Im Gespräch 3.2020 Der Nationalsozialismus rückt für junge Leute zeitlich in weite Ferne. Wie schaffen Sie es, dass diese Zielgruppe freiwillig in Ihr Haus kommt? Freiwillig ist das Stichwort. Wir versu- chen, Schulklassen in längerfristige Pro- jekte einzubinden. Auch wollen wir von Rundgangformaten weggehen, hin zu Gesprächen und Diskussionen. Wir sehen die jungen Leute selbst als Expertinnen und Experten, von denen wir lernen kön- nen. Wir versuchen das auch mit unseren Veranstaltungen: Wenn es um Antisemi- tismus und Rassismus in der Popkultur geht oder um Graphic Novels, haben wir ein ganz anderes Publikum im Haus. Haben Jugendliche einen anderen Zugang zum Thema, wenn sie selbst eine migran- tische Geschichte haben? Man kann nicht davon ausgehen, dass sich Schülerinnen und Schüler, deren Familien schon während des Nationalso- zialismus in Deutschland gelebt haben, sofort in der Verantwortung sehen. Eine Studie zeigte 2019, dass viele junge Deut- sche davon ausgehen, dass ihre Vorfahren im Widerstand waren – damit kann man sich deutlich besser identifizieren. Post- migrantische Schülerinnen und Schüler, auch Geflüchtete, haben manchmal eine größere Nähe zu den Themen unserer Dauerausstellung: Oft haben sie selbst Krieg, Flucht, Gewalt erlebt – für sie ist Demokratie keine Selbstverständlichkeit, sondern der Ausnahmefall. Da sind das Verständnis und die Bereitschaft, sich auf die Ausstellung einzulassen, manchmal sogar größer. Seit Kurzem ist der Eintritt in das NS- Dokuzentrum frei – was gab den Aus- schlag für diese Entscheidung? Wir finden, dass es keine Schwellen geben sollte – denn die gibt es bei unse- rem Haus ohnehin: Wir sind im schicken, teuren Zentrum Münchens, die Architek- tur ist beeindruckend und das Thema für viele abschreckend. Wir wünschen uns, dass die Münchnerinnen und Münchner das Haus als produktiven, kommunikati- ven Raum in ihre Stadt integrieren. Wenn es um Zeitzeuginnen und Zeitzeu- gen geht, ist die Zeit selbst ein wichtiger Faktor. Was bedeutet das für Ihre Arbeit? Max Mannheimer, nach dem der Vor- platz hier benannt ist, war jemand, der sich jahrzehntelang mit unglaublich viel Kraft, Engagement und Charisma auf unzählige Schulklassen eingelassen hat. Für viele sind solche Begegnungen zentrale Momente, in denen Geschichte lebendig wird. Diese authentische Verbin- dung wird gekappt, wenn die Zeitzeugin- nen und Zeitzeugen nicht mehr da sind. Bisher haben wir noch keine überzeu- gende Antwort, wie wir damit umge- hen. Zahlreiche Versuche, etwa die Holo- gramme, zeugen eher von einer gewis- „Das ist in Deutschland manchmal der Wunsch an Erinnerungs- kultur: dass sie vor rechten Entwicklungen schützt.“ sen Hilflosigkeit und dem Wunsch, etwas festzuhalten. Das Thema wird für Deutschland aber auch in anderer Hin- sicht wichtig: Wenn keine Zeugen mehr da sind, gibt es deutlich mehr Möglich- keiten, Dinge in Frage zu stellen, von Fake News oder Fake History zu sprechen. Welchen Unterschied macht es für die Geschichte, auf welchen Quellen ihre Erzählung basiert? Zum Glück hat sich in den Geschichts- wissenschaften sehr viel getan, die Auto- rität der sogenannten Täterquellen wur- de massiv in Frage gestellt, und soge- nannte „Opferquellen“ sind anerkannter als noch vor etlichen Jahren. Ich finde es aber höchst problematisch, wenn Verfolg- te nur als Opfer dargestellt werden. Mo- she Zimmermanns Buchtitel „Deutsche gegen Deutsche“ bringt es auf den Punkt: Damals wandte sich nicht die deutsche Bevölkerung gegen Juden, gegen Roma und Sinti, gegen Homosexuelle. Das war ein Bruch innerhalb der deutschen Gesell- schaft: Es waren deutsche Juden, deut- sche Roma und Sinti, deutsche Homo- sexuelle. Dieses Auseinanderbrechen der Gesellschaft zu erzählen finde ich unglaublich wichtig. International wird gerade hitzig disku- tiert über den Umgang mit Täterorten und Denkmälern, die Verbrechern der Kolonialzeit gewidmet sind. Wie ist Ihre Meinung dazu? Zunächst ist der öffentliche Diskurs wichtig, auch in München. Die Musik- hochschule (1937–1945 „Führerbau“ der NSDAP; Anm. d. Red.) wird bald renoviert; vor unserem Haus befinden sich die Res- te der sogenannten „Ehrentempel der NSDAP“ im kontrollierten Verfall. Und der Königsplatz wurde nach Kriegsende wieder in den Zustand des „Isar-Athens“ von Ludwig I. versetzt. Architektonisch wurde damit die NS-Geschichte des Ortes komplett verdrängt. Deshalb ist es wichtig, dass es öffentliche Diskussionen gibt und dass reflektiert wird, was sich an historischen Orten ereignet hat. Ruth Klüger sagte einmal, dass die Orte ohne die Menschen so wenig ausmachen. Vie- le Denkmäler, die jetzt gestürmt werden, wurden lange Zeit ignoriert, und plötzlich ist im öffentlichen Bewusstsein, welche Geschichte daran haftet. Aber man muss sich die Frage stellen: Ist es sinnvoll, alle Denkmäler zu demontieren? Wenn sie weg sind, sind sie weg. Bringt man sie nicht besser in Museen und erzählt dort ihre Geschichte? Man muss den Kontext und die Geschichte thematisieren, davon hängt alles ab. In Deutschland sind wir dabei relativ weit und reflektiert – auch wenn wir über viele höchst problema- tische Kriegerdenkmäler, Straßen- und Kasernennamen noch sprechen müs- sen. In den USA ist mir immer wieder aufgefallen, dass gerade der öffentliche Diskurs über Sklaverei und strukturel- len Rassismus sehr lange nicht geführt wurde. Das National Museum of African American History and Culture wurde erst 2016 eröffnet. Auch in Deutschland haben wir da dringenden Nachholbedarf. Erin- nerungsdiskurse sind nie abgeschlossen. 10 A k a d e m i e A k t u e l l