einer weiter gefassten Bildung an die Hand geben wollte. l l l l e e u u t t k k A A e e i i m m e e d d a a k k A A r r ü ü f f x x x x x x x x x x x x : : s s o o t t o o F F

Fokus 2.2024 F ür die Durchführung des auf 24 Jah- re angelegten Projekts „Robert Schu- manns Poetische Welt (RSPW). Drama – Oratorium – Vokalsymphonik – Litera- risches Werk. Historisch-kritische Hyb- ridausgabe“ haben sich die Bayerische Akademie der Wissenschaften, die Aka- demie der Wissenschaften und der Lite- ratur in Mainz sowie die Sächsische Aka- demie der Wissenschaften zu Leipzig im Rahmen des Akademienprogramms zusammengeschlossen. Bei dem Projekt handelt es sich nicht nur um ein interaka- demisches Unternehmen mit Arbeitsstel- len in Frankfurt, Leipzig und Würzburg, sondern auch um ein interdisziplinäres Unterfangen, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus der Musikwis- senschaft, der Literaturwissenschaft und den Digital Humanities zusammenwir- ken. Die Vielfalt der Träger, Projektleitung, Forschungsorte und beteiligten Fächer spiegelt auf beinahe symbolische Wei- se die Vielfältigkeit der Sache wider, um die es geht. S c h u m a n n s S e l b s t v e r s t ä n d n i s : D i c h t e r o d e r M u s i k e r ? Robert Schumanns poetisch-musikali- sches Schaffen ist mit einem herkömm- lichen Autorbegriff nicht angemessen zu erfassen. Er selbst verstand sich in erster Linie als Komponist und trat als solcher weithin sichtbar an die Öffentlichkeit. Die Entscheidung für dieses Selbstverständ- nis wurde jedoch 1830 vergleichsweise spät von dem 20-jährigen Schumann getroffen, der zunächst unsicher war, ob er Dichter oder Musiker werden soll- te. Nach Eintritt in die kompositorische Laufbahn blieb die Parallelidentität des Literaten als solche lebenslang erhalten. Als Gründer, Redakteur und Publizist der „Neuen Zeitschrift für Musik“ griff Schu- mann in einem Umfang und mit einer intellektuellen Intensität in den Musik- diskurs seiner Zeit ein, wie es für kaum einen anderen Komponisten des 19. Jahr- hunderts zu beobachten ist. Schumanns Kompositionen weisen eine hohe literarische und seine Texte eine hohe musikalische Qualität auf. So entfaltet sich eine gemeinsame Poetik, die die Grundlage und den Ausgangs- punkt des Projekts „Robert Schumanns Poetische Welt“ bildet. 16 Vermittler zwischen den Künsten: Robert Schumann, in erster Linie bekannt als Komponist, war zugleich auch Literat. Seine Kompositionen sind Poesie, seine Texte klingen wie Musik. Schumann war zeitlebens Poet im um- fassenden romantischen Sinn des Wortes. P o e s i e , P o e t i k u n d M u s i k i m D r e i k l a n g „Die Aesthetik der einen Kunst ist die der andern; nur das Material ist ver- schieden.“ In diesem Aphorismus kon- zentrierte Schumann sein künstlerisches Credo. Was rasch dahingesagt scheint, birgt mit seiner pointierten Kürze phi- losophischen Tiefsinn: Schumann war zeitlebens Poet im umfassenden roman- tischen Sinn des Wortes. Er war jemand, der über die Kunstgenres hinweg die um 1800 aufkommende Überzeugung ver- trat, ein Künstler solle „seinen Stoff ide- alisiren“ und „das Unendliche […] in einer Anschauung darstellen“ können, um es mit den 1795 von Christian Gottfried Körner geschriebenen Worten auszudrü- cken. Die Poetik-Konzepte des 19. Jahrhun- derts treffen sich in der Überzeugung, dass die Regelpoetik des 18. Jahrhunderts in einer Individualpoetik aufzugehen habe, die nicht mehr systemimmanent, son- dern systemumfassend zu verstehen sei. Schumann folgte diesem Prinzip, in- dem er etwa seiner „Phantasie“ für Kla- vier op. 17 Friedrich Schlegels Vers „Durch alle Töne tönet / Im bunten Erdentraum / Ein leiser Ton gezogen / Für den der heim- lich lauschet.“ als Motto voranstellte. Damit verweist er auf Schlegels prägende Idee eines universalen Poesie-Begriffs. Umgekehrt trägt auch Schumanns Be- mühen um die Musikalisierung von Wort- texten die Handschrift eines Poeten: Er vermittelt nicht nur souverän zwischen den Künsten, sondern begreift seine Werke als Angebote und Ausdrucksfor- men der Kunstform der romantischen Poetik selbst. In diesem Sinne ist bereits die erste musikschriftstellerische Publikation Schu- manns Beleg für eine völlig neue Art des Redens und Schreibens über Musik: In sei- ner 1831 veröffentlichten Rezension von Chopins Variationen über Mozarts „Là ci darem la mano“ op. 2 führt Schumann seine Leserschaft nicht auf den Weg einer musiktheoretischen Untersuchung, son- dern mitten hinein in eine imaginierte Szene. Ein romantischer Freundesbund trifft sich zu später Stunde und setzt sich der spielend-hörenden Erfahrung neuer Musik aus. Doch zunächst wird gedan- kenlos im Notenheft geblättert, dabei wahrgenommen, wie das Geschriebene A k a d e m i e A k t u e l l u a k c i w Z s u a H - n n a m u h c S - t r e b o R : o t o F

Fokus 2.2024 Zum Projekt „Robert Schumanns Poetische Welt“ Pu b l i kat i o n s fo r m : h i s to r i s c h - k r i t i s c h e H y b r i d - Ed i t i o n digitale Edition des dichterischen und schriftstellerischen Œuvres (fast 3.000 handschriftliche Seiten) gedruckte und digitale Edition der Kompositionen mit Libretto inkl. Werkgeschichte (Dramatisches, Oratorisches, Vokalsymphonisches); 22 Notenbände mit voraussichtlich rund 6.350 Seiten, Libretti digital, Kritische Apparate inkl. Werkgeschichte digital und gedruckt digitale historisch-kritische Edition der literarischen Publikationen (fast 6.000 Druckseiten im Original), darunter die komplette „Neue Zeitschrift für Musik“ aus Schumanns Redaktionszeit I nt e ra ka d e m i s c h : Vo r h a b e n vo n drei Akademien innerhalb der Union d e r d e u t s c h e n A ka d e m i e n d e r Wi s s e n s c h a ft e n Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz (Arbeitsstelle: Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt/Main) Bayerische Akademie der Wissenschaften (Arbeitsstelle: Schelling-Forum der Akademie in Würzburg) Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (Arbeitsstelle: Akademie Leipzig) I nt e rd i s z i p l i n ä r: Pro j e k t l e i t u n g u n d w i s s e n s c h a ft l i c h e s Te a m m i t fo l ge n d e n S c hwe r p u n k t e n Musikwissenschaft Literaturwissenschaft Digital Humanities L a u f ze i t : 24 Jahre (2023–2046) Fö rd e r u n g d u rc h d a s A ka d e m i e n p ro g ra m m vo n B u n d u n d L ä n d e r n 18 dramatischen Gattungen des Oratoriums und der Oper. In einem ersten Anlauf kon- zentrierte sich Schumann vorrangig auf das große romantische Bühnenwerk, rea- lisiert in der schlicht „Oper“ genannten „Genoveva“ von 1847/48. Die in einem Zeitraum von zehn Jahren entstandenen „Szenen aus Goethes Faust“ bilden nach literarischem wie musikalischem An- spruch das weitere Hauptwerk Schu- manns. Dazu traten kleiner gehaltene, aber nicht minder ambitionierte vokalin- strumentale Werke wie das „Requiem für Mignon“, die Musik zu Lord Byrons „Man- fred“, das Märchen „Der Rose Pilgerfahrt“ und schließlich die innovative Vokalsym- phonik in den vier späten Balladen nach Ludwig Uhland und Emanuel Geibel für Soli, Chor und großes Orchester. Die Abrundung von Schumanns poetisch- schriftstellerischem Lebenswerk erfolg- te in den frühen 1850er Jahren mit der Zusammenstellung, redaktionellen sowie inhaltlichen Überarbeitung und Publika- tion seiner „Gesammelten Schriften“. Hier sicherte er die poetische ebenso wie die poetologische Essenz „seiner“ Zeitschrift. „ Ä u ß e r e “ u n d „ i n n e r e “ W e l t e n Schumanns poetische Welt umfasst vor diesem knapp skizzierten Hintergrund seine poetischen Tätigkeiten als Autor von dichterischen und feuilletonisti- schen Texten sowie als Komponist von Partituren. Zudem schließt sie die von ihm als Poetiker ausgehende Wirkung auf die Praxis und Theorie von Komposi- tion und Musikkritik sowie auf das Medi- um des Musikjournals ein. Er hatte Teil an der poetischen Praxis seiner Zeit, indem er selbst Autoren prägte und von ihnen geprägt wurde. Mit diesen „äußeren“ Welten von poetischer Handlung, Darstellung, Deu- tung und Wahrnehmung korreliert eine „innere“ Welt, in der Schumanns poetische Werke verankert sind. In sei- ner „Humoreske“ für Klavier op. 20 bei- spielsweise reflektiert der Komponist an einer Stelle die Korrelation dieser beiden Welten: In den Noten ist zwischen den Systemen für die rechte und die linke Hand eine „Innere Stimme“ abgedruckt, zu der Clara Schumann später in ihrer „In- struktiven Ausgabe“ die Fußnote notierte: A k a d e m i e A k t u e l l

Fokus 2.2024 M it einem Kreis von Musikerfreun- den begründete Robert Schumann 1834 die „Neue Zeitschrift für Musik“. Zu der Zeit hatte sich die kritische Ausein- andersetzung mit der aktuellen Musik und Musikkultur bereits als wesent- licher Bestandteil eines immer größer und vielfältiger werdenden Zeitungsmark- tes etabliert. Mit Zeitschriften wie der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ oder der „Caecilia“ verfügten große Kultur- und Verlagsmetropolen wie Berlin, Wien, Leipzig oder Mainz seit Jahrzehnten über zentrale Organe musikalischer Bericht- erstattung. Im 18. Jahrhundert entstand der Wunsch des aufgeklärten bürgerli- chen Publikums nach objektiven Maßstä- ben zur Beurteilung ständig neuer musi- kalischer Modeerscheinungen aus Italien, Frankreich und England. Eine Zeitungs- kritik oder theoretische Abhandlung hatte zunächst festzustellen, ob die Form eines Werkes erfüllt und es nach gülti- gen Normen komponiert war. Mit der sich ausbreitenden Vorstellung vom fühlen- den Individuum vollzog sich um 1800 ein Wandel dieser objektiven Bewer- tungsmaßstäbe hin zu subjektiveren Geschmacksurteilen – das Empfinden verbreitete sich als zentrales Kriterium und wurde in den romantischen Strö- mungen gar zur Kunstästhetik erhoben. D i e D a v i d s b ü n d l e r : K ü n s t l e r u n d „ j u n g e B r a u s e k ö p f e “ Mit der „Neuen Zeitschrift für Musik“ ver- trat Schumann diese Ästhetik in vollkom- mener Weise: Er verstand die Zeitschrift als Sprachrohr seiner Davidsbündler, einer teils fiktiven, teils realen Gemein- schaft von Künstlern, die sich seit 1833 regelmäßig im Leipziger Lokal „Zum Arabischen Coffe Baum“ trafen. Sie gaben sich Phantasienamen, mit denen sie ihre Zeitungsbeiträge unterzeichneten, und stellten ihr Leben und Wirken ganz in den Dienst der Poesie. Zu der Künstler- gruppe zählten auch die drei weiteren Das in Trier entwickelte Werkzeug „Transcribo“ unterstützt bei der Transkription komplizierter hand- schriftlicher Texte. Hier: Schumanns Entwurf für eine Titelseite der Zeitschrift mit Segmentierung auf Wortebene. Das Empfinden verbreitete sich als zentrales Kriterium und wurde in den romantischen Strömungen gar zur Kunst- ästhetik erhoben. n e h p a r g o t u A - n n a m u h c S / n n o B k e h t o i l b i b s e d n a L d n u - s t ä t i s r e v i n U : . b b A 24 A k a d e m i e A k t u e l l

Fokus 2.2024 sämtlicher im Text genannter Personen, Orte, Werke, Sach- und Fachbegriffe mit Normdaten wie etwa der Gemein- samen Normdatei (GND). Mithilfe die- ser eindeutig identifizierbaren Daten lassen sich Verknüpfungen erstellen und Vernetzungen visualisieren. Ein kritischer Apparat liefert neben Meta- daten zu Entstehung, Aufbau und Inhalten der Texte auch Kommentare und bibliographische Angaben. Inter- textuelle Bezüge innerhalb der Zeit- schrift sowie Aufbau und Strukturen der einzelnen Nummern werden dabei ebenso visualisiert wie die Textgenese in solchen Fällen, in denen der Text auch in weiteren Quellen überliefert ist. Dies kann eine handschriftliche Druckvorla- ge Schumanns sein, ein eingesandtes Autorenmanuskript oder auch ein Arti- kel Schumanns, den er später in seine vierbändigen „Gesammelten Schriften“ übernahm. Durch digitale Sichtbarma- chung all jener Stellen, an denen die überlieferten Textversionen voneinander abweichen, ergeben sich dem Forschen- den direkte Deutungsmöglichkeiten: Beim zitierten Text beispielsweise hat Schumann im Zuge der redaktionellen Einrichtung für seine Schriften-Ausgabe kleinere Textpassagen verändert und die Formulierung „eine junge, dichteri- sche Zukunft“ durch „eine neue poeti- sche Zeit“ ersetzt. Gerade dieser letzte Punkt seines Vergangenheit-Gegenwart- Zukunft-Modells schien ihm also derart wichtig, dass er ihn mit einem Ausdruck dichterisch-prophetischer Strahlkraft und bester Zitierfähigkeit für die Nach- welt sicherte. Eine digitale Edition ver- mag es, solche Veränderungen inner- halb der Stadien der Textgenese ohne umständliche Erläuterungen direkt sicht- bar zu machen und so die wissenschaft- liche Auseinandersetzung unmittelbar anzuregen. F o r s c h u n g s a r b e i t m i t z a h l - r e i c h e n P e r s p e k t i v e n Mit der historisch-kritischen digitalen Edition ganzer Jahrgänge einer Musik- zeitschrift leistet das Projekt Pionier- arbeit weit über den bloßen Zugriff auf eine Netzressource mit lediglich rudi- mentären Suchfunktionen hinaus. Wäh- rend sich die meisten digitalen Editions- 26 Mit der historisch-kriti- schen digitalen Edition ganzer Jahrgänge einer Musikzeit- schrift leistet das Projekt Pionierarbeit. projekte auf einen bestimmten Autor oder klar umrissene Textsorten wie etwa Briefe, Tagebücher oder literarische Wer- ke konzentrieren, stellt sich das Pro- jekt im Blick auf die Edition der „Neuen Zeitschrift für Musik“ einer besonderen Herausforderung: Weder in der Autor- schaft der Texte noch in der Textsorte und graphischen Anlage der Zeitschrift herrscht Einheitlichkeit, aber dennoch wird eine Kohärenz in der digitalen Dar- stellung und Kommentierung der Zeit- schrift angestrebt. Dafür werden tech- nische Tools der Texterkennung wie OCR oder auch der Textsegmentierung und Handschriftentranskription wie das am Trier Center for Digital Humani- ties entwickelte Werkzeug „Transcribo“ auf ihre Anwendbarkeit geprüft und neue Werkzeuge entwickelt. Sämtliche Datenmodelle werden dabei im Sinne des Open Access für Anwendung und Nutzung offen und transparent gehal- ten. Die Anschlussfähigkeit für weitere Editionsprojekte wie etwa der Jahrgänge nach Schumanns Redaktionstätigkeit oder auch anderer (Musik-)Zeitschriften wird somit von Anfang an mitgedacht. Dank der Möglichkeiten digitaler Edi- tionstechniken können Musikforscher- innen und -forscher somit zukünftig auf ideale Arbeitsmittel zugreifen, um histo- rische Musikzeitschriften in ihrer Wirkung auf das Musikleben ihrer Zeit umfassend zu analysieren, zu vergleichen und zu deuten. Dr. Carolin Hauck i s t M u s i k w i s s e n s c h a ft l e r i n u n d arbeitet seit 2023 an der Würz- burger Arbeitsstelle des Projekts „Rober t Schumanns Poetische Welt“. Nach der Promotion an der Hochschule für Musik Weimar war sie in Forschungsprojekten in Jena, Wien und Freiburg tätig . Schwer- punkte ihrer Arbeit bilden das Musiktheater des 19. Jahrhunder ts, die Geschichte der Musikkritik und der Aufführungspraxis sowie die musikalische Quellenkunde . l l e u t k A e i m e d a k A r ü f l e n n ä M e k i e M : o t o F A k a d e m i e A k t u e l l

„ H i n t e r d e n B e r g e n w o h n e n a u c h L e u t e . S e i b e s c h e i d e n ! D u h a s t n o c h n i c h t s e r f u n d e n u n d g e d a c h t , w a s n i c h t A n d e r e v o r d i r s c h o n g e d a c h t u n d e r f u n d e n . U n d h ä t t e s t d u ' s , s o b e t r a c h t e e s a l s e i n G e s c h e n k v o n O b e n , w a s d u m i t A n d e r e n z u t h e i l e n h a s t . “

Fokus 2.2024 S chumann war nicht nur ein dezi- dierter Literaturkenner, sondern auch selbst Literat. Einer Buchhändler- und Verlegerfamilie entstammend, konnte er von seiner Jugend sagen: „Die bedeutends- ten Dichter ziemlich aller Länder waren mir geläufig“, und schon bald drängte es ihn selbst „zum Produciren“. Er schrieb Gedichte, dramatische Versuche und Prosatexte aller Art. Als typisch roman- tischer Leitfaden galt für ihn dabei: „die Poesie muß überall hervorguken, um die Prosa im Leben so viel wie möglich zu übertünchen“, wie es in seinem Tagebuch heißt. Sein umfangreiches schriftstelleri- sches Schaffen mit Opernszenarien, Pro- satexten und frühen dichterischen Ver- suchen wird nun in digitaler Edition ver- öffentlicht. Dazu kommen umfangreiche Sammlungen von Notaten und Exzerpten zu seinen Lektüren. S c h u m a n n s M o t t o s a m m l u n g Ein treffliches Zeugnis von Schumanns fortwährender Beschäftigung mit der „Mit fremden Stimmen spricht Schu- mann in der Mottosammlung zugleich das Eigenste aus.“ Literatur ist die sogenannte Mottosamm- lung. Fast 30 Jahre lang sammelte er über 1.200 Exzerpte und Notate aus oder zu literarischen Vorlagen aller Art, darunter Dramen, Gedichte, Romane, Versepen, (Auto-)Biografien, Briefwechsel sowie musikgeschichtliche und -theoretische Werke. Heute weithin bekannte Autoren wechseln dabei ab mit (halb)vergesse- nen. „Mit fremden Stimmen spricht Schu- mann in der Mottosammlung zugleich das Eigenste aus“, so der Musikwissen- schaftler und Germanist Leander Hotaki. Die Themen der Motti variieren. Grob lassen sich folgende wieder- kehrende Sujets festhalten: die Verhält- nisse der Künste untereinander, das Ver- hältnis von Theorie und Praxis, Empfin- dung und Reflexion, Genie und Talent, Mitwelt und Nachwelt, Tradition und Mode, Künstlerethos und Virtuosentum, die Macht der Musik, die vermeintliche Sensationsgier des Publikums und Miss- stände im Kritikerwesen. Die postume Bezeichnung „Motto- sammlung“ wird der Heterogenität der Abb. 1: In seiner Mottosammlung hielt Schumann Exzerpte und Notate aus literarischen Vorlagen fest. Viele davon stellte er später den von ihm redigierten Ausgaben der „Neuen Zeitschrift für Musik“ voran. Verwendete Zitate strich er in seinen Notizen durch. Sein schriftstellerischer Nachlass befindet sich im Robert-Schumann-Haus Zwickau. 32 A k a d e m i e A k t u e l l u a k c i w Z s u a H - n n a m u h c S - t r e b o R : . b b A

Fokus 2.2024 Abb. 3: Das von Schumann handschriftlich verfasste Manuskript für eine Oper nach E. T. A. Hoffmanns „Doge und Dogaressa" enthält Operntext, Szenenablauf und Angaben zur musikalischen Besetzung. 34 A k a d e m i e A k t u e l l u a k c i w Z s u a H - n n a m u h c S - t r e b o R : . b b A

3 6 A k a d e m i e A k t u e l l Fotos: xxxxxx für Akademie Aktuell

Fokus 2.2024 I n einem Brief an den Verleger Fried- rich Whistling vom 26. Juni 1848 resü- mierte Robert Schumann stolz die Reak- tionen auf eine erste Probeaufführung seiner zu dieser Zeit noch längst nicht vollendeten Faust-Szenen. Seine Kompo- sition und, man darf hinzufügen, seine Textauswahl hätten das Verständnis des zu dieser Zeit unpopulären und teilweise heftig kritisierten zweiten Teils der Faust- Tragödie erleichtert. Damit schien Schu- mann seinem künstlerischen Ziel bereits sehr nahe gekommen zu sein. Die schon in seiner Jugend dem Tagebuch anver- traute und maßgeblich auch von Goe- thes Dichtung inspirierte Ästhetik einer poetischen Wechselbeziehung von Wort und Ton schien eingelöst. Demnach sei guter Dichtung immer auch rhythmisch- musikalische Qualität immanent, und vice versa sei Ton komponiertes Wort. Höchster Ausdruck könne jedoch nur in einer gelungenen Komposition erreicht werden, sodass die Musik grundsätzlich über der Dichtung stehe. E i g e n s c h ö p f e r i s c h e E i n g r i f f e Eingedenk dieser Ästhetik vertonte Schu- mann nicht einfach eine Textvorlage Vers für Vers. Vielmehr eignete er sich die Tex- te seiner großbesetzten vokalsymphoni- schen Werke nachschaffend an, indem er in die Struktur eingriff, weite Teile umstellte, strich und durch eigene Neu- dichtung ergänzte wie im Fall seiner Oper „Genoveva“ op. 81. Deren Libretto basiert zwar auf den Dramen Ludwig Tiecks und Friedrich Hebbels, wurde jedoch von Schumann um wesentliche Abschnit- te eigener Dichtung ergänzt. Im Fall der Faust-Szenen dagegen hielt er sich streng an Goethes Text bzw. an das, was er für das Original hielt, also Goethes Fassung letzter Hand. B e g e i s t e r t v o n F a u s t I I Gleichwohl ist auch dem Faust-Lib- retto ein starker eigenschöpferischer Anteil Schumanns zu konzedieren. Die- ser besteht in seiner Textauswahl, mit welcher er eine in der langen Geschich- te der Faust-Vertonungen einzigartige Lösung gefunden hat: Anders als ande- re Komponisten fokussierte Schumann nicht die populäre Gelehrten-Tragödie 38 des ersten Teils. Seit seiner Jugend hat- te er beide Teile des Faust immer wieder intensiv gelesen. Die Fackel seiner kom- positorischen Begeisterung entzündete sich an den lyrisch-musikalischen Quali- täten der von seinen Zeitgenossen auf- grund ihres vermeintlich rein betrachten- den Charakters weitgehend abgelehn- ten, mystischen Schlussszene von Faust II: Bergschluchten. Hiervon ausgehend wählte er später relativ wenige weitere Textabschnitte aus beiden Teilen der Tra- gödie. Diese bilden ein dramaturgisch Die Ästhetik einer poetischen Wechsel- beziehung von Wort und Ton schien eingelöst. geschickt konstruiertes Textarrange- ment, um die kompositorisch unmittel- bar erfahrbar gemachten Themenfel- der der Schlussszene sinnvoll zu expo- nieren und besser verstehen zu können. Gemeint sind die aufopfernde Liebe eines fesselnden weiblichen Charakters, die romantisch-philosophische Naturwahr- nehmung im Spannungsfeld von Wis- senschaft und Kunst, die hoch artifizielle Religiosität und endlich die Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit eines zerrissenen Charakters, der am Ende den- noch Erlösung findet. M i s s v e r s t a n d e n w e g e n f e h l e r h a f t e n N o t e n d r u c k s Bis in die Gegenwart ist diese einzigar- tige Disposition Schumanns, eines der bedeutendsten europäischen Kompo- nisten des 19. Jahrhunderts, auf Unver- ständnis gestoßen. Ein Grund dafür dürfte zunächst die fehlende Gattungs- zuweisung sein: Das abendfüllende, einen großen Musikerapparat erfor- dernde Werk ist weder als Kantate oder Oratorium noch als Oper ausgewiesen, sondern schlicht als „Scenen“ betitelt. Weiterhin dürfte vor allem eine bis heute fehlende historisch-kritische Edition Ursache dafür sein, dass Schumanns Faust-Szenen noch immer ein Schatten- dasein fristen. Interessierte sind zurzeit noch auf den reichlich fehlerhaften, bereits 1883 ohne kritischen Apparat erschienenen Notentext der von Clara Schumann verant- worteten ersten Gesamtausgabe der musikalischen Werke ihres Mannes angewiesen. Durch diese intransparente, inkorrekte Ausgabe wurden nicht nur Schumanns vielgestaltige, langwie- rige intellektuelle Auseinandersetzung mit der Dichtung Goethes und die kom- plexe Entstehungsgeschichte dieses anspruchsvollen Hauptwerkes untermi- niert. Mehr noch: Es wurden Fehldeu- tungen zementiert. Dafür sei nur ein Beispiel genannt, das allerdings eine Schlüsselstelle in Schumanns Vertonung betrifft: Entgegen Goethes Originaltext wiederholt der Chor in der ersten Schumann-Gesamtausgabe Mephistopheles’ anrüchiges, direkt nach Fausts Tod gesungenes Zitat der Worte Jesu Christi am Kreuz: „es ist vollbracht“. A k a d e m i e A k t u e l l l l e u t k A e i m e d a k A r ü f l e n n ä M e k i e M : o t o F

Fokus 2.2024 Man hat davon ausgehend immer wie- der unterstellt, Schumann habe sich absichtlich gegen Goethes Originaltext entschieden, in welchem der Chor, statt „es ist vollbracht“ zu wiederholen, „es ist vorbei“ skandiert. Dem Komponisten sei somit einerseits der bittere Sarkasmus des Mephistopheles entgangen, ande- rerseits habe er mit dieser Textänderung das vermeintlich christliche Moment im Sinne kunstreligiöser Deutung betonen wollen. Demgegenüber zeigt ein genauer Vergleich der inzwischen wieder vollstän- dig zugänglichen authentischen Quellen, dass Schumann in sämtlichen Hand- schriften als Antwort des Chores den Ori- ginaltext Goethes gesungen wissen woll- te: Bereits im Particell-Entwurf, sodann im Partitur-Arbeitsmanuskript und noch in der Stichvorlage des Klavierauszuges ist eindeutig „es ist vorbei“ als Singtext des Chores notiert. Die entstellende Text- änderung geht also nicht auf Schumann zurück. Es handelt sich vielmehr um eine durch die Nachwelt in den gedruckten Notentext geratene Kontamination von Goethes und Schumanns Original. D i g i t a l e N e u e d i t i o n a u f B a s i s a u t h e n t i s c h e r h i s t o r i s c h e r Q u e l l e n Die im Schumann-Projekt erfolgende Neuedition der Faust-Szenen wird erst- mals quellengestützt eine historisch- kritische Ausgabe bieten, wobei in einem frei zugänglichen digitalen Kritischen Apparat sowohl über die Abweichungen zwischen den Quellen informiert wird als auch die editorischen Entscheidungen transparent gemacht werden. Auf Grund- lage einer begründeten Quellenheuristik werden sämtliche relevanten authen- tischen Quellen akribisch miteinander verglichen. Somit wird mehr als 170 Jahre nach Vollendung dieses von Schumann nicht mehr selbst zum Druck gebrach- ten Hauptwerkes endlich ein Libretto- und Notentext vorgelegt werden können, der seinem letzten Willen entspricht und frei von jedweder Verfälschung ist. Auf Libretto-Ebene werden sowohl Schumanns analytisch kommentierte Textabschrift der Bergschluchten-Szene als auch seine drei Handexemplare von Goethes Faust-Tragödie, die Ein- tragungen des Komponisten zur Werk- Sie werfen neues Licht auf Schumanns Ringen mit dem Stoff im Detail wie auf seine poetische Welt insgesamt. 40 disposition enthalten, digital erschlos- sen. Dies geschieht in Form annotierter Scans und im Vergleich mit dem Wort- text der gleichsam einzubeziehenden Notenhandschriften. Auf Ebene der Musikalien wird erst- mals das kürzlich durch das Freie Deut- sche Hochstift in Frankfurt am Main aus Privatbesitz erworbene und nun der Öffentlichkeit zugängliche Faust- Skizzenkonvolut vollständig ausge- wertet und ediert. Dieses Konvolut ent- hält die Faust-Szenen in Form durch- gängig notierter Particell-Entwürfe, die den ersten kompositorischen Notaten des Komponisten entsprechen. Darüber hinaus beinhaltet es auch Arbeitsmanu- skripte des zweihändigen Klavierauszugs und sogar eine frühe Fassung eines Teil- satzes der Bergschluchten-Szene. Die- ses Material gewährt im Verbund mit Schumanns einzubeziehender Korres- pondenz, seinen privaten Notizen und Materialsammlungen zahlreiche wert- volle Neuerkenntnisse bezüglich der komplexen Genese der sich mit Unter- brechungen von 1844 bis 1853 erstrecken- den Kompositionsarbeit. Deutlich werden anhand des digi- tal zu faksimilierenden und historisch- kritisch aufzuarbeitenden Materials diverse von der Endgestalt abweichende frühere Werkkonzeptionen. Sie werfen neues Licht auf Schumanns Ringen mit dem Stoff im Detail wie auf seine poe- tische Welt insgesamt. In diesem Sinne wird der neu edierte Notentext in Ver- flechtung mit digitalem Libretto, kriti- schem Apparat und zuverlässig ermittel- ten Fakten zum historischen Werkkontext zu einer informierten, vorurteilsfreien Rezeption einer der anspruchsvollsten und schönsten Faust-Vertonungen über- haupt beitragen. Dr. Timo Evers ist Spezialist für Rober t und Clara Schumann sowie Herausgeber von Rober ts Kompositionen. Seit 2023 ist er wissenschaftlicher M i t a r b e i t e r i m Pro j e k t „ Ro b e r t Schumanns Poetische Welt“. l l e u t k A e i m e d a k A r ü f l e n n ä M e k i e M : o t o F A k a d e m i e A k t u e l l

Fokus 2.2024 Richard Wagner über das Musikleben in Paris „ EXTRABLATT AUS PARIS “ Vo n A r m i n K o c h In der „Neuen Zeitschrift für Musik“ publizier- te Robert Schumann regelmäßig Artikel über das Musikleben an unterschiedlichen Orten. Per Brief erstattete auch Richard Wagner Bericht über das Musikgeschehen in Paris. Für die Publikation in der Zeitschrift überarbeitete Schumann Wagners Originalbericht redak- tionell. Solche Eingriffe werden nun durch das neue Schumann-Projekt dokumentiert. 42 A k a d e m i e A k t u e l l

Fokus Schumanns Bearbeitung des Wagner-Briefs Richard Wagner hatte Schumann freigestellt, Passagen aus seinem brieflichen Bericht über die negative Entwicklung des Pariser Musiklebens für die Zeitschrift zu verwenden. So strich Schumann die Teile des Briefs um den eigent- lichen Bericht, trug Änderungen direkt ein und ergänzte Überschrift samt Anweisung an den Setzer („Mit Petit“). a n n a m u h c S a j c n e d n o p s e r o K / w o k á r K , a k s ń o l l e i g a J a k e t o i l b i B : . b b A 4444 A k a d e m i e A k t u e l l

Bücher machen ihr Leben reicher, bunter und voller: Anna Köhler, Akademie- mitglied und Professo- rin in Bayreuth.

Kurz vorgestellt 2.2024 Die Akademie hat gewählt: Im Frühjahr nahm die Gelehrtengemein- schaft neue Mitglieder auf. Auch im Jungen Kolleg sind Kollegia- tinnen und Kollegiaten hinzugekommen, die für die Dauer ihrer Förderung außerordentliche Mitglieder der Akademie sind. Wir stellen die Neuzugänge über das Jahr verteilt in „Akademie Aktuell“ vor. Welche Frage würden Sie gerne stellen – und wem? Wie können mehr junge Medizinerinnen und Mediziner für die experimentel- le Forschung gewonnen werden? Diese Frage geht an alle Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Was macht Ihr Leben reicher? Meine Frau und meine Familie. Ich wollte schon immer einmal ... ... eine wenig arbeitsintensive Metho- de finden, Erdbeerbeete in Ordnung zu halten. Prof. Dr. Julia Pongratz J u l i a P o n g r a t z i s t D i r e k t o r i n d e s D e p a r t m e n t s f ü r G e o - g r a p h i e u n d I n h a b e r i n d e s L e h r s t u h l s f ü r P h y s i s c h e G e o - g r a p h i e u n d L a n d n u t z u n g s - s y s t e m e a n d e r L M U M ü n c h e n . Z u v o r l e i t e t e s i e a m M a x - P l a n c k- I n s t i t u t f ü r M e t e o r o l o - g i e e i n e F o r s c h u n g s g r u p p e z u F o r s t w i r t s c h a f t i m E r d s y s t e m . S i e i s t o r d e n t - l i c h e s M i t g l i e d d e r B A d W. Was ist Ihr Forschungsschwerpunkt? Die Wechselwirkungen zwischen der Vegetation der Kontinente und dem Klima – und wie der Mensch das durch- einanderbringt. Mindestens seit den Anfängen der Landwirtschaft nehmen wir Einfluss darauf, wie die Landober- fläche und die Atmosphäre Energie, Was- ser und andere Stoffe wie CO2 austau- schen. Damit verändern wir das Klima global, regional und lokal, teils um mehrere Grad Celsius. Was im Frucht- baren Halbmond begann, betrifft heu- te drei Viertel der eisfreien Landober- fläche. Nach 10.000 Jahren unbeabsichtig- ter Einflussnahme bemüht man sich nun, Landnutzung so zu gestalten, dass sie nicht nur dem Klimawandel besser trotzt, sondern ihm auch entgegenwirkt. Um dies zu verstehen und mögliche Zukunfts- pfade zu erforschen, entwickelt meine Gruppe komplexe Erdsystemmodelle, reicht aber auch den Geistes- und Sozial- wissenschaften die Hand für eine umfas- sende Bewertung. Wie haben Sie Ihr Forschungsgebiet für sich entdeckt? Durch einen fantastischen Erdkunde- lehrer, der uns die Schönheiten des Erd- systems eröffnete, das sich, wie Magie erscheinend, dann doch schlicht aus dem komplexen Zusammenspiel all der phy- sikalischen und biogeochemischen Pro- zesse ergibt. Was treibt Sie an? Zurzeit die Notwendigkeit, Antworten auf dringende Fragen der Politik und Öffent- lichkeit zu geben. Deutschland hat sich dazu verpflichtet, im Jahr 2045 Treib- hausgasneutralität zu erreichen, das heißt, sämtliche dann noch stattfinden- den Restemissionen durch CO2-Entnahme aus der Atmosphäre zu kompensieren. Aber wie viel wir hierfür auf Bäume, Fil- teranlagen oder CO2-Speicherung bauen können und sollten, ist erstaunlich unklar. 2045 kehre ich dann wieder zur Grund- lagenforschung zurück. Welche Frage würden Sie gerne stellen – und wem? An Alexander von Humboldt, mit all sei- nen Messinstrumenten vom Gipfel des A k a d e m i e A k t u e l l t a v i r p : s o t o F Prof. Dr. Veit Flockerzi Ve i t F l o c k e r z i i s t A r z t u n d P r o f e s s o r f ü r P h a r m a k o l o g i e u n d To x i k o l o g i e a n d e r U n i v e r s i t ä t d e s S a a r l a n d e s . E r i s t M i t g l i e d d e r N a t i o n a l - a k a d e m i e L e o p o l d i n a u n d k o r r e s p o n d i e r e n d e s M i t g l i e d d e r B A d W. Was ist Ihr Forschungsschwerpunkt? In meiner Forschung untersuche ich die Übertragung von chemischen und elektrischen Signalen von einer Zelle zur anderen. Grundlage dieser Übertra- gung sind Kanäle, also Poren in der Zell- membran, die geschlossen oder geöffnet sein können. Im geöffneten Zustand lei- ten sie Ionen in die Zelle hinein oder aus ihr heraus. Diese Signalübertragung löst alle schnellen Ereignisse im Organismus aus. Ich erforsche die pharmakologischen Grundlagen der elektrischen Signalüber- tragung und untersuche Krankheiten, die durch Störungen dieser Vorgänge verur- sacht werden. Wie haben Sie Ihr Forschungsgebiet für sich entdeckt? Indem ich im richtigen Moment dem rich- tigen Vorbild gefolgt bin. Was treibt Sie an? Das tägliche Abenteuer im Labor, dass es dort immer etwas zu tun gibt und dass ich vieles davon selbst gestalten kann. Und die Erfahrung, dass auch in schwie- rigen Situationen Durchhalten und Dran- bleiben oft zum Ziel führen. 4848

Forschung 2.2024 50 A k a d e m i e A k t u e l l

Forschung Politik 2.2024 Violetta Hagen: Ich möchte mit einem Text des Journalisten Sascha Lobo beginnen, der im September 2023 bei Spiegel Online erschien. Es sei „eines der größten Probleme Deutschlands im 21. Jahrhundert. Es handelt sich dazu auch noch um eine Art Metaproblem, weil es die Lösung vieler anderer Probleme er- schwert: der Föderalismus. (…) Föderalismus ist in Deutschland im Jahr 2023 nichts anderes als ein Euphemismus für Klein- staaterei und Bürokratie.“ Frau Leutheusser-Schnarren- berger, können Sie dem etwas abgewinnen? S A B I N E L E U T H E U S S E R - S C H N A R R E N B E R G E R : Ich halte diese Pau- schalkritik für überzogen und so auch für nicht zutreffend. Der Föderalismus ist eine der Grundlagen, die in der Verfassung der sogenannten Ewigkeitsgarantie unterliegen – was nicht heißt, dass sich der Föderalismus in Deutschland nur positiv entwickelt hat. Womit man sich beschäftigen muss, ist Folgen- des: Wo ist der deutsche Föderalismus zu ausufernd mit Blick auf Abstimmungsprozesse, Verflechtungen, ein Nicht-mehr- Wahrnehmen von Zuständigkeiten? Das spielte z. B. während der Pandemie eine große Rolle, wo die Ministerpräsidenten den Bürgerinnen und Bürgern nahebrachten, inwieweit die Entschei- dungen im Sinne des Grundgesetzes waren. Und warum ist es so schwierig, mit 16 Verfassungsschutzbehörden ein abgestimmtes Vorgehen gegen erhebliche Gefährdungen unserer Demokratie im Bereich von Terrorismus, Extremismus usw. zu erreichen? NSU – die drei Buchstaben stehen leider für ein Teilversagen in den Ländern und zu wenige Absprachen. Wir müssen den müh- samen Weg gehen zu überlegen, wo die föderalen Strukturen deutlich effizienter werden müssen. Aber eine Pauschalkritik, das funktioniert nicht. „ W i r m ü s s e n d e n m ü h s a m e n W e g g e h e n z u ü b e r l e g e n , w o d i e f ö d e r a l e n S t r u k - t u r e n d e u t l i c h e f f i z i e n t e r w e r d e n m ü s s e n . “ Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Frau Münch, der Föderalismus ist also eigentlich besser als sein Ruf? U R S U L A M Ü N C H : Positionen wie die von Sascha Lobo sind eine Form von Populismus. Das Problem liegt ja woanders, Stichwort Digitalisierung der Verwaltung. Da werde sogar ich zur Einheits- befürworterin, weil ich denke, das werden wir in föderalen plus kommunalen Strukturen vermutlich nie schaffen. Aber gleich- zeitig muss man dazu sagen: Wenn man so richtig anfängt mit einer Föderalismusreform, wird man feststellen, dass am Schluss nichts mehr vom Föderalismus übrigbleiben würde. Wir haben immer wieder versucht, die föderalen Strukturen zu reformie- ren, etwa im Jahr 2006. Die eine oder andere Veränderung hatte tatsächlich eine gewisse Wirkung, etwa die Verringerung der Zustimmungspflicht bei Bundesgesetzen. Ansonsten hatten wir jedoch immer Reformen, die alles komplizierter gemacht und vor allem den Ländern nicht genutzt haben. Und die Krux an der Sache ist: Wenn wir tatsächlich eine Föderalismus- reform so durchführen, wie es eine Mehrheit der bundesdeut- schen Bevölkerung möchte, dann müssten einerseits die Län- der erhalten bleiben, denn jeder will sein Land behalten. Aber man will zugleich das Durchregieren, das war in Deutschland immer schon sehr populär. Es soll alles schneller gehen, weni- ger kompliziert und kostengünstiger sein. Insofern sind wir sehr widersprüchlich. Ein holländischer Kollege hat einmal festge- stellt, Deutschland sei ein Föderalstaat mit einer unföderalen Gesellschaft, und das trifft es leider. Herr Wirsching, was würde unserer Demokratie ohne Föderalis- mus am meisten fehlen? Was würde verloren gehen, auch mit Blick auf die deutsche Geschichte? A N D R E A S W I R S C H I N G : Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ent- hält zwei Beispiele dazu: Die Zerschlagung des deutschen Föde- ralismus in der DDR bzw. die sehr starke Zurückdrängung im Falle des NS-Regimes sind gleichbedeutend mit den Phasen der Diktatur in Deutschland. Insofern glaube ich schon, dass der Föderalismus ein wichtiges Element der Demokratie in Deutsch- land ist. Und der Föderalismus ist ja nur das eine: Er ist einge- bettet in das Subsidiaritätsprinzip, was erhebliche Vorteile hat. Daran würde ich festhalten. Dieses Prinzip bedeutet, dass die Ebene, die am nächsten dran ist, die Probleme dort auch am besten lösen kann. A . W . : Ja, richtig. In Deutschland verfügt der Bund zudem quan- titativ gesehen über ganz wenig Verwaltung. Die Verwaltung befindet sich in den Ländern und Kommunen. Dort kann die viel- gerühmte Bürgernähe auch leichter erzielt werden. Ein Gegen- beispiel ist Frankreich mit dem historisch gewachsenen Zentra- lismus. In der Tat klappt dort bei der Digitalisierung von Verwal- tungsakten manches leichter. Aber auf der anderen Seite ist der einzelne Bürger oder die einzelne Bürgerin sehr weit entfernt vom Staat. Es gibt keine wirkliche kommunale Selbstverwaltung. U . M . : Dieser Punkt ist ganz wichtig: Der Zentralstaat hat in Deutschland traditionell fast keine eigene Verwaltung und ist auf die Vollzugsbehörden, auf die Verwaltung der Länder und der Kommunen angewiesen, um Bundesgesetze zu vollziehen. Das erklärt auch, warum wir den Bundesrat benötigen. Die Länder wirken an der Bundesgesetzgebung über den Bundesrat mit. Das ist die Scharnierstelle, an der die Länder, die die Bundesgesetze vollziehen müssen, dem Bundesgesetzgeber sagen, was er mit Blick auf die Regelung des Vollzugs beachten muss. Worauf ich hinaus will, ist Folgendes: Selbst wenn man viel vom Föderalis- mus abschaffen könnte, würde dieses Grundproblem bleiben: Wir haben in Deutschland keine zentralstaatliche Verwaltung in nennenswertem Ausmaß. Dieser Aufbau unterscheidet sich vom US-amerikanischen oder auch vom schweizerischen Föde- ralismus, wo die Ebenen viel stärker voneinander trennbar sind. Im September wird in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gewählt. Dort ist die AfD nach Umfragen die mit Abstand l l e u t k A e i m e d a k A r ü f x x x x x x : s o t o F 52 A k a d e m i e A k t u e l l

Forschung S . L . - S . : Das sieht man auch in anderen europä- ischen Ländern. In Ungarn sind die Medien im weitesten Sinne gleichgeschaltet, in Polen war es bis zu den letzten Wahlen genauso. Justiz, Medien, Wissenschaft sind drei Bereiche, über die man ohne großen Aufwand ganz viel ver- ändern kann. Die AfD stellt etwa gezielt An- träge zur Kulturpolitik in den Landtagen und im Bundestag. So sollen bestimmte Programme oder freiwillige Leistungen gestrichen werden, und man kann ohne große Gesetzgebung Schritt für Schritt das Land verändern. Wir müssen uns des- sen bewusst sein, und wir müssen diese Vorgänge sichtbar machen und hinterfragen. A . W . : Das ist eine traurige Ironie der bundesrepu- blikanischen Geschichte. Die Westalliierten und der Parlamentarische Rat hatten mit einer strikt föderalen Demokratie das Ziel, auch gegen Ex- tremismus zu schützen. Und heute sehen wir die Gefahr, dass gerade über die föderale Staatlich- keit erste Zipfel exekutiver Macht in die falschen Hände fallen könnten. Haben Sie das Gefühl, dass man sich dessen auf Länderebene bewusst ist? U . M . : Das ist schwierig. Mein Eindruck ist: Das wird zu oft als ostdeutsches Problem abgetan. Ich komme ursprünglich aus Baden-Württemberg. Dort kann ich genug Orte benennen, wo man ähnliche Auffassungen vertritt wie in weiten Teilen Thürin- gens und Sachsens. Und auch in Bayern ist die AfD bei den Land- tagswahlen 2023 nicht gerade unter der 5 %-Hürde gelandet. A . W . : Es gibt sicher ostdeutsche Spezifika, die auch historisch erklärbar sind, aber insgesamt ist das tatsächlich eine gesamt- deutsche Herausforderung. U . M . : Interessant ist im Hinblick auf die ostdeutschen Bundes- länder auch die Frage: Wie geht man mit dem 75. Geburtstag der Bundesrepublik bzw. des Grundgesetzes um? S . L . - S . : Es wird ja immer wieder die Debatte geführt, ob der Bei- tritt damals, 1989/90, der richtige Weg war. Es gab die Alterna- tive, eine neue Verfassung zu schaffen, die Aspekte aufnimmt, die bislang nicht enthalten sind, etwa soziale Grundrechte. Da sehen wir aber vielleicht einen Vorteil des Föderalismus, denn in Landesverfassungen kann man sehr wohl soziale Grundrechte aufnehmen. So ist es ja auch in Bayern. A . W . : Die Verfassungsfrage ist sehr wichtig. Es gibt auch Lan- desverfassungen mit plebiszitären Elementen, mit Volksbegeh- ren und Volksentscheid, Bayern vorneweg. Da gilt tatsächlich eine stärkere Selbstverwaltungsmöglichkeit oder Bürgernähe. Was Ostdeutschland betrifft, ist die entscheidende Frage: Wie viele Bürgerinnen und Bürger akzeptieren das Grundgesetz als ihre Verfassung? Häufig hört man das Narrativ, es sei eine gro- ße Chance vertan worden für eine neue gesamtdeutsche Ver- fassung und ihre Annahme durch Volksabstimmung nach Arti- kel 146. Früher dachte ich, dass die Politik Anfang der 1990er Jahre überfordert gewesen sei, da sie mit einer unglaublichen Geschwindigkeit die Einheit vollziehen und organisieren muss- te. Im Nachhinein glaube ich aber, die Art und Weise, wie die „ D e r Z e n t r a l s t a a t h a t i n D e u t s c h l a n d t r a d i t i o n e l l f a s t k e i n e e i g e n e V e r w a l - t u n g u n d i s t a u f d i e L ä n d e r u n d K o m - m u n e n a n g e w i e s e n . “ Ursula Münch gemeinsame Verfassungskommission agiert hat, war nicht ganz unproblematisch. Man hätte die Debatte offener führen kön- nen. Und meines Erachtens wäre das Risiko wesentlich gerin- ger gewesen, als man dachte. Wahrscheinlich wäre keine sehr viel andere Verfassung als das Grundgesetz herausgekommen. U . M . : Ich teile diese Einschätzung. Aber eines darf man natürlich nicht übersehen: Ein Großteil der westdeutschen Bevölkerung wollte damals keine Verfassungsdiskussion. In letzter Zeit hat man manchmal das Gefühl, es finde ein Tausch- handel statt: Die Länder geben Gesetzgebungskompetenzen ab und bekommen oder verlangen dafür Geld vom Bund. Wird der Föderalismus ausgehöhlt? 54 A k a d e m i e A k t u e l l

Forschung Geschichte 2.2024 zu Vo n L o u i s a M a t h e s E i n e S t u d i e ü b e r d i e Ve r d r ä n g u n g v o n a l s „ n i c h t a r i s c h “ o d e r „ j ü d i s c h v e r s i p p t “ v e r f o l g t e n M i t g l i e d e r n a u s d e r B a y e r i s c h e n A k a d e m i e d e r W i s s e n s c h a f t e n n a c h 1 9 3 3 . U n e r w ü n s c h t e n n e t l h ä w r E n o V M „Mit herzlichen Grüßen, auch an die Akade- mie und die Montagstischrunde.“ So been- dete der Anglist Max Förster seinen Bericht vom 11. Januar 1935 über seine Zeit als Gast- professor in Yale, den er an den langjährigen Klassensekretär und vormaligen Akademie- präsidenten Eduard Schwartz adressiert hat- te. Förster hatte nach seiner von den Nati- onalsozialisten erzwungenen Ruhestand- versetzung an der Münchner Universität im Jahr 1934 die Gastprofessur für zwei Jahre aufnehmen können. Die dafür maßgeblichen wissenschaftlichen Meriten und das hohe Ansehen im In- und Ausland hatten ihm 1926 die Wahl zum ordentlichen Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ermöglicht. Während die Universität Förster bereits 1934 aus ihren Reihen ausschloss, blieb er Mitglied der Akademie – und zwar ein reges, das sich an den Klassensitzungen der Philosophisch-historischen Klasse betei- ligte, Vorträge hielt und auch der Akademie und ihrer Gelehrtengemeinschaft gedachte, wenn es ihn ins Ausland verschlug. 56 56 A k a d e m i e A k t u e l l

Forschung Geschichte . Ko m p l exe r Ve rd rä n g u n g s p ro ze s s D i e A ka d e m i e a l s O r t d e r Te i l h a b e Wie Förster erging es bis zum November – mit einer pro- minenten Ausnahme – allen von der nationalsozialistischen Rassenideologie als „nichtarisch“ oder „jüdisch versippt“ klassifi- zierten Mitgliedern der BAdW: Ihre Mitgliedschaft hatte Bestand. Erst , also zu einem Zeitpunkt weitreichender nationalsozialistischer Durchdringung und „Säuberung“ der deutschen Wissenschaftslandschaft, erfolgte ihr durch einen Erlass des Reichswissenschaftsministeriums angeordneter und vom Akademievorstand um den Präsidenten Karl Alexander von Müller durchgesetzter Ausschluss. Dass auch dieser Ver- drängungsprozess von Komplexität und Ausnahmen gekenn- zeichnet war, verdeutlicht wiederum der Fall Förster: Von von der Verdrängung betroffenen Mitgliedern konnte er neben einem weiteren über die gesamte Zeit des National- sozialismus Mitglied der BAdW bleiben. Fr ü h e A n b i e d e r u n g s m a ß n a h m e n b e re i t s i m J a h r Der umfassende Eingriff in den Kern der Gelehrtengemeinschaft ereignete sich zwar erst , jedoch setzten bereits mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Frühjahr erste Anpassungsmaßnahmen innerhalb der Akademie ein. Das im April erlassene „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufs- beamtentums“ war der erste rechtliche Hebel zur Entlassung von „nichtarischen“ oder politisch missliebigen Beamten oder beamtenähnlich Angestellten. Während zwischen den Mit- gliedern und der BAdW kein Dienstverhältnis bestand, sondern die Mitgliedschaft nur per Kooptation erlangt werden konnte, waren Mitarbeiter und Stipendiaten der Akademiekommissio- nen vom Berufsbeamtengesetz betroffen. Im Frühjahr kam es außerdem zu Vorgängen gegen zwei der prominentesten Akademiemitglieder: den Physiker Albert Einstein und den Chemiker Richard Willstätter. Stephan Deutinger konnte mit seiner Forschung zu diesen frühen An- biederungsmaßnahmen das lange gepflegte Bild einer bis vom Nationalsozialismus unberührten Gelehrtengemeinschaft au¡rechen. Nach einer deutlichen Positionierung Einsteins gegen die neuen Machthaber vom März hatte sich die Preußische Akademie der Wissenschaften von ihrem ordentli- chen Mitglied abgewandt. Die Münchner Akademie schrieb dar- au¢in an ihr korrespondierendes Mitglied und fragte Einstein, wie er in Anbetracht der Ereignisse sein Verhältnis zur Bayeri- schen Akademie auffasste. Dieses Vorgehen muss als Provokation zu einem Austritt betrachtet werden, der dann mit Einsteins Schreiben vom £. April auch erfolgte. Richard Willstätter, or- dentliches Mitglied seit ¤, amtierte seit zudem als Klas- sensekretär. Der Syndikus Eugen von Frauenholz übte im Allein- gang Druck auf Willstätter aus, von seinem Amt zurückzutreten. In der Vorstandssitzung vom . Mai wurde Willstätters Rücktrittsgesuch besprochen. Aus den Protokollen der Mathe- matisch-naturwissenschaftlichen Abteilungssitzungen lässt sich ableiten, dass Willstätter weiterreichende Konsequenzen aus dem aufgezwängten Rücktritt zog, denn in den nachfolgen- den Sitzungen fehlte er standardmäßig entschuldigt. Andere der später verdrängten Personen konnten hingegen bis ihre Mitgliedsrechte in Klasse, Kommission und Gesamt- sitzung ausüben. So war Lucian Scherman, Direktor des Muse- ums für Völkerkunde und mit der Akademie seit als außer- ordentliches Mitglied verbunden, in von £ protokollierten Klassensitzungen von bis zu seinem Ausschluss anwe- send. Die letzte Sitzung besuchte er am . November . Sein Vortrag in der Gelehrtengesellschaft am ¤. Februar ver- deutlicht allerdings auch, dass trotz genutzter Handlungsräume in der Akademie gleichzeitig antisemitisch motivierte Einschrän- kungen bestanden: Dass Scherman als jüdischer Wissenschaft- ler noch einen Vortrag in der Akademie halten konnte, stellt eine Ausnahmeerscheinung dar, die durch den Hinweis auf eine geringe Teilnehmerzahl und eine Observation durch den Akade- mievorstand angemessen kontextualisiert werden muss. Die Möglichkeiten zur Teilhabe, die für Lucian Scherman in der Akademie bestanden, müssen dabei mit den Gegebenheiten in anderen Münchner Wissenschaftsinstitutionen verglichen werden. Bereits im Mai war Scherman zu einem Emeritie- rungsgesuch an der Münchner Universität gedrängt worden, das auch seinen Posten als Direktor des Völkerkundemuseums (heute: Museum Fünf Kontinente) betraf. So blieb ihm, einem in der Wissenschafts- und Stadtgesellschaft seit Jahrzehnten vernetzten Mann, bis die Akademie als Ort des wissen- schaftlichen und kollegialen Austausches. D i e Ve rd rä n g u n g d e r o rd e nt l i c h e n M i t g l i e d e r Seit £ hatte das Reichswissenschaftsministerium Be- mühungen aufgenommen, als „nichtarisch“ oder „jüdisch ver- sippt“ verfolgte Mitglieder aus den deutschen Wissenschafts- akademien auszuschließen. Zunächst konnten die Akademien einen solchen Vorstoß eindämmen, indem sie mit der gerin- gen Anzahl jüdischer Mitglieder, deren hohem Alter und insbe- sondere mit einem möglichen Reputationsverlust im Ausland argumentierten. Im Sommer intensivierte sich das Vorge- hen des Ministeriums, und der gut vernetzte Akademiepräsi- dent von Müller konnte bereits im September des Jahres den Kanzleisekretär Gottlob Klingel beauftragen, eine Liste auszu- schließender Mitglieder zu erstellen. Letztlich griff von Müller dem auf den . November datierten Erlass vor, als er am . November den vier ordentlichen „nichtarischen“ Mitgliedern Heinrich Liebmann, Alfred Pringsheim, Lucian Scherman und Richard Willstätter mitteilte, dass sie der Akademie nicht mehr angehören konnten. Der Erlass des Reichswissenschaftsministers brachte den gesuchten rechtlichen Hebel, um einen Ausschluss von Mit- gliedern zu bewirken: Mit dem Erlass wurde die Mitgliedschaft in der Akademie an die deutsche Reichsbürgerschaft gekoppelt. Hierin liegt ein wichtiger Grund für den späten Ausschluss aus den Akademien im Vergleich zu anderen Wissenschaftsorga- nisationen: Viele Akademiemitglieder hatten bereits oder ihr Anstellungsverhältnis an einer Universität verloren, doch das dafür herangezogene Berufsbeamtengesetz konnte nicht auf eine durch Wahl erlangte Mitgliedschaft angewendet A k a d e m i e A k t u e l l

Forschung Ökologie 2.2024 Vo n M i c h a e l S c h l o t e r u n d J o h a n n e s K o l l m a n n StadtGesundheit im Jahrhundert 21. Neue Wege gehen: Das Pilotprojekt „Alto Zürrus“ testet seit 2022 auf dem Züricher Turbinen- platz den kühlenden Effekt einer Nebelwolke. D ie wissenschaftlichen Konzepte „Planetare Gesund- heit“ und „Nachhaltige Städteplanung“ sind eng miteinander verwoben, da Städte sowohl Ursachen als auch Auswirkungen globaler Umweltverände- rungen und Gesundheitsprobleme zeigen. Planetare Gesundheit bezieht sich auf die Gesundheit von Mensch und Umwelt im Zusammenhang mit den Auswirkungen menschlicher Aktivi- täten auf den Planeten. Im Kontext städtischer Gebiete spielt die Förderung planetarer Gesundheit eine entscheidende Rolle, um die Gesundheit der Stadtbevölkerung zu schützen und die Umweltbelastung zu reduzieren. F o l g e n d e s K l i m a w a n d e l s i n d e n S t ä d t e n Städtische Emissionen, verursacht durch den Einsatz fossiler Brennstoffe, industrieller Prozesse und Verkehr, galten lange Zeit als die Hauptursachen für die Luftverschmutzung und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen der Gesundheit in Ballungs- gebieten. Seit einigen Jahren ist allerdings klar, dass der Klima- wandel eine weitaus größere Gefährdung für urbane Ökosyste- me und ihre Bevölkerung darstellt. Die Folgen des Klimawandels betreffen Städte auf der ganzen Welt in vielfältiger Weise. h c i r ü Z t d a t S n ü r G / l e g o V a e b a T : o t o F 60 A k a d e m i e A k t u e l l

Forschung Ökologie 2.2024 Hitzeinseln: Städtische Gebiete zeigen aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte, der Versiegelung von Oberflächen und der geringen Vegetation höhere Temperaturen als ländliche Gebie- te. Dies kann zu Hitzschlägen, Dehydrierung und Atemwegs- erkrankungen führen und das Wohlbefinden der Bewohnerin- nen und Bewohner beeinträchtigen. Häufigere Extremwetterereignisse: Der Klimawandel führt zu häufigeren und intensiveren Extremwetterereignissen wie Stürmen, Starkregen, Überschwemmungen und Hitzewellen. Diese Ereignisse können zu erheblichen Schäden an städtischer Infrastruktur wie Gebäuden, Straßen, Brücken und Abwasser- systemen führen und die Sicherheit und Lebensqualität der Bevölkerung beeinträchtigen. Veränderte Wasserressourcen: Der Klimawandel beein- flusst auch die Verfügbarkeit und Qualität des Wassers in städtischen Gebieten. Dürren und Wasserknappheit können zu Problemen bei der Trinkwasserversorgung, der Bewässerung von Grünflächen und der Kühlung von Industrieanlagen füh- ren. Gleichzeitig können heftige Regenfälle und Überschwem- mungen die Wasserqualität beeinträchtigen und die Gefahr von Krankheitsausbrüchen erhöhen. Der Klimawandel kann daher in Städten nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigen, sondern außer- dem sozioökonomische Ungleichheiten verschärfen: Menschen in einkommensschwachen Vierteln haben möglicherweise weniger Zugang zu Ressourcen und Unterstützung, um sich vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen, was zu einer weiteren Verschärfung von Ungleichheiten führt. B i o d i v e r s i t ä t i n d e r S t a d t – C h a n c e n u n d R i s i k e n Die Biodiversität spielt eine zentrale Rolle für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung in städtischen Gebieten. Eine viel- fältige natürliche Umgebung in Städten bietet zahlreiche gesundheitliche Vorteile und trägt dazu bei, die Lebensqualität zu verbessern. S e i t e i n i g e n J a h r e n i s t k l a r , d a s s d e r K l i m a w a n d e l e i n e w e i t - a u s g r ö ß e r e G e f ä h r d u n g f ü r u r b a n e Ö k o s y s t e m e u n d i h r e B e v ö l k e r u n g d a r s t e l l t . Luftqualität und Biodiversität: Pflanzen sind essentiell, um die Luftqualität in den Städten zu verbessern. Sie absorbieren Schad- stoffe wie Kohlendioxid, Stickoxide und Feinstaub und produzieren Sauerstoff. Eine hohe Biodiversität an Pflanzenarten kann zu einer effektiveren Luftreinigung beitragen, da verschiedene Arten unterschiedliche Schadstoffe absorbieren und somit die Luft- qualität steigern. Grünflächen wie Parks, Wälder und Gärten dienen als natürliche Fil- ter und tragen dazu bei, die Belastung durch Luftschadstoffe zu reduzieren, was wiederum die Qualität der Atemluft verbessert. Psychisches Wohlbefinden und Erholung: Der Aufenthalt in natürlichen Umgebungen, die reich an Biodiversität sind, kann positive Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden haben. Studien haben gezeigt, dass der Kontakt mit der Natur Nachhaltiger Städtebau: Singapur gilt als eine der grünsten Metropolen der Welt. Stress reduziert, die Stimmung verbessert und das allgemeine Wohlbefinden steigert. Körperliche Gesundheit und Bewegung: Eine vielfältige natürliche Umgebung in städ- tischen Gebieten bietet zahlreiche Möglich- keiten für körperliche Aktivität und Bewe- gung im Freien. Dies fördert das Immun- system und die Herzgesundheit und kann zur Vorbeugung chronischer Krankheiten wie Diabetes und Fettleibigkeit beitragen. Soziale Interaktion und Gemeinschafts- bindung: Grünflächen und natürliche Le- bensräume fördern die soziale Interaktion und Gemeinschaftsbindung zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern städtischer Gebiete, denn Parks und öffentliche Gärten dienen als Treffpunkt für gemeinsame Ak- tivitäten und Veranstaltungen. Biodiversität und Ernährungssicherheit: Eine vielfältige städtische Umgebung, die reich an Biodiversität ist, bietet Möglichkeiten für den Anbau von Obst, Gemüse und ande- ren Nahrungsmitteln, z. B. in Gemeinschafts- gärten. Der Anbau von Obst und Gemüse in städtischen Gärten fördert eine gesunde Ernährung und trägt dazu bei, die Bevöl- kerung auf kurzen Wegen mit frischen und gesunden Lebens- mitteln zu versorgen. Biodiversität und Bildung: Städtische Ökosysteme bie- ten wertvolle Möglichkeiten für Umweltbildung und Be- y m a l a / r e i n g r o L . A : o t o F 62 A k a d e m i e A k t u e l l

Akademie intern 2.2024 Zuwahlen Pro f. D r. A r n d t B re n d e c ke , Geschichte der Frühen Neuzeit, Pro f. D r. Ti m B ü t h e , Internationale Beziehungen, Pro f. D r. H o l ge r G ze l l a , Alttestamentliche Theologie, Pro f. D r. Ca r l o M a s a l a , Internationale Politik, J u l i a Po n g rat z , Physische Geographie und Land- nutzungssysteme, Wahl zu ordentlichen Mitgliedern der BAdW. Pro f. D r. Ve i t F l o c ke r z i , Pharmakologie und Toxikologie, Pro f. D r. Ra e L a n g t o n, Philosophie, Pro f. D r. S a n j i t K . M i t ra , Electrical & Computer Engineering, Pro f. D r. O l g a Po l l at o s, Klinische und Gesundheitspsychologie, Pro f. D r. A l i M e h m e t Ce l â l Ş e n g ö r, Geologie, Pro f. D r. Pe t e r Zo l l e r, Theoretische Physik, Wahl zu korrespondierenden Mitgliedern der BAdW. Pro f. D r. E l i s a b e t h A n d ré , Informatik, Wahl in die Deutsche Akademie der Technikwissen- schaften acatech. Pro f. D r. U l r i c h L . Ro h d e , Wahl zum Fellow of Industry Academy der International Artificial Intelligence Industry Alliance, Hong Kong. Pro f. D r. G a b r i e l Ze i l i n g e r, Wahl zum ordentlichen Mitglied der Kommission für bayerische Landesgeschichte. Neu an der Akademie A l exa n d ra H e n r i e t t e G l ö c k l , Institut für Volkskunde, am 1. April 2024. S t e p h a n J ä ge r, Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation, am 1. April 2024. A l i s a N e u m a n n, Illustrierte Handschriften des Mittelalters, am 1. April 2024. Vi n ce nt H o l z h a u e r, Kulturen politischer Entscheidung in der modernen Demokratie, am 15. April 2024. J u l i u s Fe i g l , Walther-Meißner-Institut für Tieftemperaturforschung, am 1. Mai 2024. S a b i n e Fra n k, Verwaltung, am 1. Mai 2024. S o n j a N i e m a n n, Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation, am 1. Mai 2024. J a ko b S c h m e h l , Erdmessung und Glaziologie, am 15. Mai 2024. D a r i a Krave t s - M e i n ke , Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation, am 1. Juni 2024. D r. Ta h e re h S a d at Pa r v i n i , Walther-Meißner-Institut, am 1. Juni 2024. M a r i o n Fa l t n e r, Verwaltung, am 1. Juli 2024. Preise und Ehrungen Pro f. D r. Fra n z- U l r i c h H a r t l , Physiologische Chemie, ordentl. Mitglied (2009), BBVA Foundation Frontiers of Knowledge-Preis. Pro f. D r. D i e t e r Vo l l h a rd t , Theoretische Physik, ordentl. Mitglied (2011), Ehrendoktorwürde der Universität Warschau. Pro f. D r. U l r i c h L . Ro h d e , Ehrenmitglied (2013), IEEE-USA Entre- preneur Achievement Award for Leadership in Entrepreneurial Spirit. Preisverleihung auf dem Kapitol in Rom D e r A rc h ä o l o g e Pro f. D r. Pa u l Za n ke r erhielt 2024 den prestige- trächtigen Preis „Cultori di Roma“. Auf dem Kapitol überreichte ihm der Bürgermeister der Stadt Rom, Roberto Gualtiere, die Goldmedaille samt Pergamenturkunde. Der Preis wird satzungsgemäß alternierend an ita-lienische und ausländische Persönlichkeiten verliehen, die sich durch ihre Studien und Werke zur Stadt Rom hohes Ansehen erworben haben. Dies trifft auf Paul Zanker in besonderem Maße zu, so Laudator Gaetano Platania, der Präsident des Istituto Nazionale di Studi Romani. Der ehemalige Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts habe Forschung und Lehre zu zentralen Fragen der römischen Stadt, zu Rom und Pompeji, zum römischen Wohnen und zum Bild des Philosophen betrieben. Seine Werke werden gerade in Italien außerordentlich stark rezipiert und prägen das Wissen um die Erforschung der Stadt Rom. Paul Zanker ist Träger des Bayerischen Maximiliansordens und seit 1979 ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. m o R I A D / n n a m r e m m Z i t r e b r o N : o t o F Paul Zanker (Mitte) mit R. Gualtiere (r.) und G. Platania. 64 A k a d e m i e A k t u e l l

Termine 2.2024 07.-12.2024 Juli Donnerstag, 11. Juli 2024 China und die Seidenstraße Vortrag und Gespräch mit Prof. Dr. Thomas O. Höllmann (LMU München/ BAdW) und Prof. Dr. Roland Altenburger (Würzburg) Schelling-Forum der BAdW Klinikstraße 3, 97070 Würzburg 19.00 Uhr Anmeldung: schelling-forum.badw.de Mittwoch, 17. Juli 2024 We are (still?) not giving data enough credit Vortrag in englischer Sprache von Prof. Dr. Alexei A. Efros (University of California, Berkeley) im Rahmen der Kooperationsreihe „Munich AI Lectures“ Plenarsaal 18.30 Uhr Anmeldung unter: munichlectures.ai Oktober Dienstag, 15. Oktober 2024 andererseits. Literatur trifft Wissenschaft Der Kabarettist und Autor Gerhard Polt im Gespräch mit der Soziologin Prof. Dr. Doris Bühler-Niederberger (Wupper- tal) über sein Buch „Kinderdressur“; eine Kooperation mit der LMU München (Lehrstuhl für Neuere Deutsche Litera- turwissenschaft mit Schwerpunkt Literatur des 20. Jahrhunderts und der Klassischen Moderne) Montag, 21. Oktober 2024 Protest! Wohin bewegt sich unsere Demokratie? Podiumsgespräch u. a. mit Dr. Jérôme Schäfer Ph. D. (LMU München/BAdW) und Dr. Samira Akbarian (Frankfurt a. M.); es moderiert die Journalistin Yas- mine M’Barek; organisiert vom BAdW- Vorhaben „Kulturen politischer Entschei- dung in der modernen Demokratie“ Plenarsaal 18.00 Uhr Anmeldung unter: badw.de/veranstaltungen Mittwoch, 23. Oktober 2024 Was nutzt Religion heute? Wege des Protestantismus in die Postmoderne Mit Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Graf (LMU München/BAdW) und Prof. Dr. Ilona Nord (Würzburg); es moderiert Kathrin Eberlein-Braun (Rudolf- Alexander-Schröder-Haus); eine Kooperation mit dem Rudolf- Alexander-Schröder-Haus Würzburg Schelling-Forum der BAdW Klinikstraße 3 97070 Würzburg 19.00 Uhr Anmeldung unter: schelling-forum.badw.de November Mittwoch, 6. November 2024 In gesunden Städten leben – in Städten gesund leben Akademientag der in der Akademien- union zusammengeschlossenen acht deutschen Länderakademien Plenarsaal 19.00 Uhr Anmeldung: badw.de/veranstaltungen Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Markgrafenstraße 38, 10117 Berlin + weitere Veranstaltungsorte in Berlin ab 13.00 Uhr Programm und Informationen: akademienunion.de/akademientag Mittwoch, 6. November 2024 Streit um das Nibelungenlied. Die Philo- logie und ihr Umgang mit dem Heldenepos Mit Prof. Dr. Beate Kellner (LMU München/BAdW) und Prof. Dr. Regina Toepfer (Würzburg) Schelling-Forum der BAdW Klinikstraße 3 97070 Würzburg 18.00 Uhr Anmeldung unter: schelling-forum.badw.de Dezember Mittwoch, 4. Dezember 2024 Edward Said über Andalusien. Wie kann eine Kultur der Vergangenheit ein Modell für die Zukunft sein? Vortrag von Prof. Dr. Dag Nikolaus Hasse (Würzburg/BAdW) in der Reihe „Schelling Lectures“ Schelling-Forum der BAdW Gartenpavillon des Juliusspitals Klinikstraße 1 97070 Würzburg 19.00 Uhr Anmeldung unter: schelling-forum.badw.de Samstag, 7. Dezember 2024 Öffentliche Jahressitzung der BAdW u. a. mit Vortrag von Prof. Dr. Matthias H. Tschöp (TU München/Helmholtz Zentrum München/BAdW) über „Eine schlanke Lösung für ein gewichtiges Problem“ Herkulessaal der Münchner Residenz Residenzstraße 1, 80539 München 11.00 Uhr Nur mit Einladung 66 A k a d e m i e A k t u e l l

Lieblingsstück 2.2024 Von der Freude am Rätsellösen D i e H i s t o r i k e r i n A n n a K o l b a ü b e r d e n H e l d e n i h r e r K i n d h e i t F o t o M y r z i k u n d J a r i s c h C. W. Ceram publizierte 1949 das Buch „Götter, Gräber und Gelehrte“ und erzählt darin abenteuerliche Archäologie- geschichten. I hren Kindheitshelden fand Anna Kolba mit 12 Jahren in Jean-François Champollion, als sie das Buch „Götter, Gräber und Gelehrte“ las. Der berühmte französische Ägyptologe und erste Entzifferer von Hieroglyphen faszinierte sie: „Wenn ich groß bin, will ich wie Cham- pollion sein“, erinnert sie sich an damals. Sie war beeindruckt von dessen Durchhaltever- mögen und festem Glauben, seinen Traum zu verwirklichen. Später schrieb Kolba sich für ein Studium der Geschichte ein, mit dem Ziel, sich auf Zeitgeschichte zu spezialisieren, denn „über die Jahre habe ich auch andere Interessen entwickelt“. Dann geriet sie per Zufall im ersten Semester in ein Seminar über Mesopotamien, das ein Altorientalist hielt – Kolbas späterer Betreuer: „Er war eine inspi- rierende Person“. Seinen Studierenden stell- te er gerne Rätsel. „Nach ein paar Sitzungen wusste ich: Ja, das ist etwas für mich.“ Heute arbeitet Kolba als Historikerin und Altorien- talistin im BAdW-Projekt „Keilschriftartefakte Mesopotamiens“ und ediert Keilschrifttexte. Dabei fühlt sie sich häufig wie Champollion: „Diese Begeisterung, Rätsel zu lösen und die- ses Gefühl, wenn es klappt, habe ich selbst oft beim Lesen von Keilschriften. Wenn ich einen Text bekomme, der noch nicht gelesen wurde, dann versuche ich die ganze Nacht, ihn zu entziffern.“ Protokoll: ap 68 A k a d e m i e A k t u e l l