Heft !."#"! GESCH ICHTE: Olympia-Attentat 1972 in München PU B LI KATION EN: Pre-Prints in der Wissenschaft IM GESPRÄCH: Wissenschaftskommunikation heute W i r o d e r i c h ? d e m o k r a t i s c h e r E n t s c h e i d u n g e n D a s I n d i v i d u u m i m Z e n t r u m

!."#"! Editorial Bedürfnisse von Minderheiten im Fokus: Demons- trierende fordern die Einführung des dritten Geschlechts ("#$%). Liebe Leserinnen und Leser! D emokratien beruhen auf dem Mehrheitsprinzip. Zugleich ist in jüngerer Zeit jedoch eine immer stärkere Individualisierung zu beobachten, verbunden mit dem Anspruch, die Belange jedes Einzelnen in politischen Entscheidungen zu berücksich- tigen. Wie lässt sich in diesem Spannungsfeld eine Balance finden zwischen demo- kratischen Grundsätzen und den spezifischen Bedürfnissen des Individuums? Dieser Frage spürt das zwischen Rechts- und Geschichtswissenschaft angesiedelte BAdW- Projekt „Kulturen politischer Entscheidung in der modernen Demokratie“ in dieser Ausgabe nach – am Beispiel der Verfassungsgerichtsbarkeit, der Wahlwerbung und der Gesundheitspolitik. Im Herbst "#"! beschäftigte die Akademie zudem die Aufarbeitung des An- schlags auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen $'(". Die von der Bun- desregierung einberufene Historikerkommission sowie ein Forschungsvorhaben am Institut für Zeitgeschichte München–Berlin (IfZ) nahmen im September ihre Arbeit auf. Die BAdW-Mitglieder Michael Brenner, selbst Teil der Kommission, sowie Andreas Wirsching, Leiter des IfZ, berichten in dieser Ausgabe über den Forschungsauftrag. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre! P r o f. D r. M a r k u s S c h w a i g e r P r ä s i d e n t d e r B a y e r i s c h e n A k a d e m i e d e r W i s s e n s c h a f t e n k c e b m e r B t r e b o R ; h c s t i D n a i t s i r h C / o g a m i : s o t o F A k a d e m i e A k t u e l l !

'.%)%' Inhalt Nr. !" " Kurz notiert Nachrichten aus Wissenschaft und Forschung # Im Gespräch Der Historiker Helmuth Trischler über Wissenschaftskommunikation Fokus $% Das Individuum im Zentrum demokratischer Entscheidungen $& Wir oder ich? Der Einzelne als Gegenstand politischer Entscheidungen $# Mein Körper, die Politik und ich Wie der heutige Gesundheitsboom entstand %& Wahlwerbung im analogen Zeitalter Wahlkampfstrategien der Bonner Republik %# Wahlwerbung im digitalen Zeitalter Individuell und zielgenau: das Phänomen Microtargeting '% Identität, Politik und das Recht S. &% | Viele offene Fragen: Ein neues Projekt untersucht das Olympia-Attentat von $*(%. '( Auf den Punkt Anette-Gabriele Ziegler über Typ-$-Diabetes-Screening '# Lesezeit mit Heike Paul &) Kurz vorgestellt Fragen an neue Akademiemitglieder Forschung &% „Da liegt noch vieles im Dunkeln“ Ein Projekt zur umfassenden Aufarbeitung des Olympia-Attentats $*(% &# Pre-Prints – Akzeptanz und Nutzung in Bayern !% Freiheit und Sicherheit Über ein zentrales Spannungsfeld in modernen Demokratien !" Bayerische Ortsnamen im Dialekt Ein Projekt zur Sicherung des kulturellen Erbes in Bayern ") Akademie intern "% Termine und Mediathek / Impressum "& Lieblingsstück Unser Titelbild zeigt eine Arbeit der Grafikdesignerin und Digital Artist Sophia Krasomil (Leipzig). Sie hat sich für den Themen- schwerpunkt dieser Ausgabe mit der Frage „Wir oder ich“ in demokratischen Gesellschaften auseinandergesetzt und in der ihr eigenen Formensprache Objekte und Illustrationen ent- wickelt, die das Spannungsfeld zwi- schen dem Individuum und der Mehr- heit bei politischen Entscheidungen ausloten. Zum Schutz von Minderheiten Ergebnisse einer Umfrage zu einer in der Demokratie jungen Publikationsform A k a d e m i e A k t u e l l ! r e t s u h c S a n i t n e l a V ; l e g n e F n i t r a M : s o t o F

!Akademie AktuellKurz notiertJÜDISCHES LEBEN IN BAYERNRudolf Gross übernahm zum ". August #$#% die wissenschaftliche Leitung des Munich Quantum Valley. Gross ist seit mehr als #$ Jahren Wissenschaft- licher Direktor am Walther-Meißner-Ins-titut der BAdW und Inhaber des Lehrstuhls für Technische Physik an der TU München. Mehr dazu: munich-quantum-valley.de Die Union der deut-schen Akademien der Wissenschaften hat einen neuen General-sekretär: Zum ". Sep-tember #$#% übernahm Mirko Schadewald die Geschäftsführung des Zusammenschlusses der acht deutschen Wissenschaftsakademi-en und tritt damit die Nachfolge von Dagmar Oertel an. Mehr lesen: akademienunion.deDie Plattform terrabyte ist eine unabhängige Analyseumgebungfür Fernerkundungsdaten. DasKooperationsprojekt von Leibniz-Rechenzentrum der BAdW undDeutschem Fernerkundungsdaten-zentrum des DLR läutet eineneue Ära für die Verarbeitung vonErdbeobachtungsdaten ein.Mehr dazu: lrz.de/presseStartschuss für eine neue Ära: terrabyte läuft nun im Regelbetrieb.Big Data aus dem All%.#$#%Neuer General- sekretär für die Akade- mienunionBeim %. Landestreffen „Jüdisches Leben in Bayern“, zu dem der Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle nach Nürnberg einlud, stellte Bernd Päffgen die Arbeit der Ad hoc-AG „Judentum in Bayern“ der BAdW vor. Ziel war es, Haupt- und Ehrenamtliche aus dem Bereich jüdisches Leben sowie Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden, aus dem Bildungsbereich und den Fachbehörden die Möglich- keit zu bieten, sich kennenzulernen, auszutauschen und sich über verschiedene Themen und Projekte zu informieren.Munich Quantum Valley unter neuer LeitungDie Synagoge in Augsburg.Fotos: Enno Kapitza; Alessandro Podo/LRZ; MQV; David Ausserhofer

!."#"" „Wir müssen die Gesellschaft einbinden“: Helmuth Trischler engagiert sich seit vielen Jahren für neue Formate der Wissen- schaftskommunikation. A k a d e m i e A k t u e l l !

".#$#" Im Gespräch geprägten technischen. Nehmen Sie Un- terschiede in der Kommunikation wahr? Zunächst muss man sagen, dass die Com- munity der Wissenschafts- und Technik- geschichte heterogen ist. Da gibt es Kolleginnen und Kollegen, die haben in Physik promoviert; andere kommen etwa aus der Kunstgeschichte und eignen sich das Fachwissen nachträglich an. Es ist die Stärke des Feldes, dass es so interdiszipli- när ist. Aber Unterschiede gibt es natür- lich, und das sehen Sie ganz gut, wenn Sie unsere Dauerausstellungen anschau- en. Manche sind historisch-chronologisch aufgebaut, etwa die zur Luftfahrt. Ande- re sind fachsystematisch orientiert und funktionieren im Grunde wie ein Lehr- buch, etwa die zur Atomphysik. Und dann gibt es die Ausstellung zu Foto und Film, in der kulturwissenschaftliche Konzep- te wie die des Dispositivs strukturierend sind. Wahrscheinlich macht das Deutsche Museum genau diese Vielfalt attraktiv. Müssten die Universitäten auch mehr kommunizieren? Das ist eine sehr gute und virulente Fra- ge. Wie professionell soll Wissenschafts- kommunikation sein? Soll sie sich ausdif- ferenzieren und zu einem eigenen Feld mit professionellen Kommunikatorin- nen und Kommunikatoren werden, die beides gelernt haben, Wissenschaft und Kommunikation? Oder sollen eher Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftler befähigt werden zu kommunizieren? Ich glaube, wir brauchen beides. Fatal wäre, wenn die Wissenschaftskommunika- tion nur noch in professionalisierte Stä- be käme. Denn letztlich lebt sie auch von der Authentizität desjenigen, der kommu- niziert. Wenn wir in der Corona-Krise eine Erfahrung gemacht haben, dann, dass Vertrauen in der Wissenschaftskommu- nikation das A und O ist. Wissenschaft basiert immer auf Vertrauen, aber gera- de an der Schnittstelle zwischen Wissen- schaft und Öffentlichkeit ist Vertrauen enorm wichtig. Eine damit verbundene Frage ist: Wie weit reicht die Ambigui- tätstoleranz in der Öffentlichkeit? Inwie- weit kann sie es aushalten, dass es ver- schiedene wissenschaftliche Wahrheiten gibt und Personen, die, basierend auf ihrer disziplinenspezifischen Evidenzkul- tur, mit unterschiedlichen Wahrheiten aufwarten? Die Grunderkenntnis der m u e s u M s e h c s t u e D : o t o F „Willkommen im Anthropozän“: Das Deutsche Museum organisierte #$!% die weltweit erste Aus- stellung zu diesem Zukunftsthema, mehr als !&$.$$$ Gäste folgten der Einladung. „ Ohne Zweifel muss sich Wissen- schaft mehr als je zuvor in der Öffentlichkeit verantworten.“ Fragilität und Vorläufigkeit allen Wissens muss immer wieder vermittelt werden. Stellte man früher die Autorität von Mu- seen oder Universitäten weniger infrage? Anders gefragt: Ist der Bedarf an Wissen- schaftskommunikation gestiegen, weil der Bedarf an Legitimierung gestiegen ist? Unbedingt. Ohne Zweifel muss sich Wissenschaft mehr als je zuvor in der Öffentlichkeit verantworten. Und das ist gut so. Wir leben in einer Wissensgesell- schaft, und das bedeutet, dass wissen- schaftliches Wissen als eine Form von Wissen in Konkurrenz zu anderen Wissens- formen steht: zu implizitem Wissen, theologischem Wissen, indigenem Wis- sen und so weiter. Dadurch besteht eine strukturelle Deutungskonkurrenz. Die Wissenschaft kann nicht darauf bauen, dass die Öffentlichkeit ihr be- dingungslos und unhinterfragt Vertrau- en entgegenbringt. Wissenschaft muss sich stets neu gegenüber der Öffentlich- keit legitimieren. Sie muss sich nicht nur stärker interdisziplinär organisieren, son- dern auch die Gesellschaft partizipativ und ko-kreativ einbinden. Was Sie beschreiben, verträgt sich nur bedingt mit der Spezialisierung in der Forschung. Sind das gegenläufige Trends? Ja. Wir müssen deshalb wegkommen von der Idee, dass an den Universitäten ein- zig professionelle Pressestellen für die Wissenschaftskommunikation verant- wortlich sind. Wir brauchen neue Ord- nungsmuster in der Produktion und Nutzung von Wissen. Und wir müssen den Mut haben, mit neuen Formaten zu experimentieren. Prof. Dr. Helmuth Trischler leitet den Bereich Forschung am Deutschen Museum und lehr t Neuere und Neueste sowie Technik- geschichte an der LMU München. Mit Christof Mauch leitet er das Rachel Carson Center for Environ - m e nt a n d S o c i e t y d e r L MU M ü n c h e n. Das Gespräch führ ten die Juristin Dr. Christiane von Bary und der Germanist Dr. Alexander Rudolph (beide LMU München). Sie sind Mitglieder im Jungen Kolleg der BAdW, wo sie sich auch in der AG „Wissen- schaftskommunikation“ engagieren. A k a d e m i e A k t u e l l !!

".#$#" Liberale Demokratien basie- ren auf dem Prinzip der Mehrheit. Ziel politischer Entscheidungen ist es des- halb, die Interessen eines möglichst großen Teils der Bevölkerung im Blick zu behalten. Zugleich haben sich seit einigen Jahrzehn- ten die Lebensverhältnisse zunehmend individualisiert, und Partikularinteressen l l e u t k A e i m e d a k A r ü f l i m o s a r K a i h p o S : n o i t a r t s u l l I sind verstärkt in den Fokus gerückt. Wie können individuelle Bedürfnisse in politischen Entscheidun- gen ausreichend berück- sichtigt werden, ohne dabei demokratische Prinzipien zu unterlaufen? Dieser Frage gehen wir im Themen- schwerpunkt aus histori- scher und juristischer Per- spektive nach. A k a d e m i e A k t u e l l !"

!."#"! Fokus Das Individuum im Zentrum Vo n C h r i s t i a n Wa l t e r u n d A n d r e a s W i r s c h i n g D a s i n t e r d i s z i p l i n ä r e F o r s c h u n g s p r o j e k t „ Ku l t u r e n p o l i t i s c h e r E n t s c h e i d u n g i n d e r m o d e r n e n D e m o k r a t i e “ b e l e u c h t e t i n d i e s e r A u s g a b e a u s v e r s c h i e d e n e n B l i c k w i n k e l n d i e F r a g e , w i e d e r E i n z e l n e z u m G e g e n s t a n d p o l i t i s c h e r E n t s c h e i d u n g e n g e m a c h t w e r d e n k a n n . W enn wir über politisches Entschei- den nachdenken, kommt uns nicht primär das Individuum in den Sinn. Statt- dessen denken wir an Parlamente, Regie- rungen, vielleicht auch an (Verfassungs-) Gerichte. In der Demokratie sind Ent- scheidungsprozesse in allen drei Gewal- ten meist kollektiv organisiert. Es geht um Verfahren und Prozesse, an deren Ende – nach Möglichkeit unter Beteiligung einer breiteren Öffentlichkeit – Entscheidun- gen getroffen werden können. Auf den ersten Blick scheinen das Individuum und Individualisierungsprozesse in modernen Gesellschaften deshalb unmittelbar nur wenig mit dem politischen Entscheiden zu tun zu haben. Bei näherem Hinsehen wird aber klar, dass moderne westliche Demokra- tien in hohem Maße durch die Au'lä- rung und die mit ihr verbundene Aus- richtung des politischen Denkens auf das Individuum geprägt sind. Es ist also ganz unvermeidlich, dass politisches Ent- scheiden auch eine individuelle Dimen- sion aufweist. Das gilt ebenso für die Legitimation dieser Entscheidungen im kollektiven Wahlakt. Sogar der universel- le Menschenrechtsschutz kennt nämlich die individuelle Dimension von Wahlen in Form des aktiven und passiven Wahl- rechts als klassischem politischen Indi- vidualrecht. Aber dieses Wahlrecht rea- lisiert sich nur in längeren periodischen Abständen. Abgesehen von den wenigen Beispielen direkter Demokratie führt es nicht selbst zu politischen Entscheidun- gen, sondern es dient der Legitimation von Repräsentationsorganen, denen die Aufgabe des Entscheidens übertragen wird. Das Wahlrecht beruht zudem auf dem Gedanken einer individuellen, auto- nomen Entscheidung bei seiner Aus- übung. Deshalb müssen Wahlen nach Art. !( des Grundgesetzes unter ande- rem „frei“ und „geheim“ sein. A k a d e m i e A k t u e l l $% l l e u t k A e i m e d a l k l e A u r t ü k f A l i e m i m o s e a d r a K k a A i h r ü p f o x S x : x n x o x i t x a : r s t o s u t o l l F I

'.#$#' Fokus Kulturen politischer Entscheidung in der modernen Demokratie Das interdisziplinäre BAdW-Forschungsprojekt „Kultu- ren politischer Entscheidung in der modernen Demokra- tie“ untersucht seit #$#! politische Entscheidungskulturen von den !%&$er Jahren bis heute und legt dabei den Fokus auf das Davor statt das Danach politischer Entscheidungen. Es vereint Rechts- und Geschichtswissenschaft und fragt nach der Zeitstruktur demokratischer Entscheidungen, der Komplexitätssteigerung, der Repräsentation in der parlamentarischen Demokratie, nach Demo- kratie und Geschlecht, der Gewaltenteilung und der politischen Sprache. demokratie.badw.de Wie „frei“ sind wir als Wählerinnen und Wähler bei unseren Ent- scheidungen wirklich? A k a d e m i e A k t u e l l !"

!."#"! #.$%$# Vo n J u d i t h A n o u s c h k a G r o s c h die Politik l l e u t k A e i m e d a k A r ü f x x x x x x : s o t o F und ich A k a d e m i e A k t u e l l A k a d e m i e A k t u e l l !" !"

!."#"! Fokus Auch lösten sich in den Jahrzehnten nach "#$% mehr und mehr einheitliche Identi- tätskonzepte auf: Nicht nur die Nationa- litätszugehörigkeit als identitäre Orien- tierungskategorie wurde zunehmend in Frage gestellt, sondern auch bürgerliche Identitätsmerkmale. Deutlich wurde das etwa mit den sogenannten „Gammlern“ der "#&'er Jahre. In weiten Klamotten und mit langen Haaren erregten sie in der Öffentlichkeit vor allem Aufmerksam- keit durch demonstratives Nichtstun und galten als unmöglich tolerierbare Vertre- ter einer alarmierend faulen Generation. Ihr selbsterklärter politischer Zweck hin- gegen war es, ein Statement gegen bür- gerliche Konventionen und das kapitalis- tische Leistungsdenken zu setzen. Ohne explizit feministische Zielsetzungen tor- pedierten die „Gammler“ außerdem auch klassische Geschlechtermerkmale, indem sich Frauen und Männer optisch einander annäherten. Was die „Gammler“ klein begonnen hatten, setzte sich bald größer, wenn auch mit jeweils anderen Schwerpunk- ten, weiter durch: Die sexuelle Revolu- tion der "#&'er Jahre, die &)er-Bewe- gung, die Frauenbewegung der "#*'er Jahre, das linksalternative Milieu mit seinen Kommunen der späten "#*'er und in ihm wachsend die sogenannte l l e u t k A e i m e d a k A r ü f l i m o s a r K a i h p o S : n o i t a r t s u l l I Männerbewegung der frühen "#)'er Jahre: Von dort aus kommend wurden klassische Identitätskategorien peu à peu hinterfragt und dekonstruiert. Insi- gnien von Männlichkeit und Weiblichkeit wurden spätestens in den "#)'er Jahren auch popkulturell kritisch verhandelt, neue Orientierungswerte fanden zuneh- mend ihren Weg in den Mainstream. Mit zunehmender Frauenerwerbstätigkeit und einer steigenden Scheidungsrate fielen außerdem klassische Lebenslauf- modelle und althergebrachte Familien- bilder als verlässliche identitäre Ausrich- tungskategorien weg. Alternativ führte die Suche nach Identität ins Innere, die Frage nach Selbstfindung kam auf, und neue spirituelle Bewegungen im New Age entstanden. Die gleichzeitige Auf- wertung der Psychologie und eine neue Emotionskultur führten zu einer stärke- ren Auseinandersetzung mit der eigenen Emotionswelt und dem „innersten Ich“. G e s u n d h e i t i m F o k u s Teil dieser neuen „Sorge um sich selbst“ war das vermehrte Au,ommen gesund- heitlicher Debatten, die in den "#*'er Der Fokus auf Gesundheits- gefahren, die im Alltag lauerten, schrieb dem Staat die Rolle zu, den Bürger und die Bürgerin vor einer neuar- tigen Bedrohung zu schützen: vor sich selbst. A k a d e m i e A k t u e l l A k a d e m i e A k t u e l l !" !"

!."#"! Fokus Jahren stark zunahmen und vor allem die #$%&er Jahre in bis dato ungekann- tem Ausmaß prägten. Nicht nur medial ging es dabei um Aids, Krebs, Pestizide und Tabakkonsum. Auch politisch wurden Gesundheitsthemen zunehmend disku- tiert und auf die Agenda gesetzt: Das #$'# gegründete Gesundheitsministeri- um, das sich in seinen ersten Jahren ledig- lich auf die Regelung und Instandhaltung des Gesundheitssystems konzentrierte, weitete seine Kompetenzen im Laufe der #$(&er Jahre zunehmend aus und sah sich dann nach diversen und zuneh- mend medial aufgearbeiteten Gesund- heitsskandalen um Contergan und Asbest auch wachsendem Verantwortungsdruck ausgesetzt. Während der Staat sich lange vor allem in der Rolle sah, seine Bürger und Bürgerinnen vor Gefahren zu schüt- zen, die von außen kamen, verschob sich der Fokus nun auch auf Bedrohun- gen, die aus dem eigenen System und aus der übermächtig wirkenden Wirt- schaft zu kommen schienen – Feindbil- der waren etwa die Zuckerindustrie und die Tabaklobby. Doch vor allem verbargen sich die potentiellen Gefahren im Lebens- stil: Bewegte man sich nicht genug, trank oder aß man falsch, barg das bereits Risi- ken. Dieser Fokus auf Gesundheitsgefah- ren, die im Alltag lauerten, schrieb dem Staat die Rolle zu, den Bürger und die Bür- gerin vor einer neuartigen Bedrohung zu schützen: vor sich selbst. In dem Moment, in dem die Politik den Menschen vor sich selbst bewahren musste, geriet sie in einen Grundkonflikt, der heute noch viele (gesundheits-)politi- sche Debatten prägt: Einerseits trug der Staat Verantwortung, den Bürger präven- tiv vor Gefahren zu schützen, andererseits konnte er auch nicht zu prohibitiv vorge- hen und Menschen in ihrer individuellen Entscheidungsfreiheit einschränken. Vie- le Gefahren ließen sich jedoch auch des- halb nicht bannen, weil die Politik bald vor der individuellen Lebensgestaltun- gen der Menschen kapitulieren muss- te: Der „Lebensstil“ der Menschen – ein politisches Trendwort der Zeit – war zu unterschiedlich ausgeprägt, sodass Ange- bote wie etwa die Trimm-dich-Pfade der #$(&er Jahre sich immer geringerer Beliebtheit erfreuten. Als Haupttaktik der Gesundheitspolitik blieb daher die Auf- klärung, die mehr und mehr ausgeweitet l l e u t k A e i m e d a k A r ü f l i m o s a r K a i h p o S : n o i t a r t s u l l I l l e u t k A e i m e d a k A r ü f x x x x x x : s o t o F Sport wurde zu einem Teil der Leistungsoptimie- rung für den marktwirtschaft- lichen Erfolg und der Körper gleichzeitig zum Ausdruck der eigenen Leis- tungsfähigkeit. wurde, etwa in Form der Warnhinweise auf Tabakprodukten. D e r K ö r p e r i m W e t t b e w e r b Doch je mehr der Einzelne zu einem gesunden Lebensstil motiviert werden sollte, umso mehr wurde die Verantwor- tung zum gesundheitserhaltenden und -fördernden Handeln in die Hände der Menschen selbst gelegt. Diese Eigenver- antwortung ging im Zeitalter des Neoli- beralismus Hand in Hand mit einer wach- senden freien Marktwirtschaft. Die Krisen der (&er Jahre leiteten ein Ende des Wirt- schaftsoptimismus und des Fordismus ein, und es begann die Zeit der befreiten Märkte, die alle Menschen in einen gro- ßen Wettbewerb miteinander eintreten ließ. Die neue Sportkultur war nur eine Ausprägung dieser Entwicklung: Firmen veranstalteten Läufe, das „Manager Magazin” predigte Bewegung, um sich für die Arbeit auch langfristig fit zu hal- ten, viele Unternehmen boten Gymnas- tikstunden in der Mittagspause an. Sport wurde zu einem Teil der Leistungsopti- mierung für den marktwirtschaftlichen Erfolg und der Körper gleichzeitig zum Ausdruck der eigenen Leistungsfähig- keit. „Dicke“ hingegen wurden als „Bürger zweiter Klasse“ gesehen, so schrieb „Der Spiegel” #$(%, und ein paar Kilo zu viel gal- ten nicht mehr als Wohlstandsmerkmal, sondern als Zeichen von Armut und man- gelnder Disziplin. Mit der sich ausbreiten- den Konsum- und Freizeitgesellschaft ver- schob sich zugleich das Sportmachen in das Privatleben. Fitnessstudios schossen aus dem Boden, Bodybuilding als Extrem- auswuchs der körperlichen Modellierung erfuhr medial breite Aufmerksamkeit, neue Trendsportarten entstanden, und Marathonläufe verzeichneten Mitmach- Rekorde. Zudem entstanden neue, fitte Heldenfiguren sowohl in Film und Fern- sehen als auch unter Sportlerinnen und Sportlern, die zu Stars avancierten. Trotz kritischer Stimmen wie etwa in der Body-Positivity-Bewegung wirken manche Werte bis heute geradezu ände- rungsbeständig: Fit, schön und erfolg- reich soll man sein. Sein Leben individuell und frei, aber auch gesundheitsfördernd und selbstoptimierend zu strukturie- ren, wird heute als Zeichen einer demo- kratisch-freien Gesellschaft gelesen, ist aber gleichzeitig zu einem stillen Impe- rativ geworden. Auch die Krankenkassen haben Individualitätsdenken und Eigen- verantwortung in ihre Systeme integriert und werben inzwischen mit Vergünsti- gungen, die man sich etwa mit einem Besuch im Fitnessstudio erarbeiten kann. Gleichzeitig haben die Coronapo- litik und die emotional geführte Impfde- batte erneut gezeigt, dass es keineswegs selbstverständlich ist, dass ein demokra- tischer Staat in die Lebensgestaltung und den Umgang mit dem eigenen Kör- per eingreifen darf. Wie sehr freie Entfal- tungsmöglichkeit wirklich frei macht, wo staatliche Eingriffe in Lebensgestaltung und Körper als einschränkend und wo sie als schützend wahrgenommen werden, wird auch weiterhin Thema gesellschafts- politischer Aushandlungen sein. Judith Anouschka Grosch ist Historikerin und wissenschaft- liche Mitarbeiterin im Projekt „Kulturen politischer Entscheidung in der modernen Demokratie“ der BAdW. A k a d e m i e A k t u e l l !"

!."#"! Fokus l l e u t k A e i m e d a k A r ü f x x x x x x : s o t o F Das Wissen um Alter und Geschlecht, Bildung und Beruf, konfessionelle und regionale Zugehörigkeiten sollte eine maßgeschneiderte Ausrichtung der Wahlwerbung mit größtmöglicher Durchschlagskraft sicherstellen. A k a d e m i e A k t u e l l !"

#.!$!# die Schwerpunkte der Partei reagierte. Die SPD widmete %&'% Frauen, Angestell- ten, Landwirten, Gewerkschafterinnen, Katholiken und Jungwählerinnen beson- dere Aufmerksamkeit. Die FDP hingegen identifizierte %&') den gehobenen Mit- telstand und die Selbständigen als Ziel- gruppen, während sie sich %&*" dazu ent- schied, vor allem Jugendliche und Senio- ren anzusprechen. G e z i e l t e A n s p r a c h e Die Werbemittel, die dabei zum Einsatz kamen, wurden als Teil des Marketings in Zusammenarbeit mit professionel- len Werbeagenturen von Grafikerin- nen und Werbetextern auf ein Höchst- maß an Wirkung getrimmt. Vielfach ließ man sich für einzelne Zielgruppen etwas Besonderes einfallen. Flugblätter, die sich an bestimmte Personenkreise rich- teten, verteilte die CDU bereits %&)#. In Frauen- oder Jugendmagazinen wurden gezielt Anzeigen geschaltet. Auch Jour- nalisten, Lehrerinnen und Ärzte erhielten als Multiplikatoren besondere Aufmerk- samkeit. „Eine Aktion, die stets bei Wah- len erforderlich sein wird“, wie es %&') in der SPD-Wahlkampfzentrale hieß, waren l l e u t k A e i m e d a k A r ü f l i m o s a r K a i h p o S : n o i t a r t s u l l I Erstwählerbriefe: Briefe an junge Wähle- rinnen und Wähler, in denen die Wahl- kreiskandidatinnen und -kandidaten um Stimmen warben. Wahlkampfslogans wurden auf bestimmte Gruppen abge- stimmt, wie „Alter ist, was wir draus machen“ und „Frauen auf Touren“ (bei- de SPD, %&&$). Nicht allen Werbemitteln wird man den erhofften Erfolg zusprechen dürfen. Die sogenannte „Rentenscheibe“ der SPD aus dem Jahr %&'), ein aus zwei zusam- menmontierten Pappscheiben bestehen- der Rentenrechner, „erschien selbst poli- tisch Interessierten zu kompliziert“, so ein resignierter Wahlkämpfer. Give-aways wie den Putzschwamm mit aufgedruck- tem Wahlkampfslogan, der in der CDU- Frauenkampagne von %&"! Verwendung fand, würde man heutzutage wohl nicht wieder verteilen. Die %&"$er Jahre stellten schließlich die Hochphase der sozialdemografi- schen Bestimmung von Zielgruppen dar. Danach ist ein Abebben festzustellen. Ver- änderungen des Wählerverhaltens führ- ten in den %&*$er Jahren dazu, dass das Vertrauen in soziodemografische Erklär- modelle der Wahlentscheidung schwand. Schlussfolgerungen waren eine auf die jeweiligen Kandidatinnen und Kandida- ten zugeschnittene Personalisierung der Wahlkämpfe und die Auswahl von The- men, die möglichst breite Teile der Bevöl- kerung ansprachen. Lediglich der jungen Wählerschaft wurde weiterhin beson- dere Aufmerksamkeit zuteil. Ihr wurde bescheinigt, noch kein gefestigtes Welt- bild zu haben, und mangels ausgepräg- ter Parteibindung galt sie als lohnendes Wählerreservoir. Bis heute. Und so sind es vor allem die Jugendorganisationen der Parteien, die mithilfe von Kleinwer- bemitteln um die Sympathien junger Leu- te werben. Darunter etwa: selbstkleben- de Notizzettel (Post-its), wie sie auch im Universitätsalltag Verwendung finden, Zigarettenpapiere – und Kondome. Dr. Daniel Benedikt Stienen ist Historiker und wissen - s c h a ft l i c h e r M i t a r b e i t e r i m Projekt „Kulturen politischer Entscheidung in der modernen Demokratie“ der BAdW. A k a d e m i e A k t u e l l !"

Fokus l l e u t k A e i m e d a k A r ü f x x x x x x : s o t o F Plattformen im Netz verfolgen gezielt die Daten- spuren, die Menschen im Internet hinterlassen. So können sie ihr Verhalten analysieren und vorhersagen. A k a d e m i e A k t u e l l !"

!.#$#! Fokus Durch die Gruppierung in immer kleinere Einheiten kann nach und nach die gemeinsame Diskussionsgrundlage der Öffentlichkeit schwinden. schließlich vorhersagen. Solche Profile bilden den Ausgangspunkt für gezielte Werbekampagnen. Man spricht auch vom sogenannten Targeting. Dabei schalten Werbetreibende zielgruppenorientiert Anzeigen, die sich nach Zeit, Ort und in der Aufmachung unterscheiden. E i n s a t z v o n K I Microtargeting setzt sich davon nur gra- duell ab: Es stellt ein noch feinkörnige- res Vorgehen dar, bei dem unter Einsatz Künstlicher Intelligenz insbesondere psy- chometrische Verfahren genutzt werden. Diese Verfahren beruhen auf der Analyse von langfristigen Persönlichkeitsmerkma- len, aber auch von schwankenden emo- tionalen Lagen. Auf dieser Grundlage passt die Software neben den Inhalten auch die Darstellungsform an. Wahlwer- bung ist trotzdem nicht individuell, da stets mehr als eine Person sie angezeigt bekommt. Die Profile und die Methoden des Microtargeting ermöglichen aber, vie- le verschiedene Gruppen zu bilden. Die- se Gruppen überlappen sich nur teilwei- se und erhalten unterschiedliche, auf sie abgestimmte Wahlwerbung. U n t e r w a n d e r u n g d e m o - k r a t i s c h e r R e p r ä s e n t a t i o n Rechtliche Probleme wirft politisches Microtargeting nicht nur in daten- schutzrechtlicher Hinsicht auf. Auch ver- fassungsrechtlich bietet das Prinzip der demokratischen Repräsentation einen neuen Ansatzpunkt, politisches Microtar- geting als potentiell demokratiegefähr- dend einzustufen. Problematisch sind insbesondere Gruppierungstendenzen sowie die strategische Demobilisierung. Durch die Gruppierung in immer kleinere Einheiten kann die gemeinsame Diskussi- onsgrundlage der Öffentlichkeit schwin- den. Demokratische Repräsentation aber beruht auf Kompromissfindung, die nicht die einzige rationale Lösung eines Pro- blems darstellt, sondern stets Ergeb- nis von Aushandlung und Diskussion ist. Microtargeting kann diese Kompro- missfindung erschweren, die auf einen gemeinsamen Referenzrahmen ange- wiesen ist. Vergangene Wahlkämpfe konnten zeigen, dass sich Microtargeting zudem besonders gut eignet, um bestimm- te Gruppen vom Wählen abzuhalten. Wahlkämpferinnen und -kämpfer sen- ken also die Wahlbeteiligung strategisch in Gruppen, von denen sie sich keine Stimmen erhoffen. Demokratische Reprä- sentation lebt aber von der Beteiligung breiter Anteile der Bevölkerung. Strate- gische Demobilisierung ist daher hoch problematisch. Neuere europarechtliche Verord- nungen und Entwürfe adressieren das Microtargeting, auch da es demokrati- sche Wahl- und Repräsentationsprozes- se negativ beeinflussen kann. Dabei steht im Vordergrund, bewusst zu machen, wie zielgenau und als Teil welcher Gruppen man angesprochen wird. Ob die neuen Regeln ausreichen, können erst zukünf- tige Wahlkämpfe zeigen. Dr. Laura Jung ist Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Kulturen politischer Entscheidung in der modernen Demokratie“ der BAdW. A k a d e m i e A k t u e l l !"

!."#"! Fokus Ja, das Bundesverfassungs- gericht ist an einer Indivi- dualisierung demokratischen Entscheidens beteiligt. l l e u t k A e i m e d a k A r ü f x x x x x x : s o t o F A k a d e m i e A k t u e l l

!.#$#! Fokus D a s I n d i v i d u u m i m M i t t e l p u n k t Um es kurz zu sagen: Ja, das Bundesver- fassungsgericht ist an einer Individuali- sierung demokratischen Entscheidens beteiligt. Dies ist aber ausdrücklich zu begrüßen. Denn es ist der zentrale Zweck von Verfassungsgerichten in einer Demo- kratie, die Rechte und somit auch die Iden- titäten von Personen in ein ausbalancier- tes Verhältnis zu Mehrheitsentscheidun- gen zu bringen. Dies gilt insbesondere für das Bundesverfassungsgericht als deut- sches Verfassungsgericht. In Abkehr zum nationalsozialistischen Terror, in dem die Belange Einzelner keinen Wert hatten, rückten die Mütter und Väter des Grund- gesetzes das Individuum in den Mittel- punkt allen staatlichen Handelns. Denn das Grundgesetz beginnt mit dem Satz „Die Würde des Menschen ist unantast- bar“. Dabei meint das Grundgesetz jeden Menschen, gleichgültig, welche individu- ellen Merkmale er hat und unabhängig davon, ob er eine außergewöhnliche Iden- tität hat, also Angehöriger einer struktu- rellen Minderheit ist. Alle Menschen sind nach dem Grundgesetz gleich! Nun kann man sich fragen: Ist es demo- kratisch, wenn Mehrheitsentscheidungen l l e u t k A e i m e d a k A r ü f x x x x x x : s o t o F A k a d e m i e A k t u e l l !"

!.#$#! Auf den Punkt Freiwilliges Typ-!-Diabetes-Screening für alle! I l l u s t r a t i o n M a r t i n F e n g e l E i n K o m m e n t a r v o n A n e t t e - G a b r i e l e Z i e g l e r D ie häufigste Stoffwechselstörung aufgrund einer Autoimmunerkrankung bei Kin- dern ist Typ-'-Diabetes. Trotz aller Bemühungen, über die wichtigsten Symptome aufzuklären, wird Typ-'-Diabetes aber bei über einem Drittel aller Betroffenen erst in Notfallsituationen durch schwere Stoffwechselentgleisungen entdeckt. Prof. Dr. Anette- Gabriele Ziegler leitet das Institut für Diabetesforschung bei Helmholtz Munich, lehrt an der TU München und ist BAdW-Mitglied. Menschen mit Typ-'-Diabetes müssen ein Leben lang Insulin spritzen – ihre Inselzellen der Bauchspeicheldrüse stellen nicht mehr ausreichend eigenes Insulin her. Der Grund: Das Immunsystem zerstört die körpereigenen Inselzellen. Insulin reguliert unseren Blutzucker und versorgt die Körperzellen mit Nahrung. Stoffwechselentgleisungen sowie anhaltende zu hohe Blutzuckerwerte können sich negativ auf den Verlauf des Typ-'-Diabetes und Fol- geerkrankungen auswirken. Eine Chance, um die Therapie und die Lebensperspektive deutlich zu verbessern, bietet ein Screening auf Inselautoantikörper, das Typ-'-Diabetes bereits im Früh- stadium – also bevor es zu klinischen Symptomen kommt – erkennt. Derzeit bieten wir dieses im Rahmen der Fr'da-Studie in Bayern, Niedersachsen, Sachsen und Hamburg an. Unsere Forschung zeigt: Ein Screening im Kindergar- ten- und Vorschulalter hat den größten Nutzen. Durch frühe Schulungen und regelmäßige medizinische Kontrol- len können wir schwere Stoffwechselentgleisungen und anhaltende, unbehandelte Überzuckerungen vor der Diagnose vermeiden. Die Familien können sich individuell auf den Krankheitsverlauf einstellen und die Insulintherapie rechtzeitig beginnen. Das kann sich positiv auf das Diabetesmanagement, neuro- kognitive Schäden und Folgeerkrankungen aus- wirken. Die Diagnose im Frühstadium reduziert außerdem psychische Belastungen zu Beginn der Erkrankung und verbessert die Lebensqualität. Ein weiterer Vorteil ist der Zugang zu vorbeugen- i k s w o n a m i S g r ö J : o t o F den Therapiemöglichkeiten. In den USA ist seit #$## ein Wirkstoff zugelassen, der den Ausbruch von Typ-'-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen zwar nicht verhindern, aber um bis zu drei Jahre verzögern kann – wertvolle Zeit, die den entscheidenden Unterschied in der Vorbereitung auf Typ-'-Diabetes bietet. Für das Diabetesmanagement herausfordernde Lebensabschnitte wie Kindheit, Jugend und frühes Erwachsenenalter lassen sich hiermit überbrücken. Wir sollten jedem Kind in Zukunft die Chance bieten, sich im Rahmen der Regelversor- gung freiwillig auf sein persönliches Risiko für Typ-'-Diabetes testen lassen zu können – dass dabei das Recht auf Nichtwissen sorgfältig berücksichtigt und dies Hand in Hand mit Au(lärung und Schulungen der Eltern gehen muss, ist selbstverständlich. A k a d e m i e A k t u e l l !"

!.#$#! Lesezeit In unserer Buch -Kolumne fragen wir Angehörige der Akademie nach ihrer aktuellen Lektüre. „Vorlesen, vorlesen, vorlesen“ Die Amerikanistin Heike Paul über die Begeisterung für die Literatur feministischen Phase, habe ich die Autorinnen von den Autoren getrennt), nach Land oder Sprache. Mittlerweile unterscheide ich nur noch Romane von nicht-fiktionaler Fachliteratur. Aber deshalb bin ich auch ständig am Suchen. An welche Romanfigur müssen Sie immer wieder denken? An Kerewin, die Hauptfigur aus „The Bone People“, dem gro- ßen Roman der kürzlich verstorbenen neuseeländischen Auto- rin Keri Hulme. Können Sie Fiktion lesen, die in Ihrer Disziplin spielt? Wie gut gehen Genre und eigenes Fach zusammen? Universitätsromane können recht witzig und unterhaltsam sein, gerade dann, wenn sie satirisch überspitzt daherkommen, so wie zum Beispiel Christoph Heins „Weiskerns Nachlass“ oder Julie Schumachers „Dear Committee Members“. Fragen: il Was lesen Sie gerade? Kürzlich habe ich die Autorin Anne Tyler (wieder-)entdeckt und lese ihr Œuvre gerade kreuz und quer. Sie schreibt bevorzugt über die weiße amerikanische Kleinfamilie und ihre kleinen und großen Dysfunktionalitäten. Am bekanntesten ist sicher ihr Werk „Breathing Lessons“ (dt. „Atemübungen“), für das sie den Pulitzer-Preis erhielt. Aber alle ihre Romane sind toll. Sie wird gemeinhin nicht gerade zur ersten Garde der amerikani- schen Literaten gezählt, aber ich finde, dass sie einem Jonathan Franzen, einem John Updike (der im Übrigen ein großer Fan von ihr war) oder auch einer Elizabeth Strout in nichts nachsteht. Welches Buch hat Sie zuletzt beeindruckt? Ganz klar: Percival Everett, „The Trees“ (dt. „Die Bäume“) – ein Buch über die Geschichte des Lynching in den USA, brutal, bit- ter und zugleich sehr witzig. Das klingt erst einmal paradox. Die Handlung: Im kleinen Ort Money, Mississippi, muss in der Gegenwart eine mysteriöse Mordserie aufgeklärt werden, Lei- chen tauchen auf und verschwinden aber auch wieder. Anspie- lungen auf den brutalen Mord am &'-jährigen Emmett Till im Jahr &"(( durchziehen den Roman. Haben wir es hier mit einer späten Vergeltung zu tun? Bei den polizeilichen Ermittlungen gibt es jede Menge Situationskomik und (im doppelten Sinne) schwarzen Humor. Everett selbst hat dazu mal gesagt, er sei von Mark Twain beeinflusst. Welches Buch verschenken Sie immer wieder? Alle Romane von Karen Duve – von „Regenroman“ bis „Sisi“. Und Lukas Rietzschels „Mit der Faust in die Welt schlagen“ – wenn schon Wenderoman, dann dieser. Wie begeistern Sie Kinder fürs Lesen? Zunächst einmal: Vorlesen, vorlesen, vorlesen. Dann springt der Funke irgendwann über. Garantien gibt es dafür natürlich keine. Auf meiner Vorleseliste immer noch weit vorne: die Österreiche- rin Christine Nöstlinger – sowohl der „Gurkenkönig“ als auch die „Geschichten vom Franz“ (und der Gabi). Kinder lieben Sprach- spiele und experimentieren gerne mit Wörtern und Reimen. Viel Spaß hatten wir mit „Alle Kinder: Ein ABC der Schadenfreude“. Nach welchem System ordnen Sie Ihre Bücher? Ach, da habe ich schon verschiedene Systeme ausprobiert. Nach Alphabet, nach Geschlecht (ganz früher, in einer radikal- A k a d e m i e A k t u e l l F o t o R e g i n a R e c h t ― I l l u s t r a t i o n K a t i S z i l á g y i !"

#.$%$# Kurz vorgestellt nicht zuletzt die Hoffnung, die jeweils nächste Generation von Studierenden durch attraktive, fachlich und metho- disch innovative sowie engagierte Lehre zu begeistern und anzuleiten auf diesem gemeinsamen Weg. Mit welcher (auch historischen) Person würden Sie gerne diskutieren? Mit weitem Abstand mit meinem Lieb- lingskomponisten Georg Friedrich Hän- del, dem „Meister von uns allen“. Ich würde gerne … ... ein Orchester dirigieren bzw. eine Opernaufführung musikalisch leiten können, eine nach meiner Einschätzung unerreichte Höchstleistung im Bereich des momentgebundenen „Multitaskings“. Welche Begabung hätten Sie gerne? Das absolute Gehör. Prof. Dr. Rainer Bromme P r o f. D r. R a i n e r B r o m m e i s t S e n i o r P r o f e s s o r f ü r P ä d a - g o g i s c h e P s y c h o l o g i e a n d e r U n i v e r s i t ä t M ü n s t e r, w o e r a u c h M i t g l i e d d e s Z e n t r u m s f ü r W i s s e n s c h a f t s t h e o r i e i s t . Z u v o r l e h r t e u n d f o r s c h t e e r u . a . i n F r a n k f u r t a m M a i n u n d i n B i e l e f e l d s o w i e a l s G a s t p r o f e s s o r i n H a i f a u n d A u c k l a n d . E r i s t k o r r e s p o n d i e - r e n d e s M i t g l i e d d e r B A d W. Worüber forschen Sie? Ich forsche zum öffentlichen „Vertrauen in Wissenschaft“. Mich interessieren dazu Ergebnisse aus Umfragen ebenso wie aus psychologischen Experimenten. Das „Ver- trauen“ interessiert mich als ein Faktor im Verhältnis von Bürgerinnen und Bür- gern zur Wissenschaft. Dieses Verhältnis wird – im besten Falle – in der Schule vor- bereitet (scientific literacy) und ist dann lebenslang relevant, einfach deshalb, M U T / t r e k c E d i r t s A ; r e w e r G r e t e P : s o t o F A k a d e m i e A k t u e l l weil Wissenschaft für alle lebenslang bedeutsam ist. Dabei ist aus psychologi- scher Sicht auch interessant, wie wir – als Laien in vielen Bereichen – mit recht unvollständigem Wissen viele Aufgaben durchaus erfolgreich bewältigen. Welche Frage wollen Sie mit Ihrer For- schung beantworten? In meiner Forschung geht es um ein – empirisch begründetes – theoretisches Verständnis der psychologischen, sozi- alen und pädagogischen Bedingungen für „informiertes Vertrauen“ in Wissen- schaft. Die beiden zusammenhängenden Fragen lauten also: ". Was sollte man wis- sen, und wie sollte man urteilen, um ein kritisches und zugleich positives Verhält- nis zur Wissenschaft zu „leben“? $. Wie kann die Entwicklung dieses Wissens und dieser Urteilsfähigkeit in der Bildung und der Wissenschaftskommunikation unter- stützt werden? Was treibt Sie an? Vergnügen daran, mit anderen zu inter- essanten Fragen (nicht nur aus der Wis- senschaft!) zu diskutieren – und ab und zu dadurch gemeinsame Sichtweisen zu entdecken, zu spüren oder aber (das ist noch besser): zu entwickeln. Mit welcher (auch historischen) Person würden Sie gerne diskutieren? Mit den Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftlern, die bereits vor vielen Jah- ren die Klimakrise vorhergesehen haben. Wo würden Sie gerne leben? Manchmal, oder besser gesagt zeitweise, in Neuseeland. Dr. Golo Storch D r. G o l o S t o r c h i s t S t i p e n d i a t d e s E m m y N o e t h e r- P r o g r a m m s d e r D F G u n d l e i t e t e i n e N a c h - w u c h s f o r s c h u n g s g r u p p e i m B e r e i c h O r g a n i s c h e C h e m i e a n d e r Te c h n i s c h e n U n i v e r s i t ä t M ü n c h e n . F o r s c h u n g s a u f e n t - h a l t e f ü h r t e n i h n u . a . a n d i e Ya l e U n i v e r s i t y u n d a n d i e U n i v e r s i t é d e To u l o u s e . E r i s t M i t g l i e d i m J u n g e n K o l l e g d e r B A d W. Wozu forschen Sie? In meiner Forschungsgruppe syntheti- sieren wir neue Organokatalysatoren, die vom natürlichen Cofaktor Flavin (Vitamin B$) abgeleitet sind. Wir erforschen dabei nachhaltige Alternativen für bislang sehr ressourcen- und energieaufwendige che- mische Umsetzungen. Im Mittelpunkt ste- hen Prozesse, die Luftsauerstoff als Oxi- dationsmittel oder sichtbares Licht als Energiequelle nutzen. Warum genau dieses Thema? Die Natur hat mit dem „Alleskönner“ Flavin einen Cofaktor entwickelt, der in Enzymen bei verschiedenen Reaktionen beteiligt ist. Diese Biosynthesewege sind (oft) sehr gut erforscht, und man kennt die einzelnen Teilschritte. Mich fasziniert das Ziel, von diesem Wissen zu profitieren und es im Fachgebiet der Organischen Chemie einzusetzen. Was treibt Sie an? Die tägliche Zusammenarbeit mit gleich- falls von der Chemie begeisterten Men- schen und das gemeinsame Lösen von Aufgaben. Dabei ist es sehr erfüllend, Theorien und Hypothesen zu entwickeln und sie, gerade nach unerwarteten Resul- taten im Labor, zu überdenken, zu überar- beiten und erneut zu validieren. Welche Frage würden Sie gerne stellen – und wem? Den Chemikern im zukünftigen $$. Jahr- hundert, wie sich das Fach, die Schwer- punkte und die Methoden im Vergleich zur heutigen Zeit gewandelt haben. Ich würde gerne … … sämtliche Botanische Gärten der Welt bereisen. Für mich sind sie ein idealer Ort für Ruhe und Inspiration. Welche Begabung hätten Sie gerne? Wird leider nicht in Erfüllung gehen: eine Erweiterung des sichtbaren Spektrums. Mit dem bloßen Auge die üblichen „wei- ßen Feststoffe“ im Labor zu identifizie- ren, ist wohl der Traum vieler Organischer Chemiker. Fragen: rz !"!"

!."#"! Zeitgeschichte Forschung Forschung M i c h a e l B r e n n e r u n d A n d r e a s W i r s c h i n g i m G e s p r ä c h ü b e r d a s O l y m p i a - A t t e n t a t # $ % & u n d d i e n u n b e g o n n e n e u m f a s s e n d e A u f a r b e i t u n g . f p m u R n a h p e t S / Z S : o t o F A k a d e m i e A k t u e l l !"

#.$%$# Fachbereich Das Olympia-Attentat !"#$ In den frühen Morgenstunden des ". September &'+$ nahmen acht palästinensische Attentäter der Terror- gruppe „Schwarzer September“ elf israelische Athleten bei den Olympischen Sommerspielen in München als Geiseln. Das Attentat endete in der Nacht zum (. Sep- tember in einem Blutbad: Alle Geiseln sowie ein deut- scher Polizist und fünf Attentäter wurden getötet, die drei überlebenden Geiselnehmer verhaftet. Nach einem Trauertag wurden die Olympischen Spiele fortgesetzt. I P U / e c n a i l l a - e r u t c i p ; r e g n i s s O t s r o H . w z b b e w a p d / a p d / e c n a i l l a - e r u t c i p : s o t o F Oben: Die Mannschaft des bundesrepublikanischen Gold-Achters (Rudern) von &'() bei der Eröffnungsfeier. Unten: ". September &'+$: ein Scharfschütze im Olympischen Dorf; Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher ($. v. l.) in Verhandlung mit einem Geiselnehmer (r.). A k a d e m i e A k t u e l l !"

#.$%$# Zeitgeschichte Forschung „ P s y c h o l o g i s c h i s t i n m e i n e n A u g e n e i n e A r t S c h o c k s t a r r e e i n g e - t r e t e n , d i e d i e d e u t s c h e n B e h ö r d e n d a r a n g e h i n d e r t h a t , m i t d e n H i n t e r b l i e - b e n e n e i n v e r n ü n f t i g e s V e r h ä l t n i s z u e n t w i c k e l n . “ Und was ist bis jetzt in dem Forschungsprojekt passiert? AW: Am Institut für Zeitgeschichte wurde eine Forschungs- und Geschäftsstelle eingerichtet. So ein Forschungsvorhaben ist nur mit einer wissenschaftlichen und technischen Infra- struktur möglich, die ausreichend personelle Kapazitäten hat für umfangreiche Recherche- und Au&ereitungsarbeiten. Wir konnten hochqualifizierte Mitarbeiter gewinnen, die in enger Abstimmung mit der Kommission arbeiten. Anfang September hatten wir in München die erste gemeinsame Arbeitstagung mit Kommission und allen anderen Teammitgliedern. Es wer- den gerade die Forschungsdesigns erstellt. Wir haben in Israel auch schon Vorgespräche mit Opfer-Familien geführt. Das Team bereitet ein Oral-History-Projekt vor, in dem wir die Erfahrungs- geschichte der betroffenen Familien systematisch untersuchen. Da die Öffnung auch bisher gesperrter Quellen für uns essen- tiell ist, gab es bereits einen großen Workshop mit Archivaren von Behörden und Diensten, um das einzuleiten. Die Bundesrepublik Deutschland hat )% Jahre gebraucht, um endlich die Aufarbeitung der Ereignisse voranzutreiben. Kommt sie zu spät? MB: Der Umgang der Bundesrepublik mit den Geschehnissen war bisher nicht sehr rühmlich. Ich glaube, da stimmen alle über- ein, auch die jetzige Bundesregierung. Und es ist längst überfäl- lig, dass so eine Historikerkommission eingesetzt wird. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn das früher erfolgt wäre. Aber )% Jahre später ist es nicht zu spät, damit zu beginnen. Vielleicht haben wir auch mehr Chancen, mit diesem zeitlichen Abstand an bestimmte Akten heranzukommen, die zehn Jahre früher nicht so leicht einsehbar gewesen wären. Aber das bleibt abzu- warten. Fragen: rz r e b u h d m h c S i d i r t s A / Z f I : o t o F Einrichtung einer Historikerkommission zur Aufarbeitung des Olympia-Attentats !"#$ )% Jahre nach dem Attentat auf die israelische Mann- schaft bei den Olympischen Sommerspielen *+"$ in München hat die Bundesregierung eine achtköpfige Kommission international renommierter Historikerinnen und Historiker zur Aufarbeitung des Anschlags berufen. Diese hat im September $%$# ihre Arbeit aufgenommen. Unterstützt wird die Kommission dabei vom Institut für Zeitgeschichte München–Berlin (IfZ), an dem eine Forschungs- und Geschäftsstelle eingerichtet wurde. Das Bundesinnenministerium hat den Forschenden die Öffnung aller auch bisher gesperrten Quellen zuge- sichert, um in einem Zeitraum von drei Jahren bislang ungeklärte Fragen rund um das Attentat sowie ins- besondere auch um die Vor- und Nachgeschichte des September *+"$ zu erforschen. Mit der Einberufung hat die Bundesregierung nach langen Auseinandersetzun- gen eine zentrale Forderung der Hinterbliebenen der Opfer des Attentats erfüllt. Anfang September $%$# tagte die internationale Kommission zur Aufarbeitung des Anschlags erstmals am Institut für Zeitgeschichte in München. Prof. Dr. Michael Brenner lehr t Jüdische Geschichte und Kultur an der LMU München und hat den Seymour and Lillian Abensohn Chair für Israel-Studien an der American University, Washington D.C. inne. Er ist Mitglied der internationa- len Historikerkommission zur Aufarbeitung des Anschlags auf die israelische Olympiamannschaft und Mitglied der BAdW. Prof. Dr. Andreas Wirsching ist Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München– Berlin und Lehrstuhlinhaber für Neueste Geschichte an der LMU München. Er ist Mitglied der BAdW. A k a d e m i e A k t u e l l !"

#.$%$# Fachbereich Forschung l l e u t k A e i m e d a k A r ü f x x x x x x : s o t o F A k a d e m i e A k t u e l l !"

#.$%$# Publikationen Forschung P r e - P r i n t s b i e t e n d i e M ö g l i c h k e i t , F o r s c h u n g s e r g e b n i s s e t r a n s p a r e n t u n d z e i t n a h z u t e i l e n . Einschätzung, dass Pre-Prints für das soziale Umfeld wichtig sind (subjektive Norm) und für das Gefühl, selbst entscheiden zu können, ob eigene Publikationen als Pre-Prints veröffentlicht werden (wahrgenommene Verhaltenskontrolle). Das auffälligs- te Ergebnis war, dass die Relevanz von Pre-Prints in allen drei Dimensionen je nach Disziplin stark variiert. Während sie in den Natur- und Technikwissenschaften schon sehr weit verbreitet sind und auch in der Medizin und den Sozialwissenschaften ihre Bedeutung gesehen wird (obwohl hier noch wesentlich weniger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese Publikations- form tatsächlich nutzen), spielen Pre-Prints für die Geisteswis- senschaften keine große Rolle (Abb. "). Diese Ergebnisse spie- geln sich auch in der Intention sowie dem bisherigen Verhalten. Dies lässt darauf schließen, dass die Fachkultur und die spe- zifischen Anforderungen der verschiedenen Wissenschaftsberei- che einen erheblichen Einfluss auf die Nutzung und Wahrneh- mung von Pre-Prints haben. In Disziplinen, in denen der Wissens- austausch und die Aktualität von großer Bedeutung sind, bieten sie einen deutlichen Vorteil. In Bereichen, in denen die Aktualität der Befunde nicht so stark im Vordergrund steht, wird mögli- cherweise mehr Wert auf traditionelle Publikationswege gelegt. Darüber hinaus zeigt sich, dass großes Interesse an Pre-Prints bei Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern besteht, während erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftler bereits mehr Pre-Prints tatsächlich veröffentlicht haben. Dies kann zum Teil auf die höhere Gesamtzahl an Publika- tionen zurückzuführen sein, die erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Laufe ihrer Karriere vorweisen können. Interessanterweise ergab die Befragung auch, dass die Relevanz von Pre-Prints je nach Fachrichtung stark variiert. Zusammenfassung Die Studie verdeutlicht die wachsende Bedeutung von Pre-Prints als Ergänzung zu traditionellen Peer-Review-Publikationen. Die Ergebnisse zeigen, dass Pre-Prints in bestimmten Fachrichtun- gen bereits weit verbreitet sind, während in anderen Bereichen noch Potential für ihre Nutzung besteht. Die Fachkultur und die spezifischen Anforderungen der verschiedenen Wissenschafts- bereiche haben einen erheblichen Einfluss auf die Akzeptanz und Wahrnehmung von Pre-Prints. In Disziplinen, in denen ein schneller Wissensaustausch und aktuelle Informationen von großer Bedeutung sind, bieten Pre-Prints deutliche Vorteile. Sie ermöglichen Forscherinnen und Forschern, ihre neuesten Erkenntnisse transparent und zeitnah zu teilen und frühzeitig Feedback aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft einzuho- len. Die Ergebnisse unterstreichen auch die Notwendigkeit, die individuellen Bedürfnisse und Anforderungen der verschiede- nen Forschungsfelder und Karrierestufen zu berücksichtigen. Insgesamt lässt sich schlussfolgern, dass Pre-Prints eine wertvolle Ergänzung zu traditionellen Peer-Review-Publikatio- nen darstellen können, um den Wissenstransfer in der wissen- schaftlichen Gemeinschaft zu fördern. Es ist von großer Bedeu- tung, ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den Stärken beider Publikationsformen zu finden, um eine qualitativ hoch- wertige und zeitnahe Verbreitung von Forschungsergebnissen zu gewährleisten. Prof. Dr. Matthias Stadler lehr t und forscht am Institut für Didaktik und Ausbil- dungsforschung in der Medizin (DAM) des Klinikums der LMU München. PD Dr. Kilian Schober ist Arbeitsgruppenleiter am Mikrobiologischen Institut des Universitätsklinikums Erlangen. Beide sind Mitglieder im Jungen Kolleg der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und organisier ten $ %$ # die Veranstaltung „Pre-Print vs. Peer-Review“ sowie die hier vorgestellte Studie . A k a d e m i e A k t u e l l !"

".#$#" Soziologie Forschung haben immer wieder E i n G e s p r ä c h m i t N i c o l e J . S a a m u n d H e i n e r B i e l e f e l d t ü b e r d e n j a h r h u n d e r t e - l a n g e n K a m p f u m F r e i h e i t s r e c h t e , d i e v i e l f ä l t i g e n B e d e u t u n g e n d e r F r e i h e i t s i d e e u n d d a s Ve r h ä l t n i s v o n S i c h e r - h e i t u n d F r e i h e i t . Frau Saam, Herr Bielefeldt, womit befasst sich Ihr Buch „Die Idee der Freiheit und ihre Semantiken“, und warum haben Sie sich diesem Thema gewidmet? Können Sie uns einen kurzen Überblick geben? Nicole J. Saam: Das Buch ist im Rahmen einer Ad hoc-Arbeitsgruppe der Baye- rischen Akademie der Wissenschaften erschienen. Hier ging es darum, sich zen- tralen gesellschaftlichen Werten wie etwa Sicherheit und Freiheit zu widmen, die vielfältigen Herausforderungen ausge- setzt sind – zum Beispiel durch Digitali- sierung und soziale Medien, durch Natio- nalismus und Populismus, durch globale soziale Gefälle und Migration sowie durch die Infragestellung oder den Bedeutungs- verlust wertstiftender Institutionen in der freiheitlichen Demokratie. Unser Ziel ist es, Vereinnahmungen und Verengungen des Freiheitsbegriffs etwas entgegenzusetzen – einer Tendenz, der wir in vielen Werte- konflikten zwischen Freiheit und Sicher- heit begegnen. Heiner Bielefeldt: Der Plural im Titel des Buches ist nicht zufällig gewählt: Es geht um vielfältige Semantiken, also Bedeutungen der Freiheitsidee, wie sie in unterschiedlichen Disziplinen der Wissenschaft vorkommen. Es war unser Ziel, diese Vielfalt zu dokumentieren. Hierbei konnten wir feststellen, dass sich wesentliche Gemeinsamkeiten quer zu den unterschiedlichen Disziplinen zei- gen, und zwar mehr, als wir dies erwar- tet hatten. Das hat uns richtig über- rascht – und ich will hinzufügen: auch gefreut. Wie Frau Saam gerade schon sagte, machen sich viele der Autorin- nen und Autoren für ein anspruchsvolles Freiheitsverständnis stark. Damit richtet sich der Band auch eindeutig gegen eine Vereinfachung des Freiheitsbegriffs nach dem Motto: „Meine Freiheit gehört mir; das ist mein Ding; ich lasse mir da von niemandem reinreden.“ Frau Saam, Sie sind Soziologin. Welche Bedeutung spielt Ihrer Ansicht nach Frei- heit im Alltag der Menschen? NJS: Eine ganz wichtige, aber in unse- ren modernen Gesellschaften norma- lerweise so selbstverständliche, dass es uns gar nicht bewusst wird. Generatio- nen von Menschen haben immer wie- der für bestimmte Freiheiten des Alltags gekämpft, zum Beispiel in der Frühen Neuzeit für die Freiheit, die Person, die man heiratet, selbst aussuchen zu dür- fen, oder für die Freiheit von Leibeigen- schaft. Es hat zum Teil mehrere Jahr- hunderte gedauert, diese Freiheiten zu f i a l / s e g a m I t s a E e l d d M i / e r i W n a r I : o t o F A k a d e m i e A k t u e l l A k a d e m i e A k t u e l l f ü r F r e i h e i t e n g e k ä m p ! “ !"

".#$#" Soziologie Forschung Protest gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten in China (Osaka, #$&*). Prof. Dr. Nicole J. Saam lehrt Methoden der empirischen Sozial- forschung an der FAU Erlangen - Nürnberg . Sie forscht u. a. über Organisationssoziologie , Politische Soziologie sowie Human -Animal- Studies und ist Mitglied der BAdW. Prof. Dr. Heiner Bielefeldt lehr t Menschenrechte und Men - schenrechtspolitik an der FAU Erlangen -Nürnberg und ist Mitglied der BAdW. Er forscht u. a. auch zur politischen Ideengeschichte . Bis # $ & ' war er U N-Sonderbericht- erstatter für Religions- und Welt- anschauungsfreiheit . Der von beiden herausgegebene Sammelband „Die Idee der Freiheit und ihre Semantiken. Zum Span - nungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit“ (transcript Verlag # $# ") ging aus der Ad hoc-AG „Zukunfts- wer te“ der Bayerischen Akademie der Wissenschaften her vor. auch ein Mehr an Freiheit ermöglicht. Im Internet braucht man ein Mindestmaß an Sicherheit als Voraussetzung für die Frei- heit der Meinungsäußerung. Ich werde also erst dann im Internet Gebrauch von meiner Freiheit der Meinungsäußerung machen, wenn ich davon überzeugt bin, dass ich deshalb nicht bedroht, gemobbt oder durch Cyberattacken angegriffen werde. Das zweite Beispiel stammt aus der Lebenswelt alter Menschen, die pfle- gebedürftig werden. Es lässt sich zeigen, dass Freiheit von Verpflichtungen, Not- wendigkeiten und Selbstsorge im Alter nur dann möglich sind, wenn Sicherhei- ten vorhanden sind, wie etwa Schutz, Ver- lässlichkeit und Vertrauen. Freiheit und Sicherheit sind offenbar keine unmittel- baren Gegensätze. Vielmehr stehen Frei- heit und Unfreiheit bzw. Sicherheit und Unsicherheit einander direkt gegenüber. Fragen: lr und Schutz. Gegen diese bis heute weit verbreitete Vorstellung haben Menschen mit Behinderungen protestiert und eine eigene Konvention erkämpft, die sehr ent- schlossen auf Freiheit ausgerichtet ist. Gleichzeitig macht die Konvention deut- lich, dass Freiheit Unterstützung braucht. Niemand kann für sich allein in Freiheit leben – diese Einsicht gilt nicht nur für Menschen mit Behinderungen. Wir alle brauchen – in unterschiedlichem Aus- maß – die Unterstützung durch andere und durch die Gesellschaft. Frau Saam, Ihr Buch befasst sich nicht nur mit Freiheit, sondern auch mit dem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit. Wenn ich etwa an inne- re Sicherheit denke, an die Bedrohung durch Kriminalität oder Terrorismus, dann ist ein Mehr an Sicherheit, zum Beispiel durch Überwachungskameras, mit einer Einschränkung der Freiheit verbunden. Kann man das verallgemeinern? NJS: An dieses Beispiel denken tatsächlich viele. Es ist spannend zu erkennen, dass wir weder durchgehend ein Nullsummen- spiel finden, wie in Ihrem Beispiel, noch grundsätzlich ein Spannungsverhältnis vorliegen muss. Ich will zwei Beispiele für sogenannte Positivsummenspiele geben – also dafür, dass ein Mehr an Sicherheit k c o L n a i t s a b e S ; I P U / i r o M o z i e K : s o t o F „ D e r B a n d r i c h t e t s i c h a u c h e i n d e u t i g g e g e n e i n e V e r e i n - f a c h u n g d e s F r e i h e i t s - b e g r i f f s . “ Heiner Bielefeldt A k a d e m i e A k t u e l l !!

#.$%$# Dialekte hä̀ š ̩ ā ́ ʰ Hirschaid Vo n S a r a h R a t h g e b , J o h a n n W e l l n e r u n d W o l f g a n g J a n k a grämǝšdiŋ Greimharting vų ̀ ᴉš ̩ kíǝnǝ Wunderskirchen švàsǝrǫ ́ ųtʰ Schwabsroth sǜsl̥ fṓǝ Sassanfarth f̩ önᵗš ̩ bęrχ Virnsberg dāfȫt Tauberfeld W üssten Sie, wohin Sie fahren sollen, wenn man Ihnen als Ortsangabe Surim mitteilt? Würden Sie spontan auf Oberbayern, genauer auf das Berch- tesgadener Land tippen und in Surheim ankommen? Wohl eher nicht. Auch bei Gewekin würden Sie wahrscheinlich nicht im Landkreis Regensburg in Hohen- und Niedergebraching Ihr Ziel finden. Seit Dezember $%$% läuft ein Kooperationsprojekt der Kom- mission für bayerische Landesgeschichte und des Verbands für Orts- und Flurnamenforschung in Bayern e. V. zur Erfassung der mundartlichen Form der Ortsnamen in Bayern, das vom Minis- terium der Finanzen und für Heimat gefördert wird. Ziel des Projekts ist es, alle bayerischen Ortsnamen – sowohl amtlich als auch nicht amtlich sowie auf- und abgegangene Siedlungen – in ihrer basisdialektalen Form zu erheben und anschließend als Tonaufnahmen und in verschrifteter Form (als Transkripte) im Internet zu veröffentlichen. mǫᴉwəsiŋ Malchesing gs̩ uᴉgs̩ ʰɐm Ziegelsham maᴉgiš Weingarts A k a d e m i e A k t u e l l !" ̩

#.$%$# Dialekte Forschung Übersicht über die bereits vergebenen Landkreise im Ortsnamen-Projekt, Stand Oktober $%$#. Gemeinden in Bayern offen vergeben die Aufnahmen des Sprachatlasses Mittelfranken vor, die bear- beitet, also geschnitten und in der Teuthonista-Lautschrift transkribiert werden. Eine technische Herausforderung ist dabei die stark schwankende Tonqualität der Aufnahmen, die im All- gemeinen nicht mehr dem heutigen Standard entspricht. Um bei den neu erhobenen Tonaufnahmen eine einheitliche Qua- lität zu gewährleisten, wurden für das Projekt Aufnahmegeräte angeschafft, die an die Exploratorinnen und Exploratoren ver- liehen werden. Außerdem haben wir ein umfangreiches Hand- buch erstellt, das weitere Richtlinien wie etwa das einheitliche Benennen und Speichern der Aufnahmen sicherstellt. Bedeutung für die Or tsnamenforschung Die im Rahmen des Projekts aufgenommenen und transkribier- ten Mundartformen sind von größtem Wert für die Ortsnamen- forschung in Bayern und für die Historische Dialektologie. Sie werden daher auch den Projekten „Historisches Ortsnamen- buch von Bayern“ und „Die Ortsnamen des Regierungsbezirks Oberpfalz“ (mit geplanter Online-Publikation) zur Verfügung gestellt. Bei nicht wenigen Ortsnamen kann die Herkunft nur durch Berücksichtigung der dialektalen Aussprache exakt bestimmt werden. Als Beispiel hierfür sei der Name Oettingen in Bayern (Lkr. Donau-Ries) erwähnt, für den zwei basisdialektale Formen ermittelt wurden: Ęǝdį (aus Oettingen und Megesheim) und Eidį (aus Wemding). Die Zwielaute (Diphthonge) ęǝ und eį entsprechen dem mittelhochdeutschen Langvokal ȫ; sie gehen nicht auf den Kurzvokal ö zurück. Als Basis des ingen-Namens Oettingen ist demzufolge ein Personenname mit langem Vokal im Anlaut anzusetzen (Ōto oder Ōti), dessen ō durch nachfol- gendes i zu ȫ umgelautet worden ist. Kurzvokalische Varianten (Oto und Oti) kommen für die Erklärung nicht in Betracht. His- torische Schreibformen wie Otingen ('$$–'($, Kopie um ))*%) und Otingun ()%!+–)%+!) geben keinen Aufschluss darüber, ob der Name ursprünglich mit O- oder mit Ō- anlautete. Erst die Analyse der Mundartform führt zu der gesicherten Grundform Ōtingum mit der Bedeutung „bei den Leuten des Ōto/Ōti“. Den Nutzen für die Dialektologie können die Mundart- formen der im nordbairischen Sprachraum befindlichen Orte k n a b n e t a D - t k e j o r P : e t r a K B AY E R I S C H E O RTS N A M E N Sie wollen mithelfen, in Ihrer Region die Mundart- formen der Ortsnamen mit Tonaufnahmen zu erfassen? Dann melden Sie sich unter mundartformen@kbl.badw.de Guteneck (Lkr. Schwan- dorf) und Guthof (Lkr. Cham) veranschaulichen. Sie lauten Gounék bzw. dɐ Goupauɐ („der Gutbauer“). In den betreffenden Gebie- ten wird allerdings heute das in diesen Namen ent- haltene Adjektiv „gut“ mit dem aus dem Mittelbai- rischen übernommenen Zwielaut uɐ gesprochen (guɐd). Diesem Wandel haben sich die beiden Ortsnamen entzogen. Hier wird im Dialekt an der ursprünglichen Lautung festgehalten. Die beiden genannten Mundartformen zeigen somit, dass früher auch weit südlich der heutigen Grenze zwischen uɐ und ou beim Adjektiv „gut“ (mittelhochdeutsch guot) der Diphthong ou gesprochen wur- de. Guthof liegt etwa '% km vom derzeitigen Verlauf der uɐ/ ou-Linie entfernt. Um bis November $%$( alle rund !'.%%% bayerischen Orts- namen zu erfassen, sind wir weiterhin auf die Mithilfe Inter- essierter angewiesen. Vielleicht kennen Sie Personen, die sich beteiligen wollen, oder möchten gar selbst Aufnahmen anfer- tigen – dann melden Sie sich gerne beim Projekt! Dr. des. Sarah Rathgeb und Dr. Johann Wellner sind Geschäftsführer des Vorhabens „Er fassung der mundar tlichen Formen der Or tsnamen in Bayern“, das an der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der BAdW angesiedelt ist . Dr. Wolfgang Janka ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der BAdW. A k a d e m i e A k t u e l l !"

#.$%$# Akademie intern Nanoschalter gegen Tumoren K l a u s Wa g e n b a u e r u n d s e i n U n t e r n e h m e n P l e c t o n i c e r h a l t e n S P R I N D - D a r l e h e n . Therapiemethoden wie Operation und Bestrah- lung. Dabei wird versucht, das körpereigene Immunsystem – ähnlich wie beim Impfen – zu aktivieren und darauf zu trainieren, Tumorzel- len zu bekämpfen. Ein bislang ungelöstes Pro- blem liegt jedoch in der Schwere der Neben- wirkungen, die häufig sogar zum Abbruch der Therapie führen. Das Plectonic-Team um die Gründer Klaus Wagenbauer, Jonas Funke, Benjamin Kick und Hendrik Dietz entwickelte deshalb einen „An-/ Aus-Schalter“ für Antikörper-Immuntherapi- en. Der DNA-basierte Nanoschalter hilft dem Immunsystem, erst dann zu reagieren, wenn eine Tumorzelle identifiziert und gebunden wurde. Das führt zu einer geringeren Aktivität im gesunden Gewebe und damit zu weniger Nebenwirkungen. „Wir wollen Krebsimmuntherapien verändern, sie wirksamer und zugleich nebenwirkungsärmer machen“, so Klaus Wagenbauer. „Das eige- ne Immunsystem gegen den Krebs zu richten, kann viel bewir- ken. Wenn man Krebs hat, hat das Immunsystem initial schon einmal versagt. Es anschließend wieder gezielt lokal zu reakti- vieren, kann sehr erfolgversprechend sein.“ l e / e i s : g n u l l e t s n e m m a s u Z t s r o h n e p m u R k n a r F ; H b m G c i n o t c e l P : s o t o F Die Bundesagentur für Sprunginnovationen SPRIND fördert die Forschung und Weiterentwicklung der bahnbrechenden Krebstherapie der Plectonic Biotech GmbH, einer Ausgründung der TU München. Ein Mitbegründer des Unternehmens ist der Biophysiker Klaus Wagenbauer, seit $%$% Mitglied im Jungen Kolleg der BAdW. Bei der Bekämpfung von Krebs ist seit einigen Jahren die Immuntherapie auf dem Vormarsch – neben herkömmlichen Der Physiker Immanuel Bloch (MPI für Quantenoptik/LMU München), ein Pionier der Quantenforschung, erhielt den Zeiss Research Award für seine Arbeiten auf dem Gebiet der experimentellen Quantensimulation. Bloch (im Bild rechts neben Theodor Hänsch) untersucht künstliche Quantenmaterie mithilfe von ul- trakalten Atomen in künstlichen Kristallen aus Licht, sogenannten optischen Gittern. Damit gelingt es, die Wirkungsweise von Quantenma- terialien wie z. B. Supraleitern besser zu ver- stehen. Seit $%"' ist Bloch Mitglied der Bayeri- schen Akademie der Wissenschaften. Die Expertin für Sinnesphysiologie Anna Stöckl erhielt den mit $(.%%% Euro dotierten Hector Research Career Development Award. Die Juniorprofessorin für Neurobiologie und Ver- halten leitet an der Universität Konstanz eine Emmy Noether-Gruppe und ist seit $%$% Mitglied des Jungen Kollegs der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Stöckl erforscht, wie Insekten Informationen aus ihrer Umwelt aufnehmen, verarbeiten und zur Steuerung ihres Verhaltens nutzen – von der Interaktion mit bunt gemusterten Blüten bis zum sicheren Flug in einer sternenklaren Nacht. Millabo. Nonsequassim auda imint eostibe atiandit quias cus dolorpore quiderc hitatum Mit allen Sinnen A k a d e m i e A k t u e l l !"

3.2023 Im nächsten Heft: Bildung im Fokus Wie stellen wir die richtigen Weichen für die Zukunft? I m p re s s u m H E R A U S G E B E R Prof. Dr. Markus Schwaiger Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW) R E D A K T I O N Andrea Klinger (ak) Dr. Ellen Latzin (el; verantwortlich) Dr. Isabel Leicht (il) Dr. Laura Räuber (lr) Gabriele Sieber (sie; Bildredaktion) Ruth Zapf (rz) V E R L A G U N D A N S C H R I F T Bayerische Akademie der Wissenschaften Alfons-Goppel-Str. 11, 80539 München presse@badw.de, ISSN 1436 -753X A R T D I R E C T I O N Studio Umlaut, studio-umlaut.com G R A F I K Daniela Wiesemann, danielawiesemann.de B I L D B E A R B E I T U N G Karin Martin D R U C K Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung, Alexandrastr. 4, 80538 München P A P I E R SoporSet Premium Offset 120 gr/m², LuxoArt Samt 200 gr/m² „ A K A D E M I E A K T U E L L“ erscheint 3 x jährlich. Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag der Freunde der BAdW enthalten. Die Texte dürfen nur mit Ge- nehmigung der BAdW reproduziert werden. Die Wiedergabe der Abbildungen ist mit den Inhabern der Bildrechte abzuklären. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Autoren wieder. Das E-Paper der Zeitschrift finden Sie auch unter badw.de. Z E I T S C H R I F T A B O N N I E R E N badw.de/die-akademie/presse/ zeitschrift-akademie-aktuell o t o h p c - s / k c o t s i ; j c - k n i l b e n o / k c o t s : s o t o F Verschwörungsmythen – Hintergründe und Folgen Eine vierteilige Podcast-Reihe der BAdW widmet sich 2023 einer aktuellen Herausforderung für demokratische Gesellschaften: Verschwörungsmythen. Die einzelnen Teile bilden gemeinsam eine lose verknüpfte Geschichte, es empfiehlt sich daher, sie in der richtigen Reihenfolge zu hören. In Teil 1 geht es um Geheimbünde in Geschichte und Gegenwart, von den Illuminaten und Freimaurern des 18. Jahrhunderts bis zur antisemitischen Thule-Gesellschaft des 20. Jahrhunderts. Teil 2 widmet sich ausführlich dem Phänomen des Antisemitismus, der in nahezu allen Verschwörungsmythen eine Rolle spielt – direkt oder indirekt. Insbesondere die Vorstellung einer angeb- lichen geheimen Elite, die die Welt kontrolliert, ist stark antisemitisch geprägt. In Teil 3 der Reihe geht es um die Zunahme von Hass und Hetze – online und offline. Teil 4 untersucht, woher die vielerorts zu beobachtende Leugnung des Klimawandels kommt und wie sich gerade rechte Netzwerke Verschwörungs- mythen rund um den Klimawandel zu eigen machen. Zu Wort kommen in allen Folgen Expertinnen und Experten aus der BAdW sowie zahlreiche Gäste. Was? Podcast-Reihe „Verschwörungsmythen – Hintergründe und Folgen“ Wo? badw.de/mediathek oder überall, wo es Podcasts gibt Verschwörungsmythen – eine Herausforderung für demokratische Gesellschaften weltweit. A k a d e m i e A k t u e l l 63